geschickt, daß er seinen Schwiegervater um das Haus, und um sein ganzes Vermögen brachte. Er ließ ihn elendiglich verhungern. Nun war ihm weiter nichts im Wege, ungehindert zu wür- gen. Er that es dreyßig Jahre lang, und verwü- stete die ganze Gegend. Das war ihm noch nicht genug: Auch nach seinem Tode wollte er noch schaden. Er machte ein Testament, welches seine Erben in die größte Verbitterung und in Processe stürzte, die ihnen nicht allein die Erbschaft zernich- teten, sondern auch noch ihr eignes Vermögen kosteten. Herkommann that also in seinem Alter das, woran er sich in seiner Jugend gewöhnt hatte. Er war ein junger Bösewicht, ein alter Räuber, und auch nach seinem Tode noch ein schändlicher Betrüger. Es fällt mir noch eine merkwürdige Handlung seiner standhaften Bos- heit ein. Wenige Stunden vor seinem Tode entschloß er sich, des Wohlstands wegen den Beichtvater zu sich kommen zu lassen. Dieser segnete ihn endlich ein, und beym Einsegnen merkte Herkommann, daß er contrebandes Tuch zum Priesterrocke hatte. Er ließ den Fiscal rufen, gab es an, und starb.
N. N. ward durch den Tod seiner Aeltern der unwürdige Erbe eines ansehnlichen Vermö- gens. Sein rechtschaffener Vater kannte ihn ge- nauer, als viele Väter ihre Kinder nicht kennen. Er hatte gemerkt, daß sein Sohn, von den ersten Jahren an, das Geld, so man ihm in die Hände
gab,
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Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
geſchickt, daß er ſeinen Schwiegervater um das Haus, und um ſein ganzes Vermoͤgen brachte. Er ließ ihn elendiglich verhungern. Nun war ihm weiter nichts im Wege, ungehindert zu wuͤr- gen. Er that es dreyßig Jahre lang, und verwuͤ- ſtete die ganze Gegend. Das war ihm noch nicht genug: Auch nach ſeinem Tode wollte er noch ſchaden. Er machte ein Teſtament, welches ſeine Erben in die groͤßte Verbitterung und in Proceſſe ſtuͤrzte, die ihnen nicht allein die Erbſchaft zernich- teten, ſondern auch noch ihr eignes Vermoͤgen koſteten. Herkommann that alſo in ſeinem Alter das, woran er ſich in ſeiner Jugend gewoͤhnt hatte. Er war ein junger Boͤſewicht, ein alter Raͤuber, und auch nach ſeinem Tode noch ein ſchaͤndlicher Betruͤger. Es faͤllt mir noch eine merkwuͤrdige Handlung ſeiner ſtandhaften Bos- heit ein. Wenige Stunden vor ſeinem Tode entſchloß er ſich, des Wohlſtands wegen den Beichtvater zu ſich kommen zu laſſen. Dieſer ſegnete ihn endlich ein, und beym Einſegnen merkte Herkommann, daß er contrebandes Tuch zum Prieſterrocke hatte. Er ließ den Fiſcal rufen, gab es an, und ſtarb.
N. N. ward durch den Tod ſeiner Aeltern der unwuͤrdige Erbe eines anſehnlichen Vermoͤ- gens. Sein rechtſchaffener Vater kannte ihn ge- nauer, als viele Vaͤter ihre Kinder nicht kennen. Er hatte gemerkt, daß ſein Sohn, von den erſten Jahren an, das Geld, ſo man ihm in die Haͤnde
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Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
geſchickt, daß er ſeinen Schwiegervater um das
Haus, und um ſein ganzes Vermoͤgen brachte.
Er ließ ihn elendiglich verhungern. Nun war
ihm weiter nichts im Wege, ungehindert zu wuͤr-
gen. Er that es dreyßig Jahre lang, und verwuͤ-
ſtete die ganze Gegend. Das war ihm noch nicht
genug: Auch nach ſeinem Tode wollte er noch
ſchaden. Er machte ein Teſtament, welches ſeine
Erben in die groͤßte Verbitterung und in Proceſſe
ſtuͤrzte, die ihnen nicht allein die Erbſchaft zernich-
teten, ſondern auch noch ihr eignes Vermoͤgen
koſteten. Herkommann that alſo in ſeinem Alter
das, woran er ſich in ſeiner Jugend gewoͤhnt
hatte. Er war ein junger Boͤſewicht, ein alter
Raͤuber, und auch nach ſeinem Tode noch ein
ſchaͤndlicher Betruͤger. Es faͤllt mir noch eine
merkwuͤrdige Handlung ſeiner ſtandhaften Bos-
heit ein. Wenige Stunden vor ſeinem Tode
entſchloß er ſich, des Wohlſtands wegen den
Beichtvater zu ſich kommen zu laſſen. Dieſer
ſegnete ihn endlich ein, und beym Einſegnen merkte
Herkommann, daß er contrebandes Tuch zum
Prieſterrocke hatte. Er ließ den Fiſcal rufen, gab
es an, und ſtarb.
N. N. ward durch den Tod ſeiner Aeltern
der unwuͤrdige Erbe eines anſehnlichen Vermoͤ-
gens. Sein rechtſchaffener Vater kannte ihn ge-
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Er hatte gemerkt, daß ſein Sohn, von den erſten
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/189>, abgerufen am 02.05.2024.
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