Bis hieher klingen meine Erzählungen ganz ver- gnügt. Sie werden den wichtigsten Umstand noch nicht einsehen können, welcher mich bewogen hat, an Sie zu schreiben. Sie sollen ihn gleich erfahren.
Von der Schule gieng ich nach Hause zu meinem Vater, welcher im Gebürge ein adliches Rittergut gepachtet hat. Meine Absichten erfoderten, daß ich unserm gnädigen Herrn sogleich meine Aufwartung machte. Er erkundigte sich nach der Einrichtung der Schule, und besonders meines bisherigen Stu- dierens. Jch erzählte ihm alles, was ich itzt ge- schrieben habe, und ich glaube, ich erzählte ihm noch mehr. Seine Aufmerksamkeit machte mich beredt, und ich versprach mir schon im voraus die Anwart- schaft auf eine Pfarre. Allein, wie sehr betrog ich mich in meiner Hoffnung! Urtheilen Sie selbst von meiner Bestürzung, die ich empfand, als mir dersel- be mit einem ernsthaften Gesichte ungefähr also ant- wortete: "Gewiß, mein Freund, ich bedaure ihn, "sein Vater hat das Geld verloren, und er die "Zeit verderbt. Er hat studiert, und ist keinem "Menschen zu etwas nütze. Wäre es nicht ver- "nünftiger gewesen, wenn er sich auf diejenigen "Wissenschaften etwas mehr gelegt hätte, von de- "nen er geglaubt, daß sie so verächtlich und über- "flüßig sind? Muß er sich nicht schämen, daß er in "Griechenland zu Hause, und in Sachsen ein "Fremdling ist? Daß er die Gesetze seines Solons "versteht, und nicht die geringste Kenntniß von den "Rechten seines Vaterlandes hat? Hätte er sich "nicht die Sprachen der Ausländer wenigstens nur
"in
Von Erlernung der Sprachen
Bis hieher klingen meine Erzaͤhlungen ganz ver- gnuͤgt. Sie werden den wichtigſten Umſtand noch nicht einſehen koͤnnen, welcher mich bewogen hat, an Sie zu ſchreiben. Sie ſollen ihn gleich erfahren.
Von der Schule gieng ich nach Hauſe zu meinem Vater, welcher im Gebuͤrge ein adliches Rittergut gepachtet hat. Meine Abſichten erfoderten, daß ich unſerm gnaͤdigen Herrn ſogleich meine Aufwartung machte. Er erkundigte ſich nach der Einrichtung der Schule, und beſonders meines bisherigen Stu- dierens. Jch erzaͤhlte ihm alles, was ich itzt ge- ſchrieben habe, und ich glaube, ich erzaͤhlte ihm noch mehr. Seine Aufmerkſamkeit machte mich beredt, und ich verſprach mir ſchon im voraus die Anwart- ſchaft auf eine Pfarre. Allein, wie ſehr betrog ich mich in meiner Hoffnung! Urtheilen Sie ſelbſt von meiner Beſtuͤrzung, die ich empfand, als mir derſel- be mit einem ernſthaften Geſichte ungefaͤhr alſo ant- wortete: „Gewiß, mein Freund, ich bedaure ihn, „ſein Vater hat das Geld verloren, und er die „Zeit verderbt. Er hat ſtudiert, und iſt keinem „Menſchen zu etwas nuͤtze. Waͤre es nicht ver- „nuͤnftiger geweſen, wenn er ſich auf diejenigen „Wiſſenſchaften etwas mehr gelegt haͤtte, von de- „nen er geglaubt, daß ſie ſo veraͤchtlich und uͤber- „fluͤßig ſind? Muß er ſich nicht ſchaͤmen, daß er in „Griechenland zu Hauſe, und in Sachſen ein „Fremdling iſt? Daß er die Geſetze ſeines Solons „verſteht, und nicht die geringſte Kenntniß von den „Rechten ſeines Vaterlandes hat? Haͤtte er ſich „nicht die Sprachen der Auslaͤnder wenigſtens nur
„in
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0188"n="114"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Von Erlernung der Sprachen</hi></fw><lb/><p>Bis hieher klingen meine Erzaͤhlungen ganz ver-<lb/>
gnuͤgt. Sie werden den wichtigſten Umſtand noch<lb/>
