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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752.

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Satyrische Briefe.
Manne, den die Gerichtsherrschaft für redlich,
den die Unterthanen für unpartheyisch halten, wie
leicht, sage ich, muß es einem rechtschaffnen
Manne fallen, alle die Verbitterungen und Pro-
cesse zu heben, welche die Herrschaft und die Un-
terthanen zugleich unglücklich machen. Kaum
waren zwey Jahre verflossen, als er alle Streitig-
keiten vom Grunde aus verglichen hatte. Seine
Vorsicht hat bis itzt neuen Jrrungen vorzubeugen
gewußt. Durch seine vernünftige Vorstellungen
hat er seinem Edelmanne begreiflich gemacht, daß
die Bauern Menschen, und in unserm Lande keine
Sklaven sind. Er hat den wunderbaren Satz be-
hauptet, daß ein verarmter Unterthan viel unru-
higer und gefährlicher sey, als ein bemittelter.
Die Bauern hingegen hat er durch sein Ansehn,
und, wo es nöthig gewesen, mit Nachdruck zu
ihrer Schuldigkeit angehalten. Nunmehr sehen
sie es ein, wie glücklich sie bey dieser Ruhe und
Eintracht sind. Sie arbeiten an der Erhaltung
derselben mit ihm gemeinschaftlich, und werden
reich. Jn vorigen Zeiten war dieses Dorf das
Geheege verschiedner hungriger Advocaten, wel-
che den Stolz der Gerichtsherrschaft und den Trotz
der Unterthanen misbrauchten. Seit acht Jah-
ren sind sie verscheucht; sie vermeiden so gar diesen
Ort, in welchem sie nunmehr verhaßt sind, und
eilen misvergnügt von ferne vorbey, wie ein Wolf
vor einer Heerde, welche unter der Wachsamkeit
ihres Hirten, und der Treue seiner Hunde ruhig ist.

Ver-

Satyriſche Briefe.
Manne, den die Gerichtsherrſchaft fuͤr redlich,
den die Unterthanen fuͤr unpartheyiſch halten, wie
leicht, ſage ich, muß es einem rechtſchaffnen
Manne fallen, alle die Verbitterungen und Pro-
ceſſe zu heben, welche die Herrſchaft und die Un-
terthanen zugleich ungluͤcklich machen. Kaum
waren zwey Jahre verfloſſen, als er alle Streitig-
keiten vom Grunde aus verglichen hatte. Seine
Vorſicht hat bis itzt neuen Jrrungen vorzubeugen
gewußt. Durch ſeine vernuͤnftige Vorſtellungen
hat er ſeinem Edelmanne begreiflich gemacht, daß
die Bauern Menſchen, und in unſerm Lande keine
Sklaven ſind. Er hat den wunderbaren Satz be-
hauptet, daß ein verarmter Unterthan viel unru-
higer und gefaͤhrlicher ſey, als ein bemittelter.
Die Bauern hingegen hat er durch ſein Anſehn,
und, wo es noͤthig geweſen, mit Nachdruck zu
ihrer Schuldigkeit angehalten. Nunmehr ſehen
ſie es ein, wie gluͤcklich ſie bey dieſer Ruhe und
Eintracht ſind. Sie arbeiten an der Erhaltung
derſelben mit ihm gemeinſchaftlich, und werden
reich. Jn vorigen Zeiten war dieſes Dorf das
Geheege verſchiedner hungriger Advocaten, wel-
che den Stolz der Gerichtsherrſchaft und den Trotz
der Unterthanen misbrauchten. Seit acht Jah-
ren ſind ſie verſcheucht; ſie vermeiden ſo gar dieſen
Ort, in welchem ſie nunmehr verhaßt ſind, und
eilen misvergnuͤgt von ferne vorbey, wie ein Wolf
vor einer Heerde, welche unter der Wachſamkeit
ihres Hirten, und der Treue ſeiner Hunde ruhig iſt.

Ver-
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[166/0194] Satyriſche Briefe. Manne, den die Gerichtsherrſchaft fuͤr redlich, den die Unterthanen fuͤr unpartheyiſch halten, wie leicht, ſage ich, muß es einem rechtſchaffnen Manne fallen, alle die Verbitterungen und Pro- ceſſe zu heben, welche die Herrſchaft und die Un- terthanen zugleich ungluͤcklich machen. Kaum waren zwey Jahre verfloſſen, als er alle Streitig- keiten vom Grunde aus verglichen hatte. Seine Vorſicht hat bis itzt neuen Jrrungen vorzubeugen gewußt. Durch ſeine vernuͤnftige Vorſtellungen hat er ſeinem Edelmanne begreiflich gemacht, daß die Bauern Menſchen, und in unſerm Lande keine Sklaven ſind. Er hat den wunderbaren Satz be- hauptet, daß ein verarmter Unterthan viel unru- higer und gefaͤhrlicher ſey, als ein bemittelter. Die Bauern hingegen hat er durch ſein Anſehn, und, wo es noͤthig geweſen, mit Nachdruck zu ihrer Schuldigkeit angehalten. Nunmehr ſehen ſie es ein, wie gluͤcklich ſie bey dieſer Ruhe und Eintracht ſind. Sie arbeiten an der Erhaltung derſelben mit ihm gemeinſchaftlich, und werden reich. Jn vorigen Zeiten war dieſes Dorf das Geheege verſchiedner hungriger Advocaten, wel- che den Stolz der Gerichtsherrſchaft und den Trotz der Unterthanen misbrauchten. Seit acht Jah- ren ſind ſie verſcheucht; ſie vermeiden ſo gar dieſen Ort, in welchem ſie nunmehr verhaßt ſind, und eilen misvergnuͤgt von ferne vorbey, wie ein Wolf vor einer Heerde, welche unter der Wachſamkeit ihres Hirten, und der Treue ſeiner Hunde ruhig iſt. Ver-

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752/194>, abgerufen am 23.11.2024.