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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751.

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Das Mädchen hat Verstand, sagt ein Lieb-
haber, der nur aufs Geld sieht, wenn gleich sein
Mädchen weiter nichts thut, als daß es Caffee trinkt,
Lomber spielt, Knötchen macht, zum Fenster her-
aus sieht, und wenn es hoch kömmt, über das
Nachtzeug ihrer Nachbarinn spottet. Jn Gesell-
schaften, wo sie keines von diesem allem thun kann,
ist sie nicht im Stande, etwas weiter zu sagen, als
ein trocknes Ja und Nein; und spielte sie nicht mit
ihrem Fächer: So würde man sie für eine schöne
Statue ansehen. Aber, das thut alles nichts; für
ihren Liebhaber hat sie doch viel Verstand, denn
ihre Mutter hat ihr ein sehr schönes Vermögen hin-
terlassen.

Der Mensch hat einen sehr guten natür-
lichen Verstand,
heißt so viel: Er hat von seinen
Aeltern eine reiche Erbschaft überkommen, und nicht
nöthig gehabt, selbst Geld zu verdienen.

Was also dieses heiße: Er wuchert mit sei-
nem Verstande,
das darf ich niemanden erklären;
es versteht sich von sich selbst.

Jch bin der dümmste eben nicht, denn ich habe
auch etwas weniges von Vermögen, und dieses
hat mir Gelegenheit gegeben, durch eine dreyßigjäh-
rige Erfahrung die verschiednen Grade des Ver-
standes kennen zu lernen. Nach gegenwärtigem

Cours
Verſuch

Das Maͤdchen hat Verſtand, ſagt ein Lieb-
haber, der nur aufs Geld ſieht, wenn gleich ſein
Maͤdchen weiter nichts thut, als daß es Caffee trinkt,
Lomber ſpielt, Knoͤtchen macht, zum Fenſter her-
aus ſieht, und wenn es hoch koͤmmt, uͤber das
Nachtzeug ihrer Nachbarinn ſpottet. Jn Geſell-
ſchaften, wo ſie keines von dieſem allem thun kann,
iſt ſie nicht im Stande, etwas weiter zu ſagen, als
ein trocknes Ja und Nein; und ſpielte ſie nicht mit
ihrem Faͤcher: So wuͤrde man ſie fuͤr eine ſchoͤne
Statue anſehen. Aber, das thut alles nichts; fuͤr
ihren Liebhaber hat ſie doch viel Verſtand, denn
ihre Mutter hat ihr ein ſehr ſchoͤnes Vermoͤgen hin-
terlaſſen.

Der Menſch hat einen ſehr guten natuͤr-
lichen Verſtand,
heißt ſo viel: Er hat von ſeinen
Aeltern eine reiche Erbſchaft uͤberkommen, und nicht
noͤthig gehabt, ſelbſt Geld zu verdienen.

Was alſo dieſes heiße: Er wuchert mit ſei-
nem Verſtande,
das darf ich niemanden erklaͤren;
es verſteht ſich von ſich ſelbſt.

Jch bin der duͤmmſte eben nicht, denn ich habe
auch etwas weniges von Vermoͤgen, und dieſes
hat mir Gelegenheit gegeben, durch eine dreyßigjaͤh-
rige Erfahrung die verſchiednen Grade des Ver-
ſtandes kennen zu lernen. Nach gegenwaͤrtigem

Cours
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[202/0202] Verſuch Das Maͤdchen hat Verſtand, ſagt ein Lieb- haber, der nur aufs Geld ſieht, wenn gleich ſein Maͤdchen weiter nichts thut, als daß es Caffee trinkt, Lomber ſpielt, Knoͤtchen macht, zum Fenſter her- aus ſieht, und wenn es hoch koͤmmt, uͤber das Nachtzeug ihrer Nachbarinn ſpottet. Jn Geſell- ſchaften, wo ſie keines von dieſem allem thun kann, iſt ſie nicht im Stande, etwas weiter zu ſagen, als ein trocknes Ja und Nein; und ſpielte ſie nicht mit ihrem Faͤcher: So wuͤrde man ſie fuͤr eine ſchoͤne Statue anſehen. Aber, das thut alles nichts; fuͤr ihren Liebhaber hat ſie doch viel Verſtand, denn ihre Mutter hat ihr ein ſehr ſchoͤnes Vermoͤgen hin- terlaſſen. Der Menſch hat einen ſehr guten natuͤr- lichen Verſtand, heißt ſo viel: Er hat von ſeinen Aeltern eine reiche Erbſchaft uͤberkommen, und nicht noͤthig gehabt, ſelbſt Geld zu verdienen. Was alſo dieſes heiße: Er wuchert mit ſei- nem Verſtande, das darf ich niemanden erklaͤren; es verſteht ſich von ſich ſelbſt. Jch bin der duͤmmſte eben nicht, denn ich habe auch etwas weniges von Vermoͤgen, und dieſes hat mir Gelegenheit gegeben, durch eine dreyßigjaͤh- rige Erfahrung die verſchiednen Grade des Ver- ſtandes kennen zu lernen. Nach gegenwaͤrtigem Cours

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/202>, abgerufen am 23.11.2024.