Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752.

Bild:
<< vorherige Seite
Satyrische Briefe.


"Die Menschen sind so sinnreich, daß sie viel-
"mal ihren größten Thorheiten einen
"frommen Anstrich zu geben wissen. Bis
"auf die übereilten Ehen erstreckt sich diese Art
"der Andacht. Viele heirathen, ohne zu überle-
"gen, ob sie im Stande sind, den unentbehrlichen
"Aufwand zu bestreiten, welchen eine Wirthschaft
"erfodert. Sie sehen die Noth voraus, in die sie
"sich und die ihrigen stürzen; sie können aber der
"Liebe nicht widerstehn. Und weil sie in andern
"Handlungen vernünftig genug sind, nichts unbe-
"sonnenes zu unternehmen: so suchen sie sich zu be-
"reden, daß diejenige Thorheit, zu welcher sie sich
"itzt anschicken, eine Art von guten Werken sey,
"wo sie ihr christliches Vertrauen auf die göttliche
"Vorsorge an den Tag legen, und den Himmel,
"so zu sagen, bey seinem Versprechen fest halten
"wollen, damit er Anstalt mache, sie zu ernähren.
"Sie beten, und beten vielleicht andächtig. Aber
"auch eine Thorheit, die man mit Gebet anfängt,
"bleibt dennoch eine Thorheit, und zieht oft die
"unglücklichsten Folgen nach sich, welche in dem
"gegenwärtigen Falle desto empfindlicher sind, ie
"weniger wir uns vorwerfen wollen, daß die
"Schuld unser sey. Wir wollen den Himmel
"zur Verantwortung ziehn. Wie leicht wird uns
"das Herz, wenn wir iemanden finden, dem wir
"unsre Uebereilung Schuld geben können! Ein

leicht-
Satyriſche Briefe.


Die Menſchen ſind ſo ſinnreich, daß ſie viel-
„mal ihren groͤßten Thorheiten einen
„frommen Anſtrich zu geben wiſſen. Bis
„auf die uͤbereilten Ehen erſtreckt ſich dieſe Art
„der Andacht. Viele heirathen, ohne zu uͤberle-
„gen, ob ſie im Stande ſind, den unentbehrlichen
„Aufwand zu beſtreiten, welchen eine Wirthſchaft
„erfodert. Sie ſehen die Noth voraus, in die ſie
„ſich und die ihrigen ſtuͤrzen; ſie koͤnnen aber der
„Liebe nicht widerſtehn. Und weil ſie in andern
„Handlungen vernuͤnftig genug ſind, nichts unbe-
„ſonnenes zu unternehmen: ſo ſuchen ſie ſich zu be-
„reden, daß diejenige Thorheit, zu welcher ſie ſich
„itzt anſchicken, eine Art von guten Werken ſey,
„wo ſie ihr chriſtliches Vertrauen auf die goͤttliche
„Vorſorge an den Tag legen, und den Himmel,
„ſo zu ſagen, bey ſeinem Verſprechen feſt halten
„wollen, damit er Anſtalt mache, ſie zu ernaͤhren.
„Sie beten, und beten vielleicht andaͤchtig. Aber
„auch eine Thorheit, die man mit Gebet anfaͤngt,
„bleibt dennoch eine Thorheit, und zieht oft die
„ungluͤcklichſten Folgen nach ſich, welche in dem
„gegenwaͤrtigen Falle deſto empfindlicher ſind, ie
„weniger wir uns vorwerfen wollen, daß die
„Schuld unſer ſey. Wir wollen den Himmel
„zur Verantwortung ziehn. Wie leicht wird uns
„das Herz, wenn wir iemanden finden, dem wir
„unſre Uebereilung Schuld geben koͤnnen! Ein

