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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Abhandlung von Sprüchwörtern.
betheuert uns, er sey dieser Glückliche nicht, wel-
chem der Himmel so vieles Vermögen anvertrau-
et habe, daß er andern wohlthun könne. Er be-
theuert dieses; aber nimmermehr wird er es euch
verzeihen, wenn ihr seinen Betheuerungen glaubt.
Er weis die Personen sehr vorsichtig zu wählen,
durch die er seine guten Werke aussäet. Allzu
verschwiegen dürfen sie nicht seyn. Er macht sie
geschwätzig, indem er sie beschwört, ihn nicht zu ver-
rathen. Mit einem Worte: Seine Hand rauscht
im Stillen, um bemerkt zu werden. Thut er
dieses ohne Vortheil? Nichts weniger. Hun-
dert erwirbt er mit Hunderten. Selten wird
ein Testament einer reichen Betschwester oder ei-
nes bußfertigen Wucherers eröffnet, in welchem
nicht die ansehnlichste Summe diesem Manne zu-
fällt, welcher nichts für sich, sondern alles für die
nothleidenden Armen besitzt. Die einträglichsten
Aemter überläßt man ihm, da man niemanden
kennt, der sie so uneigennützig verwalte. Die
reichsten Familien halten es für einen Segen, sich
mit seiner Familie zu verbinden. Könnte dieser
Heuchler, denn ein Heuchler ist er, ich kenne ihn
besser; könnte er durch Straßenraub mehr ver-
dienen, als er durch seine guten Werke verdient?
Dieser fromme Mäkler ist bey seinem heiligen Wu-
cher, den die Gesetze auf keine pro Cent einschrän-
ken, so lange sicher, als er sich hütet, daß der ei-
gennützige Heuchler nicht entdecket wird.

Jch fühle es; ich werde zu ernsthaft: Jch pre-
dige Buße, und hatte mir vorgesetzt, zu lachen.

Jch

Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
betheuert uns, er ſey dieſer Gluͤckliche nicht, wel-
chem der Himmel ſo vieles Vermoͤgen anvertrau-
et habe, daß er andern wohlthun koͤnne. Er be-
theuert dieſes; aber nimmermehr wird er es euch
verzeihen, wenn ihr ſeinen Betheuerungen glaubt.
Er weis die Perſonen ſehr vorſichtig zu waͤhlen,
durch die er ſeine guten Werke ausſaͤet. Allzu
verſchwiegen duͤrfen ſie nicht ſeyn. Er macht ſie
geſchwaͤtzig, indem er ſie beſchwoͤrt, ihn nicht zu ver-
rathen. Mit einem Worte: Seine Hand rauſcht
im Stillen, um bemerkt zu werden. Thut er
dieſes ohne Vortheil? Nichts weniger. Hun-
dert erwirbt er mit Hunderten. Selten wird
ein Teſtament einer reichen Betſchweſter oder ei-
nes bußfertigen Wucherers eroͤffnet, in welchem
nicht die anſehnlichſte Summe dieſem Manne zu-
faͤllt, welcher nichts fuͤr ſich, ſondern alles fuͤr die
nothleidenden Armen beſitzt. Die eintraͤglichſten
Aemter uͤberlaͤßt man ihm, da man niemanden
kennt, der ſie ſo uneigennuͤtzig verwalte. Die
reichſten Familien halten es fuͤr einen Segen, ſich
mit ſeiner Familie zu verbinden. Koͤnnte dieſer
Heuchler, denn ein Heuchler iſt er, ich kenne ihn
beſſer; koͤnnte er durch Straßenraub mehr ver-
dienen, als er durch ſeine guten Werke verdient?
Dieſer fromme Maͤkler iſt bey ſeinem heiligen Wu-
cher, den die Geſetze auf keine pro Cent einſchraͤn-
ken, ſo lange ſicher, als er ſich huͤtet, daß der ei-
gennuͤtzige Heuchler nicht entdecket wird.

Jch fuͤhle es; ich werde zu ernſthaft: Jch pre-
dige Buße, und hatte mir vorgeſetzt, zu lachen.

Jch
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[123/0145] Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. betheuert uns, er ſey dieſer Gluͤckliche nicht, wel- chem der Himmel ſo vieles Vermoͤgen anvertrau- et habe, daß er andern wohlthun koͤnne. Er be- theuert dieſes; aber nimmermehr wird er es euch verzeihen, wenn ihr ſeinen Betheuerungen glaubt. Er weis die Perſonen ſehr vorſichtig zu waͤhlen, durch die er ſeine guten Werke ausſaͤet. Allzu verſchwiegen duͤrfen ſie nicht ſeyn. Er macht ſie geſchwaͤtzig, indem er ſie beſchwoͤrt, ihn nicht zu ver- rathen. Mit einem Worte: Seine Hand rauſcht im Stillen, um bemerkt zu werden. Thut er dieſes ohne Vortheil? Nichts weniger. Hun- dert erwirbt er mit Hunderten. Selten wird ein Teſtament einer reichen Betſchweſter oder ei- nes bußfertigen Wucherers eroͤffnet, in welchem nicht die anſehnlichſte Summe dieſem Manne zu- faͤllt, welcher nichts fuͤr ſich, ſondern alles fuͤr die nothleidenden Armen beſitzt. Die eintraͤglichſten Aemter uͤberlaͤßt man ihm, da man niemanden kennt, der ſie ſo uneigennuͤtzig verwalte. Die reichſten Familien halten es fuͤr einen Segen, ſich mit ſeiner Familie zu verbinden. Koͤnnte dieſer Heuchler, denn ein Heuchler iſt er, ich kenne ihn beſſer; koͤnnte er durch Straßenraub mehr ver- dienen, als er durch ſeine guten Werke verdient? Dieſer fromme Maͤkler iſt bey ſeinem heiligen Wu- cher, den die Geſetze auf keine pro Cent einſchraͤn- ken, ſo lange ſicher, als er ſich huͤtet, daß der ei- gennuͤtzige Heuchler nicht entdecket wird. Jch fuͤhle es; ich werde zu ernſthaft: Jch pre- dige Buße, und hatte mir vorgeſetzt, zu lachen. Jch

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/145>, abgerufen am 23.11.2024.