Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite

Noten ohne Text
welcher das Orakel aller unruhigen Bauern, die
Zuflucht aller zänkischen Nachbarn, und ein Vor-
mund aller Schelme und Diebe ist. Wer ihn auf
der Richterstube hört, oder seine eingebrachten Sä-
tze liest, der sollte gewiß glauben, es würde Witt-
wen und Waisen und dem ganzen Vaterlande sehr
ersprießlich seyn, wenn er in den nächsten vier Wo-
chen gehangen würde. Und dennoch weis dieser
Priester der Gerechtigkeit, in gewissen Gesellschaften,
von der Liebe des Nächsten, von den Pflichten der
Menschen, von den wichtigsten Wahrheiten jenes
Lebens, so gesetzt und so lehrreich zu reden, daß ein
gewisser Edelmann nur ohnlängst zweifelhaft war,
ob er, wo nicht ein Qvacker, doch wenigstens ein
Mißionarius sey, welcher Heiden bekehren wollte.
Wenn Doctor Purgan vor dem Krankenbette steht,
und mit einer räthselhaften Miene an den Puls fühlt:
So sind seine Gespräche so kunstmäßig und grie-
chisch, daß man darauf schwören sollte, er habe das
Fieber selbst. Und eben dieser Herr Doctor Pur-
gan kann bey jener Kaufmannsfrau, deren Leibarzt
er ist, so deutlich und vernehmlich reden, als kein
Schäfer bey seiner Phyllis. Würde es nicht verwe-
gen seyn, wenn ich diejenigen nicht für Philoso-
phen halten wollte, welche eigennützig, rachsüchtig,
wollüstig, hochmüthig, mit einem Worte, welche
auf der Catheder große Weltweisen, und, in ihrem
Hause, die kleinsten Geister sind? Jener Heuchler,
mit gefaltnen Händen, welcher uns wöchentlich - - -.
So weit geht die Note; das übrige erklärt unser
Text.

Und
K 2

Noten ohne Text
welcher das Orakel aller unruhigen Bauern, die
Zuflucht aller zaͤnkiſchen Nachbarn, und ein Vor-
mund aller Schelme und Diebe iſt. Wer ihn auf
der Richterſtube hoͤrt, oder ſeine eingebrachten Saͤ-
tze lieſt, der ſollte gewiß glauben, es wuͤrde Witt-
wen und Waiſen und dem ganzen Vaterlande ſehr
erſprießlich ſeyn, wenn er in den naͤchſten vier Wo-
chen gehangen wuͤrde. Und dennoch weis dieſer
Prieſter der Gerechtigkeit, in gewiſſen Geſellſchaften,
von der Liebe des Naͤchſten, von den Pflichten der
Menſchen, von den wichtigſten Wahrheiten jenes
Lebens, ſo geſetzt und ſo lehrreich zu reden, daß ein
gewiſſer Edelmann nur ohnlaͤngſt zweifelhaft war,
ob er, wo nicht ein Qvacker, doch wenigſtens ein
Mißionarius ſey, welcher Heiden bekehren wollte.
Wenn Doctor Purgan vor dem Krankenbette ſteht,
und mit einer raͤthſelhaften Miene an den Puls fuͤhlt:
So ſind ſeine Geſpraͤche ſo kunſtmaͤßig und grie-
chiſch, daß man darauf ſchwoͤren ſollte, er habe das
Fieber ſelbſt. Und eben dieſer Herr Doctor Pur-
gan kann bey jener Kaufmannsfrau, deren Leibarzt
er iſt, ſo deutlich und vernehmlich reden, als kein
Schaͤfer bey ſeiner Phyllis. Wuͤrde es nicht verwe-
gen ſeyn, wenn ich diejenigen nicht fuͤr Philoſo-
phen halten wollte, welche eigennuͤtzig, rachſuͤchtig,
wolluͤſtig, hochmuͤthig, mit einem Worte, welche
auf der Catheder große Weltweiſen, und, in ihrem
Hauſe, die kleinſten Geiſter ſind? Jener Heuchler,
mit gefaltnen Haͤnden, welcher uns woͤchentlich ‒ ‒ ‒.
So weit geht die Note; das uͤbrige erklaͤrt unſer
Text.

