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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751.

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eines Märtyrers.
wieder zu reden. Es gieng mir aber, wie denjeni-
gen Dichtern, welche die Verse verschwören. Jch
zog auf die hohe Schule, von der ich mir einen sehr
edlen Begriff gemacht hatte, wodurch ich aber meine
Unerfahrenheit verrieth. Leute, welche ihre einzige
Sorge seyn ließen, wie sie den Pflichten gegen ihr
Vaterland Genüge leisten, die Hoffnung ihrer Ael-
tern erfüllen, und deren saure Mühe, und aufge-
wandte Kosten vergelten könnten; Leute, welche
diejenigen Wissenschaften mit Ernste ausübten, nach
denen sie sich nennten; solche Leute dachte ich zu
finden. Jch irrte mich. Gleich den ersten Abend
erschreckte mich eine Gesellschaft trunkner Menschen,
welche unter Schreyen und Wetzen nach ihren
Wohnungen eilten. Anfänglich glaubte ich, es
sey ein Auf lauf, oder wenigstens Feuer in der Gasse.
Jch sah durchs Fenster; in dem Augenblicke fiel ihr
Anführer in den Koth, und ich hörte aus den Re-
den der andern, daß sie sich bemühten, einem Meister
der Weltweisheit wieder auf die Beine zu helfen.
Diese Begebenheit machte mich aufmerksam. Jch
beobachtete die Sitten meiner Mitschüler genauer.
Jch lernte einen kennen, welcher der Gottesgelahrt-
heit eifrigst Beflißner war, und sich rühmte, er
habe sich in der Schenke zweymal fest gesoffen, wie
er es nannte. Ein Landsmann von mir wollte sich
die Würde eines Lehrers beider Rechte erstehen,
weil er sich innerlich überzeugt fand, daß nimmer-
mehr etwas aus ihm werden würde. Eine Sum-
me von zwölf Thalern machte ihn zum Autor und

Re-

eines Maͤrtyrers.
wieder zu reden. Es gieng mir aber, wie denjeni-
gen Dichtern, welche die Verſe verſchwoͤren. Jch
zog auf die hohe Schule, von der ich mir einen ſehr
edlen Begriff gemacht hatte, wodurch ich aber meine
Unerfahrenheit verrieth. Leute, welche ihre einzige
Sorge ſeyn ließen, wie ſie den Pflichten gegen ihr
Vaterland Genuͤge leiſten, die Hoffnung ihrer Ael-
tern erfuͤllen, und deren ſaure Muͤhe, und aufge-
wandte Koſten vergelten koͤnnten; Leute, welche
diejenigen Wiſſenſchaften mit Ernſte ausuͤbten, nach
denen ſie ſich nennten; ſolche Leute dachte ich zu
finden. Jch irrte mich. Gleich den erſten Abend
erſchreckte mich eine Geſellſchaft trunkner Menſchen,
welche unter Schreyen und Wetzen nach ihren
Wohnungen eilten. Anfaͤnglich glaubte ich, es
ſey ein Auf lauf, oder wenigſtens Feuer in der Gaſſe.
Jch ſah durchs Fenſter; in dem Augenblicke fiel ihr
Anfuͤhrer in den Koth, und ich hoͤrte aus den Re-
den der andern, daß ſie ſich bemuͤhten, einem Meiſter
der Weltweisheit wieder auf die Beine zu helfen.
Dieſe Begebenheit machte mich aufmerkſam. Jch
beobachtete die Sitten meiner Mitſchuͤler genauer.
Jch lernte einen kennen, welcher der Gottesgelahrt-
heit eifrigſt Beflißner war, und ſich ruͤhmte, er
habe ſich in der Schenke zweymal feſt geſoffen, wie
er es nannte. Ein Landsmann von mir wollte ſich
die Wuͤrde eines Lehrers beider Rechte erſtehen,
weil er ſich innerlich uͤberzeugt fand, daß nimmer-
mehr etwas aus ihm werden wuͤrde. Eine Sum-
me von zwoͤlf Thalern machte ihn zum Autor und

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[125/0199] eines Maͤrtyrers. wieder zu reden. Es gieng mir aber, wie denjeni- gen Dichtern, welche die Verſe verſchwoͤren. Jch zog auf die hohe Schule, von der ich mir einen ſehr edlen Begriff gemacht hatte, wodurch ich aber meine Unerfahrenheit verrieth. Leute, welche ihre einzige Sorge ſeyn ließen, wie ſie den Pflichten gegen ihr Vaterland Genuͤge leiſten, die Hoffnung ihrer Ael- tern erfuͤllen, und deren ſaure Muͤhe, und aufge- wandte Koſten vergelten koͤnnten; Leute, welche diejenigen Wiſſenſchaften mit Ernſte ausuͤbten, nach denen ſie ſich nennten; ſolche Leute dachte ich zu finden. Jch irrte mich. Gleich den erſten Abend erſchreckte mich eine Geſellſchaft trunkner Menſchen, welche unter Schreyen und Wetzen nach ihren Wohnungen eilten. Anfaͤnglich glaubte ich, es ſey ein Auf lauf, oder wenigſtens Feuer in der Gaſſe. Jch ſah durchs Fenſter; in dem Augenblicke fiel ihr Anfuͤhrer in den Koth, und ich hoͤrte aus den Re- den der andern, daß ſie ſich bemuͤhten, einem Meiſter der Weltweisheit wieder auf die Beine zu helfen. Dieſe Begebenheit machte mich aufmerkſam. Jch beobachtete die Sitten meiner Mitſchuͤler genauer. Jch lernte einen kennen, welcher der Gottesgelahrt- heit eifrigſt Beflißner war, und ſich ruͤhmte, er habe ſich in der Schenke zweymal feſt geſoffen, wie er es nannte. Ein Landsmann von mir wollte ſich die Wuͤrde eines Lehrers beider Rechte erſtehen, weil er ſich innerlich uͤberzeugt fand, daß nimmer- mehr etwas aus ihm werden wuͤrde. Eine Sum- me von zwoͤlf Thalern machte ihn zum Autor und Re-

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/199>, abgerufen am 25.11.2024.