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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751.

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zum deutschen Wörterbuche.
gendhaft war. Jn dieser Stadt schätzte jedermann
die Dichtkunst nach ihren Würden. Kein Reimer
ward daselbst geduldet, und man hat zween aus
dem Weichbilde verwiesen, welche aus Faulheit
nicht arbeiten wollten, sondern zur Stillung ihres
Hungers reichen Kaufleuten zu ihren Namenstagen
gratulirten. Jch wollte dem Herrn Stelpo wohl-
meynend rathen, daß er sich in diese Stadt nicht
wagte! Alle Leute suchten die Freundschaft des
Phokles zu gewinnen, damit er ihnen die Fehler
entdecken sollte, welche sie an sich hätten. Der
Bischof daselbst bat ihn gleichfalls darum, und diesem
sagte er: Du bist ein hochmüthiger, ein eitler,
ein niederträchtiger und harter Mann; du lehrest
deine Gemeine sehr erbaulich, aber sie kann deinen
Lehren nicht glauben, weil dein Leben beweist, daß
du sie selbst nicht für wahr hältst! Dieses bewegte
den Bischof dergestalt, daß er ihn aufs zärtlichste
umarmte, und seine redliche Offenherzigkeit vor öf-
fentlicher Gemeine pries. Als er dem regierenden
Bürgermeister entdeckte, daß er ein sehr unwissen-
der Mann, und nicht werth wäre, ein Vater der
Stadt zu heißen, so lange er nicht unterließe, mehr
auf seinen Nutzen, als auf den Nutzen seiner Bür-
ger, zu sehen: So fehlte nicht viel, daß ihn die-
ser nicht mit Gewalt genöthigt hätte, an seiner
Stelle das Ehrenamt eines Bürgermeisters anzu-
nehmen. Rathsherr aber mußte er doch werden;
er mochte wollen, oder nicht. Es war erstaunlich

anzu-

zum deutſchen Woͤrterbuche.
gendhaft war. Jn dieſer Stadt ſchaͤtzte jedermann
die Dichtkunſt nach ihren Wuͤrden. Kein Reimer
ward daſelbſt geduldet, und man hat zween aus
dem Weichbilde verwieſen, welche aus Faulheit
nicht arbeiten wollten, ſondern zur Stillung ihres
Hungers reichen Kaufleuten zu ihren Namenstagen
gratulirten. Jch wollte dem Herrn Stelpo wohl-
meynend rathen, daß er ſich in dieſe Stadt nicht
wagte! Alle Leute ſuchten die Freundſchaft des
Phokles zu gewinnen, damit er ihnen die Fehler
entdecken ſollte, welche ſie an ſich haͤtten. Der
Biſchof daſelbſt bat ihn gleichfalls darum, und dieſem
ſagte er: Du biſt ein hochmuͤthiger, ein eitler,
ein niedertraͤchtiger und harter Mann; du lehreſt
deine Gemeine ſehr erbaulich, aber ſie kann deinen
Lehren nicht glauben, weil dein Leben beweiſt, daß
du ſie ſelbſt nicht fuͤr wahr haͤltſt! Dieſes bewegte
den Biſchof dergeſtalt, daß er ihn aufs zaͤrtlichſte
umarmte, und ſeine redliche Offenherzigkeit vor oͤf-
fentlicher Gemeine pries. Als er dem regierenden
Buͤrgermeiſter entdeckte, daß er ein ſehr unwiſſen-
der Mann, und nicht werth waͤre, ein Vater der
Stadt zu heißen, ſo lange er nicht unterließe, mehr
auf ſeinen Nutzen, als auf den Nutzen ſeiner Buͤr-
ger, zu ſehen: So fehlte nicht viel, daß ihn die-
ſer nicht mit Gewalt genoͤthigt haͤtte, an ſeiner
Stelle das Ehrenamt eines Buͤrgermeiſters anzu-
nehmen. Rathsherr aber mußte er doch werden;
er mochte wollen, oder nicht. Es war erſtaunlich

anzu-
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[221/0221] zum deutſchen Woͤrterbuche. gendhaft war. Jn dieſer Stadt ſchaͤtzte jedermann die Dichtkunſt nach ihren Wuͤrden. Kein Reimer ward daſelbſt geduldet, und man hat zween aus dem Weichbilde verwieſen, welche aus Faulheit nicht arbeiten wollten, ſondern zur Stillung ihres Hungers reichen Kaufleuten zu ihren Namenstagen gratulirten. Jch wollte dem Herrn Stelpo wohl- meynend rathen, daß er ſich in dieſe Stadt nicht wagte! Alle Leute ſuchten die Freundſchaft des Phokles zu gewinnen, damit er ihnen die Fehler entdecken ſollte, welche ſie an ſich haͤtten. Der Biſchof daſelbſt bat ihn gleichfalls darum, und dieſem ſagte er: Du biſt ein hochmuͤthiger, ein eitler, ein niedertraͤchtiger und harter Mann; du lehreſt deine Gemeine ſehr erbaulich, aber ſie kann deinen Lehren nicht glauben, weil dein Leben beweiſt, daß du ſie ſelbſt nicht fuͤr wahr haͤltſt! Dieſes bewegte den Biſchof dergeſtalt, daß er ihn aufs zaͤrtlichſte umarmte, und ſeine redliche Offenherzigkeit vor oͤf- fentlicher Gemeine pries. Als er dem regierenden Buͤrgermeiſter entdeckte, daß er ein ſehr unwiſſen- der Mann, und nicht werth waͤre, ein Vater der Stadt zu heißen, ſo lange er nicht unterließe, mehr auf ſeinen Nutzen, als auf den Nutzen ſeiner Buͤr- ger, zu ſehen: So fehlte nicht viel, daß ihn die- ſer nicht mit Gewalt genoͤthigt haͤtte, an ſeiner Stelle das Ehrenamt eines Buͤrgermeiſters anzu- nehmen. Rathsherr aber mußte er doch werden; er mochte wollen, oder nicht. Es war erſtaunlich anzu-

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/221>, abgerufen am 23.11.2024.