"Die langwierige Krankheit Jhres Herrn Va- "ters hat mir ein Glück verschafft, das ich "nicht zu schätzen weiß. Bey den öftern Besu- "chen, die ich, als sein Medicus, ablegte, hatte "die Sorge für seine Gesundheit, wenn ich es auf- "richtig gestehn darf, nicht so viel Antheil, als das "Verlangen, Sie, Mademoiselle, zu sehn. Sie "haben mir es oft angemerkt, daß ich zerstreut war. "Sie dachten, es geschähe aus Sorge für die "bedenklichen Umstände Jhres Herrn Vaters: "Sie dachten falsch. Vielmals bin ich mehr mit "mir beschäfftigt gewesen, als mit dem Pulse des "Kranken, den ich in Jhrer Gegenwart zu hal- "ben Stunden mit einer horchenden Mine hielt, "um das stille Vergnügen zu haben, Sie unbe- "wegt anzusehn, wenn Sie, ohne ein Auge von "mir zu verwenden, mit einer kindlichen Zärtlich- "keit den schrecklichen Ausspruch ängstlich erwarte- "ten, den ich über das Leben, oder die Gesund- "heit Jhres Herrn Vaters thun würde. Ent- "schuldigen Sie, Mademoiselle, eine Verwegen- "heit, die sich in der That mit nichts, als Jhrer "Schönheit, und meiner aufrichtigen Hochach- "tung gegen Sie entschuldigen läßt. Da ich so "offenherzig bin, alles dasjenige zu gestehn, was "mir als ein Fehler ausgelegt werden könnte, wenn "Sie weniger billig und gütig wären, als Sie
sind:
Satyriſche Briefe.
Mademoiſelle,
„Die langwierige Krankheit Jhres Herrn Va- „ters hat mir ein Gluͤck verſchafft, das ich „nicht zu ſchaͤtzen weiß. Bey den oͤftern Beſu- „chen, die ich, als ſein Medicus, ablegte, hatte „die Sorge fuͤr ſeine Geſundheit, wenn ich es auf- „richtig geſtehn darf, nicht ſo viel Antheil, als das „Verlangen, Sie, Mademoiſelle, zu ſehn. Sie „haben mir es oft angemerkt, daß ich zerſtreut war. „Sie dachten, es geſchaͤhe aus Sorge fuͤr die „bedenklichen Umſtaͤnde Jhres Herrn Vaters: „Sie dachten falſch. Vielmals bin ich mehr mit „mir beſchaͤfftigt geweſen, als mit dem Pulſe des „Kranken, den ich in Jhrer Gegenwart zu hal- „ben Stunden mit einer horchenden Mine hielt, „um das ſtille Vergnuͤgen zu haben, Sie unbe- „wegt anzuſehn, wenn Sie, ohne ein Auge von „mir zu verwenden, mit einer kindlichen Zaͤrtlich- „keit den ſchrecklichen Ausſpruch aͤngſtlich erwarte- „ten, den ich uͤber das Leben, oder die Geſund- „heit Jhres Herrn Vaters thun wuͤrde. Ent- „ſchuldigen Sie, Mademoiſelle, eine Verwegen- „heit, die ſich in der That mit nichts, als Jhrer „Schoͤnheit, und meiner aufrichtigen Hochach- „tung gegen Sie entſchuldigen laͤßt. Da ich ſo „offenherzig bin, alles dasjenige zu geſtehn, was „mir als ein Fehler ausgelegt werden koͤnnte, wenn „Sie weniger billig und guͤtig waͤren, als Sie
ſind:
