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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751.

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eines Martyrers.
deutung, ich würde mit der Zeit ein großer Rechts-
consulent werden. Sie irrten sich aber, und die
Folge hat gelehrt, daß es unglückliche Anzeigen
meiner Liebe zur Wahrheit gewesen sind. Jch
fieng frühzeitig an, solches merken zu lassen. Kaum
hatte ich vier Jahre erreicht, als ich bemerkte, daß
mein Vater in seinem Berufe nicht gar zu gewissen-
haft war. Jch verwies ihm solches auf eine zwar
kindische, doch empfindliche, Art; und weil ich es
oft that, so gab er mir endlich, durch einen derben
Schilling, die ersten Früchte der Wahrheit zu schme-
cken. Jedoch ward ich dadurch nicht furchtsam.
Mein Vater starb, und hinterließ meine Mutter,
als eine junge Wittwe; mich aber, als einen uner-
zognen Knaben. Meine Mutter that über diesen
Tod recht jämmerlich. Sie heulte und schrie; sie
versteckte sich hinter einen großen Schleyer; sie
wünschte mit ihrem Manne zu verwesen, und
schwur der ganzen Welt ab. Jch dachte auch nach
meiner kindischen Einfalt, es wäre ihr Ernst, und
ich blieb zwölf Wochen lang in meinem Jrrthume.
Nach deren Verlaufe ward sie aufgeräumt; sie
scherzte, sie lachte, sie besuchte ihre Nachbarn, und
ich sah verschiedne junge Leute aus- und eingehen,
ohne daß sie böse darüber ward. Kurz, sie hatte
ihren Mann vergessen, und die Lust war ihr vergan-
gen, mit ihm zu verwesen. Jch fragte, warum sie
mich und andre so betrogen hätte? Ein Paar Ohr-
feigen aber waren die ganze Antwort. Einsmals
sah sie in dem Spiegel, und fragte mich, ob sie nicht

schön

eines Martyrers.
deutung, ich wuͤrde mit der Zeit ein großer Rechts-
conſulent werden. Sie irrten ſich aber, und die
Folge hat gelehrt, daß es ungluͤckliche Anzeigen
meiner Liebe zur Wahrheit geweſen ſind. Jch
fieng fruͤhzeitig an, ſolches merken zu laſſen. Kaum
hatte ich vier Jahre erreicht, als ich bemerkte, daß
mein Vater in ſeinem Berufe nicht gar zu gewiſſen-
haft war. Jch verwies ihm ſolches auf eine zwar
kindiſche, doch empfindliche, Art; und weil ich es
oft that, ſo gab er mir endlich, durch einen derben
Schilling, die erſten Fruͤchte der Wahrheit zu ſchme-
cken. Jedoch ward ich dadurch nicht furchtſam.
Mein Vater ſtarb, und hinterließ meine Mutter,
als eine junge Wittwe; mich aber, als einen uner-
zognen Knaben. Meine Mutter that uͤber dieſen
Tod recht jaͤmmerlich. Sie heulte und ſchrie; ſie
verſteckte ſich hinter einen großen Schleyer; ſie
wuͤnſchte mit ihrem Manne zu verweſen, und
ſchwur der ganzen Welt ab. Jch dachte auch nach
meiner kindiſchen Einfalt, es waͤre ihr Ernſt, und
ich blieb zwoͤlf Wochen lang in meinem Jrrthume.
Nach deren Verlaufe ward ſie aufgeraͤumt; ſie
ſcherzte, ſie lachte, ſie beſuchte ihre Nachbarn, und
ich ſah verſchiedne junge Leute aus- und eingehen,
ohne daß ſie boͤſe daruͤber ward. Kurz, ſie hatte
ihren Mann vergeſſen, und die Luſt war ihr vergan-
gen, mit ihm zu verweſen. Jch fragte, warum ſie
mich und andre ſo betrogen haͤtte? Ein Paar Ohr-
feigen aber waren die ganze Antwort. Einsmals
ſah ſie in dem Spiegel, und fragte mich, ob ſie nicht

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[123/0197] eines Martyrers. deutung, ich wuͤrde mit der Zeit ein großer Rechts- conſulent werden. Sie irrten ſich aber, und die Folge hat gelehrt, daß es ungluͤckliche Anzeigen meiner Liebe zur Wahrheit geweſen ſind. Jch fieng fruͤhzeitig an, ſolches merken zu laſſen. Kaum hatte ich vier Jahre erreicht, als ich bemerkte, daß mein Vater in ſeinem Berufe nicht gar zu gewiſſen- haft war. Jch verwies ihm ſolches auf eine zwar kindiſche, doch empfindliche, Art; und weil ich es oft that, ſo gab er mir endlich, durch einen derben Schilling, die erſten Fruͤchte der Wahrheit zu ſchme- cken. Jedoch ward ich dadurch nicht furchtſam. Mein Vater ſtarb, und hinterließ meine Mutter, als eine junge Wittwe; mich aber, als einen uner- zognen Knaben. Meine Mutter that uͤber dieſen Tod recht jaͤmmerlich. Sie heulte und ſchrie; ſie verſteckte ſich hinter einen großen Schleyer; ſie wuͤnſchte mit ihrem Manne zu verweſen, und ſchwur der ganzen Welt ab. Jch dachte auch nach meiner kindiſchen Einfalt, es waͤre ihr Ernſt, und ich blieb zwoͤlf Wochen lang in meinem Jrrthume. Nach deren Verlaufe ward ſie aufgeraͤumt; ſie ſcherzte, ſie lachte, ſie beſuchte ihre Nachbarn, und ich ſah verſchiedne junge Leute aus- und eingehen, ohne daß ſie boͤſe daruͤber ward. Kurz, ſie hatte ihren Mann vergeſſen, und die Luſt war ihr vergan- gen, mit ihm zu verweſen. Jch fragte, warum ſie mich und andre ſo betrogen haͤtte? Ein Paar Ohr- feigen aber waren die ganze Antwort. Einsmals ſah ſie in dem Spiegel, und fragte mich, ob ſie nicht ſchoͤn

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/197>, abgerufen am 24.11.2024.