"Es ist bey nahe keine Handlung und Be- "schäfftigung in der Welt, welche man "nicht in gewisse Regeln gebracht, mit "Grundsätzen befestiget, und mit Exempeln erläu- "tert hat. Wir haben eine Kunst zu lieben, eine "Kunst zu trinken, eine Kunst zu regieren, eine "Kunst zu leben. Mit solchen Kleinigkeiten be- "schäfftigt sich unser spielender Witz, wichtigere "Sachen verabsäumen wir. Sind wohl alle diese "Künste dem Menschen so nöthig, als ihm die "Kunst zu bestechen ist? Jch schäme mich, daß "ich der erste seyn muß, der meinen Landsleuten "die Augen öffnet, meinen Landsleuten, die so oft "mit einem patriotischen Stolze die Glückseligkeit "ihrer aufgeklärten, und erleuchteten Zeiten rüh- "men. Jch will es thun, wenigstens will ich ei- "nen Versuch davon liefern. Es ist mir vielmals "ganz unbegreiflich gewesen, durch welches Schick- "sal ich zu dem Amte verstoßen worden bin, das "ich führe; nunmehr glaube ich, es einzusehn. Die "Kunst zu bestechen habe ich meine Landsleute "lehren sollen; dazu war mir mein Amt nöthig. "Jch will diesem deutlichen Berufe folgen. Man "wird meiner Lehre glauben können, da ich mit "Ueberzeugung lehre. Der zärtliche Ovid lehrte "die Kunst zu lieben; der feurige Horaz die Kunst "zu dichten; und ich, berechtiget durch mein Amt, "ich lehre die Kunst zu bestechen."
Es
Satyriſche Briefe.
„Es iſt bey nahe keine Handlung und Be- „ſchaͤfftigung in der Welt, welche man „nicht in gewiſſe Regeln gebracht, mit „Grundſaͤtzen befeſtiget, und mit Exempeln erlaͤu- „tert hat. Wir haben eine Kunſt zu lieben, eine „Kunſt zu trinken, eine Kunſt zu regieren, eine „Kunſt zu leben. Mit ſolchen Kleinigkeiten be- „ſchaͤfftigt ſich unſer ſpielender Witz, wichtigere „Sachen verabſaͤumen wir. Sind wohl alle dieſe „Kuͤnſte dem Menſchen ſo noͤthig, als ihm die „Kunſt zu beſtechen iſt? Jch ſchaͤme mich, daß „ich der erſte ſeyn muß, der meinen Landsleuten „die Augen oͤffnet, meinen Landsleuten, die ſo oft „mit einem patriotiſchen Stolze die Gluͤckſeligkeit „ihrer aufgeklaͤrten, und erleuchteten Zeiten ruͤh- „men. Jch will es thun, wenigſtens will ich ei- „nen Verſuch davon liefern. Es iſt mir vielmals „ganz unbegreiflich geweſen, durch welches Schick- „ſal ich zu dem Amte verſtoßen worden bin, das „ich fuͤhre; nunmehr glaube ich, es einzuſehn. Die „Kunſt zu beſtechen habe ich meine Landsleute „lehren ſollen; dazu war mir mein Amt noͤthig. „Jch will dieſem deutlichen Berufe folgen. Man „wird meiner Lehre glauben koͤnnen, da ich mit „Ueberzeugung lehre. Der zaͤrtliche Ovid lehrte „die Kunſt zu lieben; der feurige Horaz die Kunſt „zu dichten; und ich, berechtiget durch mein Amt, „ich lehre die Kunſt zu beſtechen.„
Es
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Satyriſche Briefe.
„Es iſt bey nahe keine Handlung und Be-
„ſchaͤfftigung in der Welt, welche man
„nicht in gewiſſe Regeln gebracht, mit
„Grundſaͤtzen befeſtiget, und mit Exempeln erlaͤu-
„tert hat. Wir haben eine Kunſt zu lieben, eine
„Kunſt zu trinken, eine Kunſt zu regieren, eine
„Kunſt zu leben. Mit ſolchen Kleinigkeiten be-
„ſchaͤfftigt ſich unſer ſpielender Witz, wichtigere
„Sachen verabſaͤumen wir. Sind wohl alle dieſe
„Kuͤnſte dem Menſchen ſo noͤthig, als ihm die
„Kunſt zu beſtechen iſt? Jch ſchaͤme mich, daß
„ich der erſte ſeyn muß, der meinen Landsleuten
„die Augen oͤffnet, meinen Landsleuten, die ſo oft
„mit einem patriotiſchen Stolze die Gluͤckſeligkeit
„ihrer aufgeklaͤrten, und erleuchteten Zeiten ruͤh-
„men. Jch will es thun, wenigſtens will ich ei-
„nen Verſuch davon liefern. Es iſt mir vielmals
„ganz unbegreiflich geweſen, durch welches Schick-
„ſal ich zu dem Amte verſtoßen worden bin, das
„ich fuͤhre; nunmehr glaube ich, es einzuſehn. Die
„Kunſt zu beſtechen habe ich meine Landsleute
„lehren ſollen; dazu war mir mein Amt noͤthig.
„Jch will dieſem deutlichen Berufe folgen. Man
„wird meiner Lehre glauben koͤnnen, da ich mit
„Ueberzeugung lehre. Der zaͤrtliche Ovid lehrte
„die Kunſt zu lieben; der feurige Horaz die Kunſt
„zu dichten; und ich, berechtiget durch mein Amt,
„ich lehre die Kunſt zu beſtechen.„
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752/84>, abgerufen am 23.11.2024.
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