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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751.

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Vorbericht.
ein Verleumder seyn, welcher eben um deswillen
die Satyren verflucht? Es kann seyn, daß ich die-
sen niedrigen Geschöpfen zu viel thue. Vielleicht
ist die Heucheley nur in ihren jüngern Jahren die
Ursache dieser Ausschweifungen; bey zunehmenden
Alter erlangen sie durch die unermüdete Uebung,
böses zu reden, eine solche Fertigkeit darinnen, daß
sie es wirklich mit Ueberzeugung reden, daß sie glau-
ben, Buße zu predigen, wenn sie lästern, und daß
ihnen die Satyre im Ernste verdächtig wird, weil
sie allein den Beruf haben, Heyden zu bekehren.

Bey vielen ist die Begierde, auf die Satyre zu
schmähen, nichts anders, als die Sprache eines bö-
sen Gewissens. Davon sind sie überzeugt, daß die
rühmliche Absicht der Satyre nur diese ist, die Laster
zu verfolgen. Weil sie aber so gar unempfindlich noch
nicht sind, daß sie ihre eignen Laster nicht wahrneh-
men sollten, so wird ihnen diese Absicht schrecklich.
Jeden Streich, der auf die Laster geschieht, fühlen
sie auf ihrem Rücken. Können diese wohl etwas
bessers thun, als daß sie die Satyre überhaupt ver-
dächtig machen? Wie viel haben sie zu ihrer eig-
nen Sicherheit gewonnen, wenn sie diese große Ab-
sicht erreichen? Nun mag die Satyre wider die
Laster eifern; sie ist verdächtig. Man fängt an,

Mitleid
a 4

Vorbericht.
ein Verleumder ſeyn, welcher eben um deswillen
die Satyren verflucht? Es kann ſeyn, daß ich die-
ſen niedrigen Geſchoͤpfen zu viel thue. Vielleicht
iſt die Heucheley nur in ihren juͤngern Jahren die
Urſache dieſer Ausſchweifungen; bey zunehmenden
Alter erlangen ſie durch die unermuͤdete Uebung,
boͤſes zu reden, eine ſolche Fertigkeit darinnen, daß
ſie es wirklich mit Ueberzeugung reden, daß ſie glau-
ben, Buße zu predigen, wenn ſie laͤſtern, und daß
ihnen die Satyre im Ernſte verdaͤchtig wird, weil
ſie allein den Beruf haben, Heyden zu bekehren.

Bey vielen iſt die Begierde, auf die Satyre zu
ſchmaͤhen, nichts anders, als die Sprache eines boͤ-
ſen Gewiſſens. Davon ſind ſie uͤberzeugt, daß die
ruͤhmliche Abſicht der Satyre nur dieſe iſt, die Laſter
zu verfolgen. Weil ſie aber ſo gar unempfindlich noch
nicht ſind, daß ſie ihre eignen Laſter nicht wahrneh-
men ſollten, ſo wird ihnen dieſe Abſicht ſchrecklich.
Jeden Streich, der auf die Laſter geſchieht, fuͤhlen
ſie auf ihrem Ruͤcken. Koͤnnen dieſe wohl etwas
beſſers thun, als daß ſie die Satyre uͤberhaupt ver-
daͤchtig machen? Wie viel haben ſie zu ihrer eig-
nen Sicherheit gewonnen, wenn ſie dieſe große Ab-
ſicht erreichen? Nun mag die Satyre wider die
Laſter eifern; ſie iſt verdaͤchtig. Man faͤngt an,

Mitleid
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[7/0007] Vorbericht. ein Verleumder ſeyn, welcher eben um deswillen die Satyren verflucht? Es kann ſeyn, daß ich die- ſen niedrigen Geſchoͤpfen zu viel thue. Vielleicht iſt die Heucheley nur in ihren juͤngern Jahren die Urſache dieſer Ausſchweifungen; bey zunehmenden Alter erlangen ſie durch die unermuͤdete Uebung, boͤſes zu reden, eine ſolche Fertigkeit darinnen, daß ſie es wirklich mit Ueberzeugung reden, daß ſie glau- ben, Buße zu predigen, wenn ſie laͤſtern, und daß ihnen die Satyre im Ernſte verdaͤchtig wird, weil ſie allein den Beruf haben, Heyden zu bekehren. Bey vielen iſt die Begierde, auf die Satyre zu ſchmaͤhen, nichts anders, als die Sprache eines boͤ- ſen Gewiſſens. Davon ſind ſie uͤberzeugt, daß die ruͤhmliche Abſicht der Satyre nur dieſe iſt, die Laſter zu verfolgen. Weil ſie aber ſo gar unempfindlich noch nicht ſind, daß ſie ihre eignen Laſter nicht wahrneh- men ſollten, ſo wird ihnen dieſe Abſicht ſchrecklich. Jeden Streich, der auf die Laſter geſchieht, fuͤhlen ſie auf ihrem Ruͤcken. Koͤnnen dieſe wohl etwas beſſers thun, als daß ſie die Satyre uͤberhaupt ver- daͤchtig machen? Wie viel haben ſie zu ihrer eig- nen Sicherheit gewonnen, wenn ſie dieſe große Ab- ſicht erreichen? Nun mag die Satyre wider die Laſter eifern; ſie iſt verdaͤchtig. Man faͤngt an, Mitleid a 4

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/7>, abgerufen am 04.05.2024.