Versen. Heißt das nicht die Alten nachahmen, ja so gar übertreffen?
Sein Argwohn) Dieser gieng so weit, daß man niemals eines schlechten Poeten erwähnen konn- te, ohne ihn auf die empfindlichsten Gedanken zu brin- gen, er selbst sey dadurch gemeynt.
Und eine solche Critik, so scharf sie auch ist, wird dennoch mehr Nutzen, als Schaden brin- gen.) Der Einwurf ist ungegründet, wenn man glaubt, es werde dieses eine große Verwirrung und Unordnung in dem demokratischen Reiche des Wi- tzes erregen, und ein solcher unerbittlicher Kunstrich- ter beschwere nur sein Gewissen, indem er sonder Zweifel manche junge und streitbare Muse schüch- tern mache, wenn er ihren Werken, und besonders den Streitschriften, eine ewige Dauer und das Glück, der Nachwelt bekannt zu werden, gänzlich abspricht. Gesetzt auch, wie ich es denn gewiß glaube, daß alle die Streitschriften, welche in unsern Tagen die Hände der Setzer beschäfftigt, und die Geduld der Leser ermüdet haben, in wenig Jahren ihren Untergang erfahren! Benimmt man ihnen denn dadurch ihren Werth gänzlich? Ein Kalender ist eines der nützlichsten Bücher von der Welt. Wenn das neue Jahr kömmt: So kaufen wir ihn mit der größten Begierde; das ganze Jahr über le- sen wir darinnen, und wenn das Jahr vorbey ist, so ist auch der Werth unsers Kalenders vorbey. Würde wohl etwas lächerlicher seyn können, als wenn man diesen Beweis dazu brauchen wollte,
den
Noten ohne Text.
Verſen. Heißt das nicht die Alten nachahmen, ja ſo gar uͤbertreffen?
Sein Argwohn) Dieſer gieng ſo weit, daß man niemals eines ſchlechten Poeten erwaͤhnen konn- te, ohne ihn auf die empfindlichſten Gedanken zu brin- gen, er ſelbſt ſey dadurch gemeynt.
Und eine ſolche Critik, ſo ſcharf ſie auch iſt, wird dennoch mehr Nutzen, als Schaden brin- gen.) Der Einwurf iſt ungegruͤndet, wenn man glaubt, es werde dieſes eine große Verwirrung und Unordnung in dem demokratiſchen Reiche des Wi- tzes erregen, und ein ſolcher unerbittlicher Kunſtrich- ter beſchwere nur ſein Gewiſſen, indem er ſonder Zweifel manche junge und ſtreitbare Muſe ſchuͤch- tern mache, wenn er ihren Werken, und beſonders den Streitſchriften, eine ewige Dauer und das Gluͤck, der Nachwelt bekannt zu werden, gaͤnzlich abſpricht. Geſetzt auch, wie ich es denn gewiß glaube, daß alle die Streitſchriften, welche in unſern Tagen die Haͤnde der Setzer beſchaͤfftigt, und die Geduld der Leſer ermuͤdet haben, in wenig Jahren ihren Untergang erfahren! Benimmt man ihnen denn dadurch ihren Werth gaͤnzlich? Ein Kalender iſt eines der nuͤtzlichſten Buͤcher von der Welt. Wenn das neue Jahr koͤmmt: So kaufen wir ihn mit der groͤßten Begierde; das ganze Jahr uͤber le- ſen wir darinnen, und wenn das Jahr vorbey iſt, ſo iſt auch der Werth unſers Kalenders vorbey. Wuͤrde wohl etwas laͤcherlicher ſeyn koͤnnen, als wenn man dieſen Beweis dazu brauchen wollte,
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Noten ohne Text.
Verſen. Heißt das nicht die Alten nachahmen, ja
ſo gar uͤbertreffen?
Sein Argwohn) Dieſer gieng ſo weit, daß
man niemals eines ſchlechten Poeten erwaͤhnen konn-
te, ohne ihn auf die empfindlichſten Gedanken zu brin-
gen, er ſelbſt ſey dadurch gemeynt.
Und eine ſolche Critik, ſo ſcharf ſie auch iſt,
wird dennoch mehr Nutzen, als Schaden brin-
gen.) Der Einwurf iſt ungegruͤndet, wenn man
glaubt, es werde dieſes eine große Verwirrung und
Unordnung in dem demokratiſchen Reiche des Wi-
tzes erregen, und ein ſolcher unerbittlicher Kunſtrich-
ter beſchwere nur ſein Gewiſſen, indem er ſonder
Zweifel manche junge und ſtreitbare Muſe ſchuͤch-
tern mache, wenn er ihren Werken, und beſonders
den Streitſchriften, eine ewige Dauer und das
Gluͤck, der Nachwelt bekannt zu werden, gaͤnzlich
abſpricht. Geſetzt auch, wie ich es denn gewiß
glaube, daß alle die Streitſchriften, welche in unſern
Tagen die Haͤnde der Setzer beſchaͤfftigt, und die
Geduld der Leſer ermuͤdet haben, in wenig Jahren
ihren Untergang erfahren! Benimmt man ihnen
denn dadurch ihren Werth gaͤnzlich? Ein Kalender
iſt eines der nuͤtzlichſten Buͤcher von der Welt.
Wenn das neue Jahr koͤmmt: So kaufen wir ihn
mit der groͤßten Begierde; das ganze Jahr uͤber le-
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/141>, abgerufen am 16.02.2025.
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