Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite

von Nicolaus Klimen.
meiner Jugend selbst einer von denen gewesen bin,
welche unter diesen verliebten Fesseln geschmachtet
haben. Jch will glauben, daß mir dieses Geständ-
niß eben nicht zur Ehre gereicht; vielleicht aber
wird man mich entschuldigen, wenn man bedenkt,
daß ich damals noch nicht Küster an der Kreuzkir-
che, sondern nur ein junger Mensch und Baccalau-
reus der Philosophie war. Der Umgang, den ich auf
Schulen mit griechischen und lateinischen Frauen-
zimmern gehabt hatte, wirkte in mir die gewisse Zu-
versicht; die norwegischen Schönen würden eben
so wohl mit sich reden lassen, als jene. Jch wähl-
te bey meiner ersten Anrede an dieselbe die zärtlich-
ste Stelle aus dem Anakreon; es schien aber nicht,
als würde sie dadurch sehr gerührt. Jch strich
meine Verdienste heraus, und erzählte ihr, daß ich
drey Disputationen von den Pantoffeln der alten
europäischen Völker gehalten hätte; dennoch blieb
sie gleichgültig. Jch wies ihr die Zeugnisse, wel-
che ich zu Coppenhagen, meines Fleißes und mei-
ner Gelehrsamkeit wegen, von der philosophischen
und theologischen Facultät bekommen hatte. Al-
lein, ich glaube, ich würde den Greif, welcher mich
auf den Planeten Nazar riß, eher dadurch bewegt
haben, als diese Unempfindliche. Jch beschwur sie
bey dem Rocken der Parcen, sie möchte mit mir
Erbarmung haben; aber umsonst. Sie nannte
mich einen Schulfuchs, und dieser Name war mir
so unerträglich, daß ich halb rasend von ihr gieng.
Kurz darauf geschah es, daß ich in die Gruft fiel,
welche mich bekanntermaaßen, zu den unterirrdischen

Ein-

von Nicolaus Klimen.
meiner Jugend ſelbſt einer von denen geweſen bin,
welche unter dieſen verliebten Feſſeln geſchmachtet
haben. Jch will glauben, daß mir dieſes Geſtaͤnd-
niß eben nicht zur Ehre gereicht; vielleicht aber
wird man mich entſchuldigen, wenn man bedenkt,
daß ich damals noch nicht Kuͤſter an der Kreuzkir-
che, ſondern nur ein junger Menſch und Baccalau-
reus der Philoſophie war. Der Umgang, den ich auf
Schulen mit griechiſchen und lateiniſchen Frauen-
zimmern gehabt hatte, wirkte in mir die gewiſſe Zu-
verſicht; die norwegiſchen Schoͤnen wuͤrden eben
ſo wohl mit ſich reden laſſen, als jene. Jch waͤhl-
te bey meiner erſten Anrede an dieſelbe die zaͤrtlich-
ſte Stelle aus dem Anakreon; es ſchien aber nicht,
als wuͤrde ſie dadurch ſehr geruͤhrt. Jch ſtrich
meine Verdienſte heraus, und erzaͤhlte ihr, daß ich
drey Diſputationen von den Pantoffeln der alten
europaͤiſchen Voͤlker gehalten haͤtte; dennoch blieb
ſie gleichguͤltig. Jch wies ihr die Zeugniſſe, wel-
che ich zu Coppenhagen, meines Fleißes und mei-
ner Gelehrſamkeit wegen, von der philoſophiſchen
und theologiſchen Facultaͤt bekommen hatte. Al-
lein, ich glaube, ich wuͤrde den Greif, welcher mich
auf den Planeten Nazar riß, eher dadurch bewegt
haben, als dieſe Unempfindliche. Jch beſchwur ſie
bey dem Rocken der Parcen, ſie moͤchte mit mir
Erbarmung haben; aber umſonſt. Sie nannte
mich einen Schulfuchs, und dieſer Name war mir
ſo unertraͤglich, daß ich halb raſend von ihr gieng.
Kurz darauf geſchah es, daß ich in die Gruft fiel,
welche mich bekanntermaaßen, zu den unterirrdiſchen

