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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752.

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Satyrische Briefe.
"gen des Ablebens seiner vor zehn Jahren ver-
"storbnen Frau ergebenst zu danken. Mein Vater
"ist mit mir einig, daß Sie ihr die beste Leichen-
"predigt gehalten haben; und ich ins besondre bin
"überzeugt, daß Sie mehr geschickt sind, verstorb-
"nen Frauenzimmern Lobreden zu halten, als den
"itztlebenden Schmeicheleyen vorzusagen. Hät-
"ten Sie um meinen Vater selbst anhalten wollen,
"so würde dieses freylich der beste Entschluß ge-
"wesen seyn, sich an ihn selbst zu wenden. Da
"Sie aber mir die Ehre zugedacht hatten, so hät-
"te ich wohl den Antrag von Jhnen unmittelbar
"erwartet. Mit Jhrer Erlaubniß, ich glaube,
"Sie, mein Herr, sind ein Beweis, daß man
"fromm, ehrbar und gelehrt seyn kann, und doch
"nicht zu leben weiß. Jch danke Jhnen für Jh-
"re christliche Absicht unendlich. Jch finde Be-
"denken, meinen alten Vater zu verlassen, dessen
"Jahre Wartung und Vorsorge brauchen. Kann
"ich in meinem Leben das Glück nicht haben, die
"Versichrung Jhrer Liebe anzunehmen: so wün-
"sche ich mir doch nichts mehr, als die Ehre, daß
"Sie mir nach meinem Tode die Abdankung hal-
"ten. Sie sind der erbaulichste Leichenredner,
"den ich kenne, und ich bin dafür mit unwandel-
"barer Devotion,

Mein Herr,
[Spaltenumbruch] - - - -
am 20sten des Brachm.
1740.
[Spaltenumbruch] Jhre Dienerinn,
F - - -
N. S.

Satyriſche Briefe.
„gen des Ablebens ſeiner vor zehn Jahren ver-
„ſtorbnen Frau ergebenſt zu danken. Mein Vater
„iſt mit mir einig, daß Sie ihr die beſte Leichen-
„predigt gehalten haben; und ich ins beſondre bin
„uͤberzeugt, daß Sie mehr geſchickt ſind, verſtorb-
„nen Frauenzimmern Lobreden zu halten, als den
„itztlebenden Schmeicheleyen vorzuſagen. Haͤt-
„ten Sie um meinen Vater ſelbſt anhalten wollen,
„ſo wuͤrde dieſes freylich der beſte Entſchluß ge-
„weſen ſeyn, ſich an ihn ſelbſt zu wenden. Da
„Sie aber mir die Ehre zugedacht hatten, ſo haͤt-
„te ich wohl den Antrag von Jhnen unmittelbar
„erwartet. Mit Jhrer Erlaubniß, ich glaube,
„Sie, mein Herr, ſind ein Beweis, daß man
„fromm, ehrbar und gelehrt ſeyn kann, und doch
„nicht zu leben weiß. Jch danke Jhnen fuͤr Jh-
„re chriſtliche Abſicht unendlich. Jch finde Be-
„denken, meinen alten Vater zu verlaſſen, deſſen
„Jahre Wartung und Vorſorge brauchen. Kann
„ich in meinem Leben das Gluͤck nicht haben, die
„Verſichrung Jhrer Liebe anzunehmen: ſo wuͤn-
„ſche ich mir doch nichts mehr, als die Ehre, daß
„Sie mir nach meinem Tode die Abdankung hal-
„ten. Sie ſind der erbaulichſte Leichenredner,
„den ich kenne, und ich bin dafuͤr mit unwandel-
„barer Devotion,

Mein Herr,
[Spaltenumbruch] ‒ ‒ ‒ ‒
am 20ſten des Brachm.
1740.
[Spaltenumbruch] Jhre Dienerinn,
F ‒ ‒ ‒
N. S.
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[203/0231] Satyriſche Briefe. „gen des Ablebens ſeiner vor zehn Jahren ver- „ſtorbnen Frau ergebenſt zu danken. Mein Vater „iſt mit mir einig, daß Sie ihr die beſte Leichen- „predigt gehalten haben; und ich ins beſondre bin „uͤberzeugt, daß Sie mehr geſchickt ſind, verſtorb- „nen Frauenzimmern Lobreden zu halten, als den „itztlebenden Schmeicheleyen vorzuſagen. Haͤt- „ten Sie um meinen Vater ſelbſt anhalten wollen, „ſo wuͤrde dieſes freylich der beſte Entſchluß ge- „weſen ſeyn, ſich an ihn ſelbſt zu wenden. Da „Sie aber mir die Ehre zugedacht hatten, ſo haͤt- „te ich wohl den Antrag von Jhnen unmittelbar „erwartet. Mit Jhrer Erlaubniß, ich glaube, „Sie, mein Herr, ſind ein Beweis, daß man „fromm, ehrbar und gelehrt ſeyn kann, und doch „nicht zu leben weiß. Jch danke Jhnen fuͤr Jh- „re chriſtliche Abſicht unendlich. Jch finde Be- „denken, meinen alten Vater zu verlaſſen, deſſen „Jahre Wartung und Vorſorge brauchen. Kann „ich in meinem Leben das Gluͤck nicht haben, die „Verſichrung Jhrer Liebe anzunehmen: ſo wuͤn- „ſche ich mir doch nichts mehr, als die Ehre, daß „Sie mir nach meinem Tode die Abdankung hal- „ten. Sie ſind der erbaulichſte Leichenredner, „den ich kenne, und ich bin dafuͤr mit unwandel- „barer Devotion, Mein Herr, ‒ ‒ ‒ ‒ am 20ſten des Brachm. 1740. Jhre Dienerinn, F ‒ ‒ ‒ N. S.

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752/231>, abgerufen am 17.05.2024.