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0217"n="189"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Satyriſche Briefe.</hi></fw><lb/><floatingText><body><divtype="letter"><salute><hirendition="#et"><hirendition="#fr">Mademoiſelle,</hi></hi></salute><lb/><p>„<hirendition="#in">D</hi>ie langwierige Krankheit Jhres Herrn Va-<lb/>„ters hat mir ein Gluͤck verſchafft, das ich<lb/>„nicht zu ſchaͤtzen weiß. Bey den oͤftern Beſu-<lb/>„chen, die ich, als ſein Medicus, ablegte, hatte<lb/>„die Sorge fuͤr ſeine Geſundheit, wenn ich es auf-<lb/>„richtig geſtehn darf, nicht ſo viel Antheil, als das<lb/>„Verlangen, Sie, Mademoiſelle, zu ſehn. Sie<lb/>„haben mir es oft angemerkt, daß ich zerſtreut war.<lb/>„Sie dachten, es geſchaͤhe aus Sorge fuͤr die<lb/>„bedenklichen Umſtaͤnde Jhres Herrn Vaters:<lb/>„Sie dachten falſch. Vielmals bin ich mehr mit<lb/>„mir beſchaͤfftigt geweſen, als mit dem Pulſe des<lb/>„Kranken, den ich in Jhrer Gegenwart zu hal-<lb/>„ben Stunden mit einer horchenden Mine hielt,<lb/>„um das ſtille Vergnuͤgen zu haben, Sie unbe-<lb/>„wegt anzuſehn, wenn Sie, ohne ein Auge von<lb/>„mir zu verwenden, mit einer kindlichen Zaͤrtlich-<lb/>„keit den ſchrecklichen Ausſpruch aͤngſtlich erwarte-<lb/>„ten, den ich uͤber das Leben, oder die Geſund-<lb/>„heit Jhres Herrn Vaters thun wuͤrde. Ent-<lb/>„ſchuldigen Sie, Mademoiſelle, eine Verwegen-<lb/>„heit, die ſich in der That mit nichts, als Jhrer<lb/>„Schoͤnheit, und meiner aufrichtigen Hochach-<lb/>„tung gegen Sie entſchuldigen laͤßt. Da ich ſo<lb/>„offenherzig bin, alles dasjenige zu geſtehn, was<lb/>„mir als ein Fehler ausgelegt werden koͤnnte, wenn<lb/>„Sie weniger billig und guͤtig waͤren, als Sie<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ſind:</fw><lb/></p></div></body></floatingText></div></body></text></TEI>
[189/0217]
Satyriſche Briefe.
Mademoiſelle,
„Die langwierige Krankheit Jhres Herrn Va-
„ters hat mir ein Gluͤck verſchafft, das ich
„nicht zu ſchaͤtzen weiß. Bey den oͤftern Beſu-
„chen, die ich, als ſein Medicus, ablegte, hatte
„die Sorge fuͤr ſeine Geſundheit, wenn ich es auf-
„richtig geſtehn darf, nicht ſo viel Antheil, als das
„Verlangen, Sie, Mademoiſelle, zu ſehn. Sie
„haben mir es oft angemerkt, daß ich zerſtreut war.
„Sie dachten, es geſchaͤhe aus Sorge fuͤr die
„bedenklichen Umſtaͤnde Jhres Herrn Vaters:
„Sie dachten falſch. Vielmals bin ich mehr mit
„mir beſchaͤfftigt geweſen, als mit dem Pulſe des
„Kranken, den ich in Jhrer Gegenwart zu hal-
„ben Stunden mit einer horchenden Mine hielt,
„um das ſtille Vergnuͤgen zu haben, Sie unbe-
„wegt anzuſehn, wenn Sie, ohne ein Auge von
„mir zu verwenden, mit einer kindlichen Zaͤrtlich-
„keit den ſchrecklichen Ausſpruch aͤngſtlich erwarte-
„ten, den ich uͤber das Leben, oder die Geſund-
„heit Jhres Herrn Vaters thun wuͤrde. Ent-
„ſchuldigen Sie, Mademoiſelle, eine Verwegen-
„heit, die ſich in der That mit nichts, als Jhrer
„Schoͤnheit, und meiner aufrichtigen Hochach-
„tung gegen Sie entſchuldigen laͤßt. Da ich ſo
„offenherzig bin, alles dasjenige zu geſtehn, was
„mir als ein Fehler ausgelegt werden koͤnnte, wenn
„Sie weniger billig und guͤtig waͤren, als Sie
ſind:
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752/217>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.