nicht einſehen koͤnnen, welcher mich bewogen hat, an<lb/>
Sie zu ſchreiben. Sie ſollen ihn gleich erfahren.</p><lb/><p>Von der Schule gieng ich nach Hauſe zu meinem<lb/>
Vater, welcher im Gebuͤrge ein adliches Rittergut<lb/>
gepachtet hat. Meine Abſichten erfoderten, daß ich<lb/>
unſerm gnaͤdigen Herrn ſogleich meine Aufwartung<lb/>
machte. Er erkundigte ſich nach der Einrichtung<lb/>
der Schule, und beſonders meines bisherigen Stu-<lb/>
dierens. Jch erzaͤhlte ihm alles, was ich itzt ge-<lb/>ſchrieben habe, und ich glaube, ich erzaͤhlte ihm noch<lb/>
mehr. Seine Aufmerkſamkeit machte mich beredt,<lb/>
und ich verſprach mir ſchon im voraus die Anwart-<lb/>ſchaft auf eine Pfarre. Allein, wie ſehr betrog ich<lb/>
mich in meiner Hoffnung! Urtheilen Sie ſelbſt von<lb/>
meiner Beſtuͤrzung, die ich empfand, als mir derſel-<lb/>
be mit einem ernſthaften Geſichte ungefaͤhr alſo ant-<lb/>
wortete: „Gewiß, mein Freund, ich bedaure ihn,<lb/>„ſein Vater hat das Geld verloren, und er die<lb/>„Zeit verderbt. Er hat ſtudiert, und iſt keinem<lb/>„Menſchen zu etwas nuͤtze. Waͤre es nicht ver-<lb/>„nuͤnftiger geweſen, wenn er ſich auf diejenigen<lb/>„Wiſſenſchaften etwas mehr gelegt haͤtte, von de-<lb/>„nen er geglaubt, daß ſie ſo veraͤchtlich und uͤber-<lb/>„fluͤßig ſind? Muß er ſich nicht ſchaͤmen, daß er in<lb/>„Griechenland zu Hauſe, und in Sachſen ein<lb/>„Fremdling iſt? Daß er die Geſetze ſeines Solons<lb/>„verſteht, und nicht die geringſte Kenntniß von den<lb/>„Rechten ſeines Vaterlandes hat? Haͤtte er ſich<lb/>„nicht die Sprachen der Auslaͤnder wenigſtens nur<lb/><fwplace="bottom"type="catch">„in</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[114/0188]
Von Erlernung der Sprachen
Bis hieher klingen meine Erzaͤhlungen ganz ver-
gnuͤgt. Sie werden den wichtigſten Umſtand noch
nicht einſehen koͤnnen, welcher mich bewogen hat, an
Sie zu ſchreiben. Sie ſollen ihn gleich erfahren.
Von der Schule gieng ich nach Hauſe zu meinem
Vater, welcher im Gebuͤrge ein adliches Rittergut
gepachtet hat. Meine Abſichten erfoderten, daß ich
unſerm gnaͤdigen Herrn ſogleich meine Aufwartung
machte. Er erkundigte ſich nach der Einrichtung
der Schule, und beſonders meines bisherigen Stu-
dierens. Jch erzaͤhlte ihm alles, was ich itzt ge-
ſchrieben habe, und ich glaube, ich erzaͤhlte ihm noch
mehr. Seine Aufmerkſamkeit machte mich beredt,
und ich verſprach mir ſchon im voraus die Anwart-
ſchaft auf eine Pfarre. Allein, wie ſehr betrog ich
mich in meiner Hoffnung! Urtheilen Sie ſelbſt von
meiner Beſtuͤrzung, die ich empfand, als mir derſel-
be mit einem ernſthaften Geſichte ungefaͤhr alſo ant-
wortete: „Gewiß, mein Freund, ich bedaure ihn,
„ſein Vater hat das Geld verloren, und er die
„Zeit verderbt. Er hat ſtudiert, und iſt keinem
„Menſchen zu etwas nuͤtze. Waͤre es nicht ver-
„nuͤnftiger geweſen, wenn er ſich auf diejenigen
„Wiſſenſchaften etwas mehr gelegt haͤtte, von de-
„nen er geglaubt, daß ſie ſo veraͤchtlich und uͤber-
„fluͤßig ſind? Muß er ſich nicht ſchaͤmen, daß er in
„Griechenland zu Hauſe, und in Sachſen ein
„Fremdling iſt? Daß er die Geſetze ſeines Solons
„verſteht, und nicht die geringſte Kenntniß von den
„Rechten ſeines Vaterlandes hat? Haͤtte er ſich
„nicht die Sprachen der Auslaͤnder wenigſtens nur
„in
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/188>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.