Ein-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div>
          <p><pb facs="#f0247" n="173"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">von Nicolaus Klimen.</hi></fw><lb/>
meiner Jugend &#x017F;elb&#x017F;t einer von denen gewe&#x017F;en bin,<lb/>
welche unter die&#x017F;en verliebten Fe&#x017F;&#x017F;eln ge&#x017F;chmachtet<lb/>
haben. Jch will glauben, daß mir die&#x017F;es Ge&#x017F;ta&#x0364;nd-<lb/>
niß eben nicht zur Ehre gereicht; vielleicht aber<lb/>
wird man mich ent&#x017F;chuldigen, wenn man bedenkt,<lb/>
daß ich damals noch nicht Ku&#x0364;&#x017F;ter an der Kreuzkir-<lb/>
che, &#x017F;ondern nur ein junger Men&#x017F;ch und Baccalau-<lb/>
reus der Philo&#x017F;ophie war. Der Umgang, den ich auf<lb/>
Schulen mit griechi&#x017F;chen und lateini&#x017F;chen Frauen-<lb/>
zimmern gehabt hatte, wirkte in mir die gewi&#x017F;&#x017F;e Zu-<lb/>
ver&#x017F;icht; die norwegi&#x017F;chen Scho&#x0364;nen wu&#x0364;rden eben<lb/>
&#x017F;o wohl mit &#x017F;ich reden la&#x017F;&#x017F;en, als jene. Jch wa&#x0364;hl-<lb/>
te bey meiner er&#x017F;ten Anrede an die&#x017F;elbe die za&#x0364;rtlich-<lb/>
&#x017F;te Stelle aus dem Anakreon; es &#x017F;chien aber nicht,<lb/>
als wu&#x0364;rde &#x017F;ie dadurch &#x017F;ehr geru&#x0364;hrt. Jch &#x017F;trich<lb/>
meine Verdien&#x017F;te heraus, und erza&#x0364;hlte ihr, daß ich<lb/>
drey Di&#x017F;putationen von den Pantoffeln der alten<lb/>
europa&#x0364;i&#x017F;chen Vo&#x0364;lker gehalten ha&#x0364;tte; dennoch blieb<lb/>
&#x017F;ie gleichgu&#x0364;ltig. Jch wies ihr die Zeugni&#x017F;&#x017F;e, wel-<lb/>
che ich zu Coppenhagen, meines Fleißes und mei-<lb/>
ner Gelehr&#x017F;amkeit wegen, von der philo&#x017F;ophi&#x017F;chen<lb/>
und theologi&#x017F;chen Faculta&#x0364;t bekommen hatte. Al-<lb/>
lein, ich glaube, ich wu&#x0364;rde den Greif, welcher mich<lb/>
auf den Planeten Nazar riß, eher dadurch bewegt<lb/>
haben, als die&#x017F;e Unempfindliche. Jch be&#x017F;chwur &#x017F;ie<lb/>
bey dem Rocken der Parcen, &#x017F;ie mo&#x0364;chte mit mir<lb/>
Erbarmung haben; aber um&#x017F;on&#x017F;t. Sie nannte<lb/>
mich einen Schulfuchs, und die&#x017F;er Name war mir<lb/>
&#x017F;o unertra&#x0364;glich, daß ich halb ra&#x017F;end von ihr gieng.<lb/>
Kurz darauf ge&#x017F;chah es, daß ich in die Gruft fiel,<lb/>
welche mich bekanntermaaßen, zu den unterirrdi&#x017F;chen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Ein-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[173/0247] von Nicolaus Klimen. meiner Jugend ſelbſt einer von denen geweſen bin, welche unter dieſen verliebten Feſſeln geſchmachtet haben. Jch will glauben, daß mir dieſes Geſtaͤnd- niß eben nicht zur Ehre gereicht; vielleicht aber wird man mich entſchuldigen, wenn man bedenkt, daß ich damals noch nicht Kuͤſter an der Kreuzkir- che, ſondern nur ein junger Menſch und Baccalau- reus der Philoſophie war. Der Umgang, den ich auf Schulen mit griechiſchen und lateiniſchen Frauen- zimmern gehabt hatte, wirkte in mir die gewiſſe Zu- verſicht; die norwegiſchen Schoͤnen wuͤrden eben ſo wohl mit ſich reden laſſen, als jene. Jch waͤhl- te bey meiner erſten Anrede an dieſelbe die zaͤrtlich- ſte Stelle aus dem Anakreon; es ſchien aber nicht, als wuͤrde ſie dadurch ſehr geruͤhrt. Jch ſtrich meine Verdienſte heraus, und erzaͤhlte ihr, daß ich drey Diſputationen von den Pantoffeln der alten europaͤiſchen Voͤlker gehalten haͤtte; dennoch blieb ſie gleichguͤltig. Jch wies ihr die Zeugniſſe, wel- che ich zu Coppenhagen, meines Fleißes und mei- ner Gelehrſamkeit wegen, von der philoſophiſchen und theologiſchen Facultaͤt bekommen hatte. Al- lein, ich glaube, ich wuͤrde den Greif, welcher mich auf den Planeten Nazar riß, eher dadurch bewegt haben, als dieſe Unempfindliche. Jch beſchwur ſie bey dem Rocken der Parcen, ſie moͤchte mit mir Erbarmung haben; aber umſonſt. Sie nannte mich einen Schulfuchs, und dieſer Name war mir ſo unertraͤglich, daß ich halb raſend von ihr gieng. Kurz darauf geſchah es, daß ich in die Gruft fiel, welche mich bekanntermaaßen, zu den unterirrdiſchen Ein-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/247
Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/247>, abgerufen am 18.05.2024.