Das Mädchen hat Verstand, sagt ein Lieb- haber, der nur aufs Geld sieht, wenn gleich sein Mädchen weiter nichts thut, als daß es Caffee trinkt, Lomber spielt, Knötchen macht, zum Fenster her- aus sieht, und wenn es hoch kömmt, über das Nachtzeug ihrer Nachbarinn spottet. Jn Gesell- schaften, wo sie keines von diesem allem thun kann, ist sie nicht im Stande, etwas weiter zu sagen, als ein trocknes Ja und Nein; und spielte sie nicht mit ihrem Fächer: So würde man sie für eine schöne Statue ansehen. Aber, das thut alles nichts; für ihren Liebhaber hat sie doch viel Verstand, denn ihre Mutter hat ihr ein sehr schönes Vermögen hin- terlassen.
Der Mensch hat einen sehr guten natür- lichen Verstand, heißt so viel: Er hat von seinen Aeltern eine reiche Erbschaft überkommen, und nicht nöthig gehabt, selbst Geld zu verdienen.
Was also dieses heiße: Er wuchert mit sei- nem Verstande, das darf ich niemanden erklären; es versteht sich von sich selbst.
Jch bin der dümmste eben nicht, denn ich habe auch etwas weniges von Vermögen, und dieses hat mir Gelegenheit gegeben, durch eine dreyßigjäh- rige Erfahrung die verschiednen Grade des Ver- standes kennen zu lernen. Nach gegenwärtigem
Cours
Verſuch
Das Maͤdchen hat Verſtand, ſagt ein Lieb- haber, der nur aufs Geld ſieht, wenn gleich ſein Maͤdchen weiter nichts thut, als daß es Caffee trinkt, Lomber ſpielt, Knoͤtchen macht, zum Fenſter her- aus ſieht, und wenn es hoch koͤmmt, uͤber das Nachtzeug ihrer Nachbarinn ſpottet. Jn Geſell- ſchaften, wo ſie keines von dieſem allem thun kann, iſt ſie nicht im Stande, etwas weiter zu ſagen, als ein trocknes Ja und Nein; und ſpielte ſie nicht mit ihrem Faͤcher: So wuͤrde man ſie fuͤr eine ſchoͤne Statue anſehen. Aber, das thut alles nichts; fuͤr ihren Liebhaber hat ſie doch viel Verſtand, denn ihre Mutter hat ihr ein ſehr ſchoͤnes Vermoͤgen hin- terlaſſen.
Der Menſch hat einen ſehr guten natuͤr- lichen Verſtand, heißt ſo viel: Er hat von ſeinen Aeltern eine reiche Erbſchaft uͤberkommen, und nicht noͤthig gehabt, ſelbſt Geld zu verdienen.
Was alſo dieſes heiße: Er wuchert mit ſei- nem Verſtande, das darf ich niemanden erklaͤren; es verſteht ſich von ſich ſelbſt.
Jch bin der duͤmmſte eben nicht, denn ich habe auch etwas weniges von Vermoͤgen, und dieſes hat mir Gelegenheit gegeben, durch eine dreyßigjaͤh- rige Erfahrung die verſchiednen Grade des Ver- ſtandes kennen zu lernen. Nach gegenwaͤrtigem
Cours
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Verſuch
Das Maͤdchen hat Verſtand, ſagt ein Lieb-
haber, der nur aufs Geld ſieht, wenn gleich ſein
Maͤdchen weiter nichts thut, als daß es Caffee trinkt,
Lomber ſpielt, Knoͤtchen macht, zum Fenſter her-
aus ſieht, und wenn es hoch koͤmmt, uͤber das
Nachtzeug ihrer Nachbarinn ſpottet. Jn Geſell-
ſchaften, wo ſie keines von dieſem allem thun kann,
iſt ſie nicht im Stande, etwas weiter zu ſagen, als
ein trocknes Ja und Nein; und ſpielte ſie nicht mit
ihrem Faͤcher: So wuͤrde man ſie fuͤr eine ſchoͤne
Statue anſehen. Aber, das thut alles nichts; fuͤr
ihren Liebhaber hat ſie doch viel Verſtand, denn
ihre Mutter hat ihr ein ſehr ſchoͤnes Vermoͤgen hin-
terlaſſen.
Der Menſch hat einen ſehr guten natuͤr-
lichen Verſtand, heißt ſo viel: Er hat von ſeinen
Aeltern eine reiche Erbſchaft uͤberkommen, und nicht
noͤthig gehabt, ſelbſt Geld zu verdienen.
Was alſo dieſes heiße: Er wuchert mit ſei-
nem Verſtande, das darf ich niemanden erklaͤren;
es verſteht ſich von ſich ſelbſt.
Jch bin der duͤmmſte eben nicht, denn ich habe
auch etwas weniges von Vermoͤgen, und dieſes
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/202>, abgerufen am 16.07.2024.
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