Jrus, der verlaßne Jrus, dessen Nahrung in Brod und Wasser, die Kleidung in einem zer- rißnen Mantel, und das Lager in einer Hand voll Stroh bestund; dieser ward auf einmal der glücklichste Mensch unter der Sonne.
Die Vorsicht riß ihn aus dem Staube, und setzte ihn den Fürsten an die Seite. Er sah sich in dem Besitze unermeßlicher Schätze. Sein Auge erstarrte vor dem ungewöhnlichen Glanze des Goldes. Sein Palast war weit prächtiger ausgeputzt, als die Tem- pel der Götter. Purpur und Gold waren seine schlechteste Kleidung, und seine Tafel konnte man billig einen Jnnbegriff alles dessen nennen, was die wollüstige Sorgfalt der Menschen zur Unterhaltung des Geschmacks ersonnen hatte. Eine unzählbare Menge schmeicherhafter Verehrer folgte ihm auf al- len Schritten. Würdigte er jemanden eines ge- neigten Blickes, so hielt man denselben schon für glückselig, und wer seine Hand küssen durfte, der schien allen beneidenswürdig zu seyn. Er glaubte, der Name Jrus sey ihm ein beständiger Vorwurf seiner vormaligen Armuth; er nannte sich also Ce- raunius oder den Blitzenden, und das ganze Volk frohlockte über diese edelmüthige Veränderung. Ein Dichter, welcher ihn vormals nur zum Spotte den armen Jrus genannt hatte, dieser hungrige Dich- ter entdeckte eine Wahrheit, die bisher jedermann unbekannt gewesen, itzt aber von allen mit einem schmeichlerischen Beyfalle angenommen wurde:
Jupi-
Jrus, der verlaßne Jrus, deſſen Nahrung in Brod und Waſſer, die Kleidung in einem zer- rißnen Mantel, und das Lager in einer Hand voll Stroh beſtund; dieſer ward auf einmal der gluͤcklichſte Menſch unter der Sonne.
Die Vorſicht riß ihn aus dem Staube, und ſetzte ihn den Fuͤrſten an die Seite. Er ſah ſich in dem Beſitze unermeßlicher Schaͤtze. Sein Auge erſtarrte vor dem ungewoͤhnlichen Glanze des Goldes. Sein Palaſt war weit praͤchtiger ausgeputzt, als die Tem- pel der Goͤtter. Purpur und Gold waren ſeine ſchlechteſte Kleidung, und ſeine Tafel konnte man billig einen Jnnbegriff alles deſſen nennen, was die wolluͤſtige Sorgfalt der Menſchen zur Unterhaltung des Geſchmacks erſonnen hatte. Eine unzaͤhlbare Menge ſchmeicherhafter Verehrer folgte ihm auf al- len Schritten. Wuͤrdigte er jemanden eines ge- neigten Blickes, ſo hielt man denſelben ſchon fuͤr gluͤckſelig, und wer ſeine Hand kuͤſſen durfte, der ſchien allen beneidenswuͤrdig zu ſeyn. Er glaubte, der Name Jrus ſey ihm ein beſtaͤndiger Vorwurf ſeiner vormaligen Armuth; er nannte ſich alſo Ce- raunius oder den Blitzenden, und das ganze Volk frohlockte uͤber dieſe edelmuͤthige Veraͤnderung. Ein Dichter, welcher ihn vormals nur zum Spotte den armen Jrus genannt hatte, dieſer hungrige Dich- ter entdeckte eine Wahrheit, die bisher jedermann unbekannt geweſen, itzt aber von allen mit einem ſchmeichleriſchen Beyfalle angenommen wurde:
Jupi-
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0232"n="158"/><fwplace="top"type="header"><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/></fw><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p><hirendition="#fr"><hirendition="#in">J</hi>rus,</hi> der verlaßne <hirendition="#fr">Jrus,</hi> deſſen Nahrung in<lb/>
Brod und Waſſer, die Kleidung in einem zer-<lb/>
