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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751.

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Jch habe unsern gestrigen Unterredungen wei-
ter nachgedacht, mein werther Herrmann.
Wir bemühten uns, ausfindig zu machen:
Warum es so schwer sey, eine gründliche Gelehr-
samkeit zu erlangen? Und woher es komme, daß so
wenige unter den Gelehrten den ansehnlichen Titel
verdienen, mit welchem sie ihre Blöße sorgfältig zu
bedecken wissen?

Die von dir angeführten Ursachen sind wichtig
genug. Die blinde Liebe der meisten Aeltern geht
dahin, ihre Kinder zu ansehnlichen Mitgliedern des
gemeinen Wesens zu machen. Der Sohn muß
studieren, damit er Doctor werden kann. Er hat
weder die Fähigkeit, noch den Willen, etwas recht-
schaffnes zu lernen. Er lebt also sich zur Last, und
dem Vaterlande zum Schimpfe. Wäre dieser ein
Schneider geworden, so würde er gewiß sein Brod
verdienen, da er anitzt von der Sparsamkeit seiner
Vorfahren, oder dem Einbringen seiner Frau le-
ben muß.

Du hast recht, mein Freund; vielleicht aber
giebst du mir auch Beyfall, wenn ich eine Ursache
anführe, welche noch allgemeiner ist.

Erwäge nur einmal, wie die Anführung unsrer
Jugend zu der Gelehrsamkeit beschaffen ist. Bis
in das zehente Jahr überläßt man uns der Aufsicht
der Frauenzimmer, welche glauben, sie haben ge-
nug gethan, wenn sie uns reinlich halten, wenn sie
uns lesen lehren, und allenfalls einige Fragen aus

dem
K 3




Jch habe unſern geſtrigen Unterredungen wei-
ter nachgedacht, mein werther Herrmann.
Wir bemuͤhten uns, ausfindig zu machen:
Warum es ſo ſchwer ſey, eine gruͤndliche Gelehr-
ſamkeit zu erlangen? Und woher es komme, daß ſo
wenige unter den Gelehrten den anſehnlichen Titel
verdienen, mit welchem ſie ihre Bloͤße ſorgfaͤltig zu
bedecken wiſſen?

Die von dir angefuͤhrten Urſachen ſind wichtig
genug. Die blinde Liebe der meiſten Aeltern geht
dahin, ihre Kinder zu anſehnlichen Mitgliedern des
gemeinen Weſens zu machen. Der Sohn muß
ſtudieren, damit er Doctor werden kann. Er hat
weder die Faͤhigkeit, noch den Willen, etwas recht-
ſchaffnes zu lernen. Er lebt alſo ſich zur Laſt, und
dem Vaterlande zum Schimpfe. Waͤre dieſer ein
Schneider geworden, ſo wuͤrde er gewiß ſein Brod
verdienen, da er anitzt von der Sparſamkeit ſeiner
Vorfahren, oder dem Einbringen ſeiner Frau le-
ben muß.

Du haſt recht, mein Freund; vielleicht aber
giebſt du mir auch Beyfall, wenn ich eine Urſache
anfuͤhre, welche noch allgemeiner iſt.

Erwaͤge nur einmal, wie die Anfuͤhrung unſrer
Jugend zu der Gelehrſamkeit beſchaffen iſt. Bis
in das zehente Jahr uͤberlaͤßt man uns der Aufſicht
der Frauenzimmer, welche glauben, ſie haben ge-
nug gethan, wenn ſie uns reinlich halten, wenn ſie
uns leſen lehren, und allenfalls einige Fragen aus

dem
K 3
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[149/0223] Jch habe unſern geſtrigen Unterredungen wei- ter nachgedacht, mein werther Herrmann. Wir bemuͤhten uns, ausfindig zu machen: Warum es ſo ſchwer ſey, eine gruͤndliche Gelehr- ſamkeit zu erlangen? Und woher es komme, daß ſo wenige unter den Gelehrten den anſehnlichen Titel verdienen, mit welchem ſie ihre Bloͤße ſorgfaͤltig zu bedecken wiſſen? Die von dir angefuͤhrten Urſachen ſind wichtig genug. Die blinde Liebe der meiſten Aeltern geht dahin, ihre Kinder zu anſehnlichen Mitgliedern des gemeinen Weſens zu machen. Der Sohn muß ſtudieren, damit er Doctor werden kann. Er hat weder die Faͤhigkeit, noch den Willen, etwas recht- ſchaffnes zu lernen. Er lebt alſo ſich zur Laſt, und dem Vaterlande zum Schimpfe. Waͤre dieſer ein Schneider geworden, ſo wuͤrde er gewiß ſein Brod verdienen, da er anitzt von der Sparſamkeit ſeiner Vorfahren, oder dem Einbringen ſeiner Frau le- ben muß. Du haſt recht, mein Freund; vielleicht aber giebſt du mir auch Beyfall, wenn ich eine Urſache anfuͤhre, welche noch allgemeiner iſt. Erwaͤge nur einmal, wie die Anfuͤhrung unſrer Jugend zu der Gelehrſamkeit beſchaffen iſt. Bis in das zehente Jahr uͤberlaͤßt man uns der Aufſicht der Frauenzimmer, welche glauben, ſie haben ge- nug gethan, wenn ſie uns reinlich halten, wenn ſie uns leſen lehren, und allenfalls einige Fragen aus dem K 3

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/223>, abgerufen am 24.11.2024.