Und
K 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0147" n="147"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Noten ohne Text</hi></fw><lb/>
welcher das Orakel aller unruhigen Bauern, die<lb/>
Zuflucht aller za&#x0364;nki&#x017F;chen Nachbarn, und ein Vor-<lb/>
mund aller Schelme und Diebe i&#x017F;t. Wer ihn auf<lb/>
der Richter&#x017F;tube ho&#x0364;rt, oder &#x017F;eine eingebrachten Sa&#x0364;-<lb/>
tze lie&#x017F;t, der &#x017F;ollte gewiß glauben, es wu&#x0364;rde Witt-<lb/>
wen und Wai&#x017F;en und dem ganzen Vaterlande &#x017F;ehr<lb/>
er&#x017F;prießlich &#x017F;eyn, wenn er in den na&#x0364;ch&#x017F;ten vier Wo-<lb/>
chen gehangen wu&#x0364;rde. Und dennoch weis die&#x017F;er<lb/>
Prie&#x017F;ter der Gerechtigkeit, in gewi&#x017F;&#x017F;en Ge&#x017F;ell&#x017F;chaften,<lb/>
von der Liebe des Na&#x0364;ch&#x017F;ten, von den Pflichten der<lb/>
Men&#x017F;chen, von den wichtig&#x017F;ten Wahrheiten jenes<lb/>
Lebens, &#x017F;o ge&#x017F;etzt und &#x017F;o lehrreich zu reden, daß ein<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;er Edelmann nur ohnla&#x0364;ng&#x017F;t zweifelhaft war,<lb/>
ob er, wo nicht ein Qvacker, doch wenig&#x017F;tens ein<lb/>
Mißionarius &#x017F;ey, welcher Heiden bekehren wollte.<lb/>
Wenn Doctor Purgan vor dem Krankenbette &#x017F;teht,<lb/>
und mit einer ra&#x0364;th&#x017F;elhaften Miene an den Puls fu&#x0364;hlt:<lb/>
So &#x017F;ind &#x017F;eine Ge&#x017F;pra&#x0364;che &#x017F;o kun&#x017F;tma&#x0364;ßig und grie-<lb/>
chi&#x017F;ch, daß man darauf &#x017F;chwo&#x0364;ren &#x017F;ollte, er habe das<lb/>
Fieber &#x017F;elb&#x017F;t. Und eben die&#x017F;er Herr Doctor Pur-<lb/>
gan kann bey jener Kaufmannsfrau, deren Leibarzt<lb/>
er i&#x017F;t, &#x017F;o deutlich und vernehmlich reden, als kein<lb/>
Scha&#x0364;fer bey &#x017F;einer Phyllis. Wu&#x0364;rde es nicht verwe-<lb/>
gen &#x017F;eyn, wenn ich diejenigen nicht fu&#x0364;r Philo&#x017F;o-<lb/>
phen halten wollte, welche eigennu&#x0364;tzig, rach&#x017F;u&#x0364;chtig,<lb/>
wollu&#x0364;&#x017F;tig, hochmu&#x0364;thig, mit einem Worte, welche<lb/>
auf der Catheder große Weltwei&#x017F;en, und, in ihrem<lb/>
Hau&#x017F;e, die klein&#x017F;ten Gei&#x017F;ter &#x017F;ind? Jener Heuchler,<lb/>
mit gefaltnen Ha&#x0364;nden, welcher uns wo&#x0364;chentlich &#x2012; &#x2012; &#x2012;.<lb/>
So weit geht die Note; das u&#x0364;brige erkla&#x0364;rt un&#x017F;er<lb/>
Text.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">K 2</fw>
          <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#fr">Und</hi> </fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[147/0147] Noten ohne Text welcher das Orakel aller unruhigen Bauern, die Zuflucht aller zaͤnkiſchen Nachbarn, und ein Vor- mund aller Schelme und Diebe iſt. Wer ihn auf der Richterſtube hoͤrt, oder ſeine eingebrachten Saͤ- tze lieſt, der ſollte gewiß glauben, es wuͤrde Witt- wen und Waiſen und dem ganzen Vaterlande ſehr erſprießlich ſeyn, wenn er in den naͤchſten vier Wo- chen gehangen wuͤrde. Und dennoch weis dieſer Prieſter der Gerechtigkeit, in gewiſſen Geſellſchaften, von der Liebe des Naͤchſten, von den Pflichten der Menſchen, von den wichtigſten Wahrheiten jenes Lebens, ſo geſetzt und ſo lehrreich zu reden, daß ein gewiſſer Edelmann nur ohnlaͤngſt zweifelhaft war, ob er, wo nicht ein Qvacker, doch wenigſtens ein Mißionarius ſey, welcher Heiden bekehren wollte. Wenn Doctor Purgan vor dem Krankenbette ſteht, und mit einer raͤthſelhaften Miene an den Puls fuͤhlt: So ſind ſeine Geſpraͤche ſo kunſtmaͤßig und grie- chiſch, daß man darauf ſchwoͤren ſollte, er habe das Fieber ſelbſt. Und eben dieſer Herr Doctor Pur- gan kann bey jener Kaufmannsfrau, deren Leibarzt er iſt, ſo deutlich und vernehmlich reden, als kein Schaͤfer bey ſeiner Phyllis. Wuͤrde es nicht verwe- gen ſeyn, wenn ich diejenigen nicht fuͤr Philoſo- phen halten wollte, welche eigennuͤtzig, rachſuͤchtig, wolluͤſtig, hochmuͤthig, mit einem Worte, welche auf der Catheder große Weltweiſen, und, in ihrem Hauſe, die kleinſten Geiſter ſind? Jener Heuchler, mit gefaltnen Haͤnden, welcher uns woͤchentlich ‒ ‒ ‒. So weit geht die Note; das uͤbrige erklaͤrt unſer Text. Und K 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/147
Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/147>, abgerufen am 28.11.2024.