rißnen Mantel, und das Lager in einer Hand<lb/>
voll Stroh beſtund; dieſer ward auf einmal der<lb/>
gluͤcklichſte Menſch unter der Sonne.</p><lb/><p>Die Vorſicht riß ihn aus dem Staube, und ſetzte<lb/>
ihn den Fuͤrſten an die Seite. Er ſah ſich in dem<lb/>
Beſitze unermeßlicher Schaͤtze. Sein Auge erſtarrte<lb/>
vor dem ungewoͤhnlichen Glanze des Goldes. Sein<lb/>
Palaſt war weit praͤchtiger ausgeputzt, als die Tem-<lb/>
pel der Goͤtter. Purpur und Gold waren ſeine<lb/>ſchlechteſte Kleidung, und ſeine Tafel konnte man<lb/>
billig einen Jnnbegriff alles deſſen nennen, was die<lb/>
wolluͤſtige Sorgfalt der Menſchen zur Unterhaltung<lb/>
des Geſchmacks erſonnen hatte. Eine unzaͤhlbare<lb/>
Menge ſchmeicherhafter Verehrer folgte ihm auf al-<lb/>
len Schritten. Wuͤrdigte er jemanden eines ge-<lb/>
neigten Blickes, ſo hielt man denſelben ſchon fuͤr<lb/>
gluͤckſelig, und wer ſeine Hand kuͤſſen durfte, der<lb/>ſchien allen beneidenswuͤrdig zu ſeyn. Er glaubte,<lb/>
der Name <hirendition="#fr">Jrus</hi>ſey ihm ein beſtaͤndiger Vorwurf<lb/>ſeiner vormaligen Armuth; er nannte ſich alſo <hirendition="#fr">Ce-<lb/>
raunius</hi> oder den Blitzenden, und das ganze Volk<lb/>
frohlockte uͤber dieſe edelmuͤthige Veraͤnderung. Ein<lb/>
Dichter, welcher ihn vormals nur zum Spotte den<lb/>
armen <hirendition="#fr">Jrus</hi> genannt hatte, dieſer hungrige Dich-<lb/>
ter entdeckte eine Wahrheit, die bisher jedermann<lb/>
unbekannt geweſen, itzt aber von allen mit einem<lb/>ſchmeichleriſchen Beyfalle angenommen wurde:<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Jupi-</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[158/0232]
Jrus, der verlaßne Jrus, deſſen Nahrung in
Brod und Waſſer, die Kleidung in einem zer-
rißnen Mantel, und das Lager in einer Hand
voll Stroh beſtund; dieſer ward auf einmal der
gluͤcklichſte Menſch unter der Sonne.
Die Vorſicht riß ihn aus dem Staube, und ſetzte
ihn den Fuͤrſten an die Seite. Er ſah ſich in dem
Beſitze unermeßlicher Schaͤtze. Sein Auge erſtarrte
vor dem ungewoͤhnlichen Glanze des Goldes. Sein
Palaſt war weit praͤchtiger ausgeputzt, als die Tem-
pel der Goͤtter. Purpur und Gold waren ſeine
ſchlechteſte Kleidung, und ſeine Tafel konnte man
billig einen Jnnbegriff alles deſſen nennen, was die
wolluͤſtige Sorgfalt der Menſchen zur Unterhaltung
des Geſchmacks erſonnen hatte. Eine unzaͤhlbare
Menge ſchmeicherhafter Verehrer folgte ihm auf al-
len Schritten. Wuͤrdigte er jemanden eines ge-
neigten Blickes, ſo hielt man denſelben ſchon fuͤr
gluͤckſelig, und wer ſeine Hand kuͤſſen durfte, der
ſchien allen beneidenswuͤrdig zu ſeyn. Er glaubte,
der Name Jrus ſey ihm ein beſtaͤndiger Vorwurf
ſeiner vormaligen Armuth; er nannte ſich alſo Ce-
raunius oder den Blitzenden, und das ganze Volk
frohlockte uͤber dieſe edelmuͤthige Veraͤnderung. Ein
Dichter, welcher ihn vormals nur zum Spotte den
armen Jrus genannt hatte, dieſer hungrige Dich-
ter entdeckte eine Wahrheit, die bisher jedermann
unbekannt geweſen, itzt aber von allen mit einem
ſchmeichleriſchen Beyfalle angenommen wurde:
Jupi-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/232>, abgerufen am 28.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.