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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Abhandlung von Sprüchwörtern.
geschickt, daß er seinen Schwiegervater um das
Haus, und um sein ganzes Vermögen brachte.
Er ließ ihn elendiglich verhungern. Nun war
ihm weiter nichts im Wege, ungehindert zu wür-
gen. Er that es dreyßig Jahre lang, und verwü-
stete die ganze Gegend. Das war ihm noch nicht
genug: Auch nach seinem Tode wollte er noch
schaden. Er machte ein Testament, welches seine
Erben in die größte Verbitterung und in Processe
stürzte, die ihnen nicht allein die Erbschaft zernich-
teten, sondern auch noch ihr eignes Vermögen
kosteten. Herkommann that also in seinem Alter
das, woran er sich in seiner Jugend gewöhnt
hatte. Er war ein junger Bösewicht, ein alter
Räuber, und auch nach seinem Tode noch ein
schändlicher Betrüger. Es fällt mir noch eine
merkwürdige Handlung seiner standhaften Bos-
heit ein. Wenige Stunden vor seinem Tode
entschloß er sich, des Wohlstands wegen den
Beichtvater zu sich kommen zu lassen. Dieser
segnete ihn endlich ein, und beym Einsegnen merkte
Herkommann, daß er contrebandes Tuch zum
Priesterrocke hatte. Er ließ den Fiscal rufen, gab
es an, und starb.

N. N. ward durch den Tod seiner Aeltern
der unwürdige Erbe eines ansehnlichen Vermö-
gens. Sein rechtschaffener Vater kannte ihn ge-
nauer, als viele Väter ihre Kinder nicht kennen.
Er hatte gemerkt, daß sein Sohn, von den ersten
Jahren an, das Geld, so man ihm in die Hände

gab,
L 4

Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
geſchickt, daß er ſeinen Schwiegervater um das
Haus, und um ſein ganzes Vermoͤgen brachte.
Er ließ ihn elendiglich verhungern. Nun war
ihm weiter nichts im Wege, ungehindert zu wuͤr-
gen. Er that es dreyßig Jahre lang, und verwuͤ-
ſtete die ganze Gegend. Das war ihm noch nicht
genug: Auch nach ſeinem Tode wollte er noch
ſchaden. Er machte ein Teſtament, welches ſeine
Erben in die groͤßte Verbitterung und in Proceſſe
ſtuͤrzte, die ihnen nicht allein die Erbſchaft zernich-
teten, ſondern auch noch ihr eignes Vermoͤgen
koſteten. Herkommann that alſo in ſeinem Alter
das, woran er ſich in ſeiner Jugend gewoͤhnt
hatte. Er war ein junger Boͤſewicht, ein alter
Raͤuber, und auch nach ſeinem Tode noch ein
ſchaͤndlicher Betruͤger. Es faͤllt mir noch eine
merkwuͤrdige Handlung ſeiner ſtandhaften Bos-
heit ein. Wenige Stunden vor ſeinem Tode
entſchloß er ſich, des Wohlſtands wegen den
Beichtvater zu ſich kommen zu laſſen. Dieſer
ſegnete ihn endlich ein, und beym Einſegnen merkte
Herkommann, daß er contrebandes Tuch zum
Prieſterrocke hatte. Er ließ den Fiſcal rufen, gab
es an, und ſtarb.

N. N. ward durch den Tod ſeiner Aeltern
der unwuͤrdige Erbe eines anſehnlichen Vermoͤ-
gens. Sein rechtſchaffener Vater kannte ihn ge-
nauer, als viele Vaͤter ihre Kinder nicht kennen.
Er hatte gemerkt, daß ſein Sohn, von den erſten
Jahren an, das Geld, ſo man ihm in die Haͤnde

gab,
L 4
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[167/0189] Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. geſchickt, daß er ſeinen Schwiegervater um das Haus, und um ſein ganzes Vermoͤgen brachte. Er ließ ihn elendiglich verhungern. Nun war ihm weiter nichts im Wege, ungehindert zu wuͤr- gen. Er that es dreyßig Jahre lang, und verwuͤ- ſtete die ganze Gegend. Das war ihm noch nicht genug: Auch nach ſeinem Tode wollte er noch ſchaden. Er machte ein Teſtament, welches ſeine Erben in die groͤßte Verbitterung und in Proceſſe ſtuͤrzte, die ihnen nicht allein die Erbſchaft zernich- teten, ſondern auch noch ihr eignes Vermoͤgen koſteten. Herkommann that alſo in ſeinem Alter das, woran er ſich in ſeiner Jugend gewoͤhnt hatte. Er war ein junger Boͤſewicht, ein alter Raͤuber, und auch nach ſeinem Tode noch ein ſchaͤndlicher Betruͤger. Es faͤllt mir noch eine merkwuͤrdige Handlung ſeiner ſtandhaften Bos- heit ein. Wenige Stunden vor ſeinem Tode entſchloß er ſich, des Wohlſtands wegen den Beichtvater zu ſich kommen zu laſſen. Dieſer ſegnete ihn endlich ein, und beym Einſegnen merkte Herkommann, daß er contrebandes Tuch zum Prieſterrocke hatte. Er ließ den Fiſcal rufen, gab es an, und ſtarb. N. N. ward durch den Tod ſeiner Aeltern der unwuͤrdige Erbe eines anſehnlichen Vermoͤ- gens. Sein rechtſchaffener Vater kannte ihn ge- nauer, als viele Vaͤter ihre Kinder nicht kennen. Er hatte gemerkt, daß ſein Sohn, von den erſten Jahren an, das Geld, ſo man ihm in die Haͤnde gab, L 4

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/189>, abgerufen am 24.11.2024.