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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751.

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von den abgeschiedenen Seelen.
dergleichen Träumereyen sich in ihrem Leben an mei-
sten beschäfftigte. Sie hat in jener Welt die edlen
Bemühungen vernünftiger Männer um den guten
Geschmack sehr übel verstanden. Was jene durch
Wissenschaft und Bescheidenheit erhielten, das such-
te sie durch Geschrey und Ungestüm vergebens zu
erhalten.

Mein Führer wollte weiter reden, allein,
ich war aus Neubegierde so ungeduldig, daß ich
ihn bey der Hand faßte, und mich durch den Pöbel
drängte. Jch sahe auf einem hohen Gerüste eine
Seele, in der gewöhnlichen Pracht eines Markt-
schreyers, für welchen ich ihn gewiß gehalten haben
würde, wenn nicht, wie gedacht, mein Führer mir
vorher gesagt hätte, daß es ein Charlatan des gu-
ten Geschmacks sey. Er hatte sich auf einem erhab-
nen Orte, wo er alles übersehen, und ein jeder auch
ihn wahrnehmen konnte, das Gerüste erbaut. Je-
doch war die Architektur daran sehr gothisch und ab-
geschmackt, und die Verzierungen waren ganz un-
gleich. Einige Stücke davon bestunden in Schnitz-
werke, welche sehr prächtig und mit vieler Kunst aus-
gearbeitet zu seyn schienen. Mein Führer versicherte
mich, daß dieser Charlatan solche aus alten Tempeln
entwendet, in welchen man sie als merkwürdige Ueber-
reste der griechischen und römischen Architektur auf-
gehoben, verschiedne aber durch einige seiner Ban-
de, so er zu Londen und Paris deswegen unterhal-
ten, erbeutet hätte, und nunmehr so unverschämt
sey, solches für seiner eignen Hände Arbeit aus-
zugeben, ungeachtet man ihn mehr als einmal

seiner

von den abgeſchiedenen Seelen.
dergleichen Traͤumereyen ſich in ihrem Leben an mei-
ſten beſchaͤfftigte. Sie hat in jener Welt die edlen
Bemuͤhungen vernuͤnftiger Maͤnner um den guten
Geſchmack ſehr uͤbel verſtanden. Was jene durch
Wiſſenſchaft und Beſcheidenheit erhielten, das ſuch-
te ſie durch Geſchrey und Ungeſtuͤm vergebens zu
erhalten.

Mein Fuͤhrer wollte weiter reden, allein,
ich war aus Neubegierde ſo ungeduldig, daß ich
ihn bey der Hand faßte, und mich durch den Poͤbel
draͤngte. Jch ſahe auf einem hohen Geruͤſte eine
Seele, in der gewoͤhnlichen Pracht eines Markt-
ſchreyers, fuͤr welchen ich ihn gewiß gehalten haben
wuͤrde, wenn nicht, wie gedacht, mein Fuͤhrer mir
vorher geſagt haͤtte, daß es ein Charlatan des gu-
ten Geſchmacks ſey. Er hatte ſich auf einem erhab-
nen Orte, wo er alles uͤberſehen, und ein jeder auch
ihn wahrnehmen konnte, das Geruͤſte erbaut. Je-
doch war die Architektur daran ſehr gothiſch und ab-
geſchmackt, und die Verzierungen waren ganz un-
gleich. Einige Stuͤcke davon beſtunden in Schnitz-
werke, welche ſehr praͤchtig und mit vieler Kunſt aus-
gearbeitet zu ſeyn ſchienen. Mein Fuͤhrer verſicherte
mich, daß dieſer Charlatan ſolche aus alten Tempeln
entwendet, in welchen man ſie als merkwuͤrdige Ueber-
reſte der griechiſchen und roͤmiſchen Architektur auf-
gehoben, verſchiedne aber durch einige ſeiner Ban-
de, ſo er zu Londen und Paris deswegen unterhal-
ten, erbeutet haͤtte, und nunmehr ſo unverſchaͤmt
ſey, ſolches fuͤr ſeiner eignen Haͤnde Arbeit aus-
zugeben, ungeachtet man ihn mehr als einmal

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[29/0029] von den abgeſchiedenen Seelen. dergleichen Traͤumereyen ſich in ihrem Leben an mei- ſten beſchaͤfftigte. Sie hat in jener Welt die edlen Bemuͤhungen vernuͤnftiger Maͤnner um den guten Geſchmack ſehr uͤbel verſtanden. Was jene durch Wiſſenſchaft und Beſcheidenheit erhielten, das ſuch- te ſie durch Geſchrey und Ungeſtuͤm vergebens zu erhalten. Mein Fuͤhrer wollte weiter reden, allein, ich war aus Neubegierde ſo ungeduldig, daß ich ihn bey der Hand faßte, und mich durch den Poͤbel draͤngte. Jch ſahe auf einem hohen Geruͤſte eine Seele, in der gewoͤhnlichen Pracht eines Markt- ſchreyers, fuͤr welchen ich ihn gewiß gehalten haben wuͤrde, wenn nicht, wie gedacht, mein Fuͤhrer mir vorher geſagt haͤtte, daß es ein Charlatan des gu- ten Geſchmacks ſey. Er hatte ſich auf einem erhab- nen Orte, wo er alles uͤberſehen, und ein jeder auch ihn wahrnehmen konnte, das Geruͤſte erbaut. Je- doch war die Architektur daran ſehr gothiſch und ab- geſchmackt, und die Verzierungen waren ganz un- gleich. Einige Stuͤcke davon beſtunden in Schnitz- werke, welche ſehr praͤchtig und mit vieler Kunſt aus- gearbeitet zu ſeyn ſchienen. Mein Fuͤhrer verſicherte mich, daß dieſer Charlatan ſolche aus alten Tempeln entwendet, in welchen man ſie als merkwuͤrdige Ueber- reſte der griechiſchen und roͤmiſchen Architektur auf- gehoben, verſchiedne aber durch einige ſeiner Ban- de, ſo er zu Londen und Paris deswegen unterhal- ten, erbeutet haͤtte, und nunmehr ſo unverſchaͤmt ſey, ſolches fuͤr ſeiner eignen Haͤnde Arbeit aus- zugeben, ungeachtet man ihn mehr als einmal ſeiner

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/29>, abgerufen am 24.11.2024.