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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Vorbericht.
entwerfen, kostete mich immer weniger Mühe,
als mich es kostete, solches durch neue Züge,
durch mehr Licht, oder mehr Schatten unkennt-
lich zu machen. Und wenn ich alles gethan hat-
te; und wenn ich nunmehr glaubte, daß es mit
keinem Menschen eine Aehnlichkeit habe, daß
es nur das allgemeine Bild eines Thoren sey:
So rief doch wohl einer meiner Leser mit bittrer
Freude aus: Das ist mein Nachbar! Künf-
tig werde ich eine so ängstliche Vorsicht, weiter
nicht nöthig haben. Nun kann ich mir die Ori-
ginale wählen, wo ich will, ohne einen von ih-
nen zu beleidigen. Denn erst nach meinem Tode
sollen diese Schildereyen bekannt werden. Und
da ich Hoffnung habe, noch etliche und zwanzig
Jahre zu leben, so zweifle ich, ob sich alsdann
noch jemand die Mühe geben wird, den Thoren
zu entdecken, den ich vor zwanzig Jahren gemalt
habe; denn in zwanzig Jahren ist ein Thor ge-
wiß vergessen, und wenn er auch ein Durch-
lauchtigster Thor gewesen wäre. Nunmehr kann
ich mich viel freyer unter meinen Mitbürgern
umsehen, und Züge zu einem Gemälde sammeln,
welches ich vielleicht außerdem, zu schildern noch
nicht wagen dürfte, wie ich es nunmehr wagen
darf, da diese Schildereyen erst nach meinem
Tode ausgestellt werden sollen. Finde ich künf-
tig einen Menschen, dessen Thorheiten verdie-
nen, für die Nachwelt gezeichnet zu werden: so
sehe ich diesen Menschen, als meinen Posthu-
mum,
an. Die nach mir leben, sollen nicht

einen

Vorbericht.
entwerfen, koſtete mich immer weniger Muͤhe,
als mich es koſtete, ſolches durch neue Zuͤge,
durch mehr Licht, oder mehr Schatten unkennt-
lich zu machen. Und wenn ich alles gethan hat-
te; und wenn ich nunmehr glaubte, daß es mit
keinem Menſchen eine Aehnlichkeit habe, daß
es nur das allgemeine Bild eines Thoren ſey:
So rief doch wohl einer meiner Leſer mit bittrer
Freude aus: Das iſt mein Nachbar! Kuͤnf-
tig werde ich eine ſo aͤngſtliche Vorſicht, weiter
nicht noͤthig haben. Nun kann ich mir die Ori-
ginale waͤhlen, wo ich will, ohne einen von ih-
nen zu beleidigen. Denn erſt nach meinem Tode
ſollen dieſe Schildereyen bekannt werden. Und
da ich Hoffnung habe, noch etliche und zwanzig
Jahre zu leben, ſo zweifle ich, ob ſich alsdann
noch jemand die Muͤhe geben wird, den Thoren
zu entdecken, den ich vor zwanzig Jahren gemalt
habe; denn in zwanzig Jahren iſt ein Thor ge-
wiß vergeſſen, und wenn er auch ein Durch-
lauchtigſter Thor geweſen waͤre. Nunmehr kann
ich mich viel freyer unter meinen Mitbuͤrgern
umſehen, und Zuͤge zu einem Gemaͤlde ſammeln,
welches ich vielleicht außerdem, zu ſchildern noch
nicht wagen duͤrfte, wie ich es nunmehr wagen
darf, da dieſe Schildereyen erſt nach meinem
Tode ausgeſtellt werden ſollen. Finde ich kuͤnf-
tig einen Menſchen, deſſen Thorheiten verdie-
nen, fuͤr die Nachwelt gezeichnet zu werden: ſo
ſehe ich dieſen Menſchen, als meinen Poſthu-
mum,
an. Die nach mir leben, ſollen nicht

einen
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[0015] Vorbericht. entwerfen, koſtete mich immer weniger Muͤhe, als mich es koſtete, ſolches durch neue Zuͤge, durch mehr Licht, oder mehr Schatten unkennt- lich zu machen. Und wenn ich alles gethan hat- te; und wenn ich nunmehr glaubte, daß es mit keinem Menſchen eine Aehnlichkeit habe, daß es nur das allgemeine Bild eines Thoren ſey: So rief doch wohl einer meiner Leſer mit bittrer Freude aus: Das iſt mein Nachbar! Kuͤnf- tig werde ich eine ſo aͤngſtliche Vorſicht, weiter nicht noͤthig haben. Nun kann ich mir die Ori- ginale waͤhlen, wo ich will, ohne einen von ih- nen zu beleidigen. Denn erſt nach meinem Tode ſollen dieſe Schildereyen bekannt werden. Und da ich Hoffnung habe, noch etliche und zwanzig Jahre zu leben, ſo zweifle ich, ob ſich alsdann noch jemand die Muͤhe geben wird, den Thoren zu entdecken, den ich vor zwanzig Jahren gemalt habe; denn in zwanzig Jahren iſt ein Thor ge- wiß vergeſſen, und wenn er auch ein Durch- lauchtigſter Thor geweſen waͤre. Nunmehr kann ich mich viel freyer unter meinen Mitbuͤrgern umſehen, und Zuͤge zu einem Gemaͤlde ſammeln, welches ich vielleicht außerdem, zu ſchildern noch nicht wagen duͤrfte, wie ich es nunmehr wagen darf, da dieſe Schildereyen erſt nach meinem Tode ausgeſtellt werden ſollen. Finde ich kuͤnf- tig einen Menſchen, deſſen Thorheiten verdie- nen, fuͤr die Nachwelt gezeichnet zu werden: ſo ſehe ich dieſen Menſchen, als meinen Poſthu- mum, an. Die nach mir leben, ſollen nicht einen

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/15>, abgerufen am 27.04.2024.