leicht-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0384" n="356"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Satyri&#x017F;che Briefe.</hi> </fw><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p>&#x201E;<hi rendition="#in">D</hi>ie Men&#x017F;chen &#x017F;ind &#x017F;o &#x017F;innreich, daß &#x017F;ie viel-<lb/>
&#x201E;mal ihren gro&#x0364;ßten Thorheiten einen<lb/>
&#x201E;frommen An&#x017F;trich zu geben wi&#x017F;&#x017F;en. Bis<lb/>
&#x201E;auf die u&#x0364;bereilten Ehen er&#x017F;treckt &#x017F;ich die&#x017F;e Art<lb/>
&#x201E;der Andacht. Viele heirathen, ohne zu u&#x0364;berle-<lb/>
&#x201E;gen, ob &#x017F;ie im Stande &#x017F;ind, den unentbehrlichen<lb/>
&#x201E;Aufwand zu be&#x017F;treiten, welchen eine Wirth&#x017F;chaft<lb/>
&#x201E;erfodert. Sie &#x017F;ehen die Noth voraus, in die &#x017F;ie<lb/>
&#x201E;&#x017F;ich und die ihrigen &#x017F;tu&#x0364;rzen; &#x017F;ie ko&#x0364;nnen aber der<lb/>
&#x201E;Liebe nicht wider&#x017F;tehn. Und weil &#x017F;ie in andern<lb/>
&#x201E;Handlungen vernu&#x0364;nftig genug &#x017F;ind, nichts unbe-<lb/>
&#x201E;&#x017F;onnenes zu unternehmen: &#x017F;o &#x017F;uchen &#x017F;ie &#x017F;ich zu be-<lb/>
&#x201E;reden, daß diejenige Thorheit, zu welcher &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/>
&#x201E;itzt an&#x017F;chicken, eine Art von guten Werken &#x017F;ey,<lb/>
&#x201E;wo &#x017F;ie ihr chri&#x017F;tliches Vertrauen auf die go&#x0364;ttliche<lb/>
&#x201E;Vor&#x017F;orge an den Tag legen, und den Himmel,<lb/>
&#x201E;&#x017F;o zu &#x017F;agen, bey &#x017F;einem Ver&#x017F;prechen fe&#x017F;t halten<lb/>
&#x201E;wollen, damit er An&#x017F;talt mache, &#x017F;ie zu erna&#x0364;hren.<lb/>
&#x201E;Sie beten, und beten vielleicht anda&#x0364;chtig. Aber<lb/>
&#x201E;auch eine Thorheit, die man mit Gebet anfa&#x0364;ngt,<lb/>
&#x201E;bleibt dennoch eine Thorheit, und zieht oft die<lb/>
&#x201E;unglu&#x0364;cklich&#x017F;ten Folgen nach &#x017F;ich, welche in dem<lb/>
&#x201E;gegenwa&#x0364;rtigen Falle de&#x017F;to empfindlicher &#x017F;ind, ie<lb/>
&#x201E;weniger wir uns vorwerfen wollen, daß die<lb/>
&#x201E;Schuld un&#x017F;er &#x017F;ey. Wir wollen den Himmel<lb/>
&#x201E;zur Verantwortung ziehn. Wie leicht wird uns<lb/>
&#x201E;das Herz, wenn wir iemanden finden, dem wir<lb/>
&#x201E;un&#x017F;re Uebereilung Schuld geben ko&#x0364;nnen! Ein<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">leicht-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[356/0384] Satyriſche Briefe. „Die Menſchen ſind ſo ſinnreich, daß ſie viel- „mal ihren groͤßten Thorheiten einen „frommen Anſtrich zu geben wiſſen. Bis „auf die uͤbereilten Ehen erſtreckt ſich dieſe Art „der Andacht. Viele heirathen, ohne zu uͤberle- „gen, ob ſie im Stande ſind, den unentbehrlichen „Aufwand zu beſtreiten, welchen eine Wirthſchaft „erfodert. Sie ſehen die Noth voraus, in die ſie „ſich und die ihrigen ſtuͤrzen; ſie koͤnnen aber der „Liebe nicht widerſtehn. Und weil ſie in andern „Handlungen vernuͤnftig genug ſind, nichts unbe- „ſonnenes zu unternehmen: ſo ſuchen ſie ſich zu be- „reden, daß diejenige Thorheit, zu welcher ſie ſich „itzt anſchicken, eine Art von guten Werken ſey, „wo ſie ihr chriſtliches Vertrauen auf die goͤttliche „Vorſorge an den Tag legen, und den Himmel, „ſo zu ſagen, bey ſeinem Verſprechen feſt halten „wollen, damit er Anſtalt mache, ſie zu ernaͤhren. „Sie beten, und beten vielleicht andaͤchtig. Aber „auch eine Thorheit, die man mit Gebet anfaͤngt, „bleibt dennoch eine Thorheit, und zieht oft die „ungluͤcklichſten Folgen nach ſich, welche in dem „gegenwaͤrtigen Falle deſto empfindlicher ſind, ie „weniger wir uns vorwerfen wollen, daß die „Schuld unſer ſey. Wir wollen den Himmel „zur Verantwortung ziehn. Wie leicht wird uns „das Herz, wenn wir iemanden finden, dem wir „unſre Uebereilung Schuld geben koͤnnen! Ein leicht-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752/384
Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752/384>, abgerufen am 01.06.2024.