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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751.

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von Nicolaus Klimen.
Worte, und solche Formeln, welche etwas verwirr-
tes in sich faßten, waren ihre Kern- und Trostseuf-
zer; sie hielt dasjenige für die Sprache des Gei-
stes, was die sich selbst gelaßne Vernunft nicht ver-
stund. Die Liebe des Nächsten rechnete sie zwar
nur unter das Cäremonialgesetz, gleichwohl that sie
den Armen im Urselinerkloster viel gutes; weil es
allemal von der Kanzel abgekündigt, und dem
christlichen Wohlthäter vor öffentlicher Gemeine
gedankt ward. Jhr Mann mußte sehr viel bey ihr
ausstehen; denn wenn sie nicht betete, so zankte sie,
und es ist mehr als einmal geschehen, daß sie ihm
so gar mitten in der Andacht ein Bund Schlüs-
sel an den Kopf geschmissen hat. Jhr Ehrgeiz
war unersättlich, wenn sie auch bey dem Gottes-
dienste auf die Knie niederfiel, so mußte es doch
nach der Rangordnung geschehen. Sie hatte die
Gabe zu wahrsagen, und Gesichter zu sehen. Das
Geschrey einer Krähe war ihr so verständlich, daß
sie allemal wußte wer davon sterben würde. Heul-
te ein Hund unter ihrem Fenster, so ward sie da-
durch weit mehr gerührt, als wenn unser Capellan
eine Bußvermahnung hielt. Wenn sich ein Stern
schneutzte, so fuhr es ihr in die Seele; und als ihr
von faulen Eyern träumte, erschrack sie dergestalt
darüber, daß sie das Testament machte, und sich zu
ihrer Heimfahrt bereitete. Jn dieser Einbildung
stärkte sie ihr Mann auf alle ersinnliche Weise, und
war dabey so glücklich, daß sie einige Wochen dar-
auf starb.

Fried-

von Nicolaus Klimen.
Worte, und ſolche Formeln, welche etwas verwirr-
tes in ſich faßten, waren ihre Kern- und Troſtſeuf-
zer; ſie hielt dasjenige fuͤr die Sprache des Gei-
ſtes, was die ſich ſelbſt gelaßne Vernunft nicht ver-
ſtund. Die Liebe des Naͤchſten rechnete ſie zwar
nur unter das Caͤremonialgeſetz, gleichwohl that ſie
den Armen im Urſelinerkloſter viel gutes; weil es
allemal von der Kanzel abgekuͤndigt, und dem
chriſtlichen Wohlthaͤter vor oͤffentlicher Gemeine
gedankt ward. Jhr Mann mußte ſehr viel bey ihr
ausſtehen; denn wenn ſie nicht betete, ſo zankte ſie,
und es iſt mehr als einmal geſchehen, daß ſie ihm
ſo gar mitten in der Andacht ein Bund Schluͤſ-
ſel an den Kopf geſchmiſſen hat. Jhr Ehrgeiz
war unerſaͤttlich, wenn ſie auch bey dem Gottes-
dienſte auf die Knie niederfiel, ſo mußte es doch
nach der Rangordnung geſchehen. Sie hatte die
Gabe zu wahrſagen, und Geſichter zu ſehen. Das
Geſchrey einer Kraͤhe war ihr ſo verſtaͤndlich, daß
ſie allemal wußte wer davon ſterben wuͤrde. Heul-
te ein Hund unter ihrem Fenſter, ſo ward ſie da-
durch weit mehr geruͤhrt, als wenn unſer Capellan
eine Bußvermahnung hielt. Wenn ſich ein Stern
ſchneutzte, ſo fuhr es ihr in die Seele; und als ihr
von faulen Eyern traͤumte, erſchrack ſie dergeſtalt
daruͤber, daß ſie das Teſtament machte, und ſich zu
ihrer Heimfahrt bereitete. Jn dieſer Einbildung
ſtaͤrkte ſie ihr Mann auf alle erſinnliche Weiſe, und
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auf ſtarb.

Fried-
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[189/0263] von Nicolaus Klimen. Worte, und ſolche Formeln, welche etwas verwirr- tes in ſich faßten, waren ihre Kern- und Troſtſeuf- zer; ſie hielt dasjenige fuͤr die Sprache des Gei- ſtes, was die ſich ſelbſt gelaßne Vernunft nicht ver- ſtund. Die Liebe des Naͤchſten rechnete ſie zwar nur unter das Caͤremonialgeſetz, gleichwohl that ſie den Armen im Urſelinerkloſter viel gutes; weil es allemal von der Kanzel abgekuͤndigt, und dem chriſtlichen Wohlthaͤter vor oͤffentlicher Gemeine gedankt ward. Jhr Mann mußte ſehr viel bey ihr ausſtehen; denn wenn ſie nicht betete, ſo zankte ſie, und es iſt mehr als einmal geſchehen, daß ſie ihm ſo gar mitten in der Andacht ein Bund Schluͤſ- ſel an den Kopf geſchmiſſen hat. Jhr Ehrgeiz war unerſaͤttlich, wenn ſie auch bey dem Gottes- dienſte auf die Knie niederfiel, ſo mußte es doch nach der Rangordnung geſchehen. Sie hatte die Gabe zu wahrſagen, und Geſichter zu ſehen. Das Geſchrey einer Kraͤhe war ihr ſo verſtaͤndlich, daß ſie allemal wußte wer davon ſterben wuͤrde. Heul- te ein Hund unter ihrem Fenſter, ſo ward ſie da- durch weit mehr geruͤhrt, als wenn unſer Capellan eine Bußvermahnung hielt. Wenn ſich ein Stern ſchneutzte, ſo fuhr es ihr in die Seele; und als ihr von faulen Eyern traͤumte, erſchrack ſie dergeſtalt daruͤber, daß ſie das Teſtament machte, und ſich zu ihrer Heimfahrt bereitete. Jn dieſer Einbildung ſtaͤrkte ſie ihr Mann auf alle erſinnliche Weiſe, und war dabey ſo gluͤcklich, daß ſie einige Wochen dar- auf ſtarb. Fried-

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/263>, abgerufen am 24.11.2024.