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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Antons Panßa von Mancha

Was glauben meine Leser? Hat mein Dorf-
junker nicht recht? Jch sollte es wohl meynen.
Und wenn es nun nach seinen Grundsätzen wahr
ist, daß ein Fräulein, auch ohne alle Erziehung
eine rechtschaffene Frau, und eine redliche Mutter
werden, daß ein junger Edelmann die Vorrechte
seines Adels behaupten kann, ohne in demjenigen
unterrichtet zu werden, was man Sitten, Wohl-
stand, und Gelehrsamkeit nennt; wenn dieses
wahr ist: Wozu sind uns denn die kostbaren Leute
nöthig, die uns alles dieses erst lehren sollen? Und
wenn der Adel sich an der Vorsorge der Natur ge-
nügen läßt, ohne an seinem Verstande zu künsteln;
was wollen denn wir Bürger uns unterstehen, der
Natur durch eine sorgfältige Erziehung zu Hülfe
zu kommen? Das ist ein strafbarer Vorwitz!

Jch habe Leute gesprochen, die meinen gnädi-
gen Dorfjunker von seiner ersten Jugend an ge-
kannt haben. Bey ihm ist alles lauter Natur.
Sein Vater war ein alter guter Biedermann, so
unwissend wie seine Ahnen, und eine wahre Zierde
Deutschlands, wenn er mit seiner Nachbarschaft
soff. Dieser ehrliche Vater ließ es unserm Jun-
ker Hanns weder am Essen noch Trinken fehlen,
welche liebreiche Vorsorge der Himmel dergestalt
segnete, daß er schon im achten Jahre starke dauer-
hafte Knochen kriegte. Nun setzte er ihn auf ein
Pferd. Jm neunten Jahre schoß dieser hoffnungs-
volle Junge seinen ersten Hasen, zur Freude der
ganzen hohen Familie. Diese Ritterübungen trieb

er
Antons Panßa von Mancha

Was glauben meine Leſer? Hat mein Dorf-
junker nicht recht? Jch ſollte es wohl meynen.
Und wenn es nun nach ſeinen Grundſaͤtzen wahr
iſt, daß ein Fraͤulein, auch ohne alle Erziehung
eine rechtſchaffene Frau, und eine redliche Mutter
werden, daß ein junger Edelmann die Vorrechte
ſeines Adels behaupten kann, ohne in demjenigen
unterrichtet zu werden, was man Sitten, Wohl-
ſtand, und Gelehrſamkeit nennt; wenn dieſes
wahr iſt: Wozu ſind uns denn die koſtbaren Leute
noͤthig, die uns alles dieſes erſt lehren ſollen? Und
wenn der Adel ſich an der Vorſorge der Natur ge-
nuͤgen laͤßt, ohne an ſeinem Verſtande zu kuͤnſteln;
was wollen denn wir Buͤrger uns unterſtehen, der
Natur durch eine ſorgfaͤltige Erziehung zu Huͤlfe
zu kommen? Das iſt ein ſtrafbarer Vorwitz!

Jch habe Leute geſprochen, die meinen gnaͤdi-
gen Dorfjunker von ſeiner erſten Jugend an ge-
kannt haben. Bey ihm iſt alles lauter Natur.
Sein Vater war ein alter guter Biedermann, ſo
unwiſſend wie ſeine Ahnen, und eine wahre Zierde
Deutſchlands, wenn er mit ſeiner Nachbarſchaft
ſoff. Dieſer ehrliche Vater ließ es unſerm Jun-
ker Hanns weder am Eſſen noch Trinken fehlen,
welche liebreiche Vorſorge der Himmel dergeſtalt
ſegnete, daß er ſchon im achten Jahre ſtarke dauer-
hafte Knochen kriegte. Nun ſetzte er ihn auf ein
Pferd. Jm neunten Jahre ſchoß dieſer hoffnungs-
volle Junge ſeinen erſten Haſen, zur Freude der
ganzen hohen Familie. Dieſe Ritteruͤbungen trieb

er
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[140/0162] Antons Panßa von Mancha Was glauben meine Leſer? Hat mein Dorf- junker nicht recht? Jch ſollte es wohl meynen. Und wenn es nun nach ſeinen Grundſaͤtzen wahr iſt, daß ein Fraͤulein, auch ohne alle Erziehung eine rechtſchaffene Frau, und eine redliche Mutter werden, daß ein junger Edelmann die Vorrechte ſeines Adels behaupten kann, ohne in demjenigen unterrichtet zu werden, was man Sitten, Wohl- ſtand, und Gelehrſamkeit nennt; wenn dieſes wahr iſt: Wozu ſind uns denn die koſtbaren Leute noͤthig, die uns alles dieſes erſt lehren ſollen? Und wenn der Adel ſich an der Vorſorge der Natur ge- nuͤgen laͤßt, ohne an ſeinem Verſtande zu kuͤnſteln; was wollen denn wir Buͤrger uns unterſtehen, der Natur durch eine ſorgfaͤltige Erziehung zu Huͤlfe zu kommen? Das iſt ein ſtrafbarer Vorwitz! Jch habe Leute geſprochen, die meinen gnaͤdi- gen Dorfjunker von ſeiner erſten Jugend an ge- kannt haben. Bey ihm iſt alles lauter Natur. Sein Vater war ein alter guter Biedermann, ſo unwiſſend wie ſeine Ahnen, und eine wahre Zierde Deutſchlands, wenn er mit ſeiner Nachbarſchaft ſoff. Dieſer ehrliche Vater ließ es unſerm Jun- ker Hanns weder am Eſſen noch Trinken fehlen, welche liebreiche Vorſorge der Himmel dergeſtalt ſegnete, daß er ſchon im achten Jahre ſtarke dauer- hafte Knochen kriegte. Nun ſetzte er ihn auf ein Pferd. Jm neunten Jahre ſchoß dieſer hoffnungs- volle Junge ſeinen erſten Haſen, zur Freude der ganzen hohen Familie. Dieſe Ritteruͤbungen trieb er

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/162>, abgerufen am 27.11.2024.