Zuerst sah das Ding noch grade so aus, wie es vor Jahren ausgesehen hatte. Nur daß es heute in anderer Beleuchtung, als an jenem Abschiedstage vor mir lag; nämlich im frischen, hellen Tagesschein, so um zehn Uhr Morgens.
Noch immer derselbe alte Wall und Graben, wie er sich aus dem achtzehnten Jahrhundert in die zweite Hälfte des neunzehnten wohl erhalten hatte. Die alten Hecken im Viereck um das jetzige bäuer- liche Anwesen, die alten Baumwipfel darüber. Nur das Ziegeldach des Haupthauses, das man sonst über das Gezweig weg und durch es hindurch noch von der Feldmark von Maiholzen aus gesehen hatte, er- blickte man heute nicht mehr. Dieses brachte mich denn darauf, daß die Hecken doch wohl gewachsen und die Baumkronen noch mehr über der Quakatzen- burg sich verdichtet haben müßten. Es mußte un- bedingt im Sommer noch schattiger als sonst auf der rothen Schanze geworden sein, und um dieses wür- digen zu können, mußte man eben wie ich die Linie gekreuzt haben, um noch einmal nach Hause zu kommen, und sonst auch überhaupt jetzt dort zu Hause sein, wo es durchschnittlich im Jahre recht heiß ist, und wo der Scha[t]ten manchmal ganz bedenklich mangelt.
Ich sah hin, die Hände vor dem Leibe über- einandergelegt; und ich sah mir Alles, da ich j[a] Zeit hatte, und Niemand auf der weiten Flur mich störte, und die Lerchen in den Lüften nicht störten, sehr genau an, ehe ich den Graben des Grafen von der Lausitz überschritt.
Zuerſt ſah das Ding noch grade ſo aus, wie es vor Jahren ausgeſehen hatte. Nur daß es heute in anderer Beleuchtung, als an jenem Abſchiedstage vor mir lag; nämlich im friſchen, hellen Tagesſchein, ſo um zehn Uhr Morgens.
Noch immer derſelbe alte Wall und Graben, wie er ſich aus dem achtzehnten Jahrhundert in die zweite Hälfte des neunzehnten wohl erhalten hatte. Die alten Hecken im Viereck um das jetzige bäuer- liche Anweſen, die alten Baumwipfel darüber. Nur das Ziegeldach des Haupthauſes, das man ſonſt über das Gezweig weg und durch es hindurch noch von der Feldmark von Maiholzen aus geſehen hatte, er- blickte man heute nicht mehr. Dieſes brachte mich denn darauf, daß die Hecken doch wohl gewachſen und die Baumkronen noch mehr über der Quakatzen- burg ſich verdichtet haben müßten. Es mußte un- bedingt im Sommer noch ſchattiger als ſonſt auf der rothen Schanze geworden ſein, und um dieſes wür- digen zu können, mußte man eben wie ich die Linie gekreuzt haben, um noch einmal nach Hauſe zu kommen, und ſonſt auch überhaupt jetzt dort zu Hauſe ſein, wo es durchſchnittlich im Jahre recht heiß iſt, und wo der Scha[t]ten manchmal ganz bedenklich mangelt.
Ich ſah hin, die Hände vor dem Leibe über- einandergelegt; und ich ſah mir Alles, da ich j[a] Zeit hatte, und Niemand auf der weiten Flur mich ſtörte, und die Lerchen in den Lüften nicht ſtörten, ſehr genau an, ehe ich den Graben des Grafen von der Lauſitz überſchritt.
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0070"n="60"/><p>Zuerſt ſah das Ding noch grade ſo aus, wie<lb/>
es vor Jahren ausgeſehen hatte. Nur daß es heute<lb/>
in anderer Beleuchtung, als an jenem Abſchiedstage<lb/>
vor mir lag; nämlich im friſchen, hellen Tagesſchein,<lb/>ſo um zehn Uhr Morgens.</p><lb/><p>Noch immer derſelbe alte Wall und Graben,<lb/>
wie er ſich aus dem achtzehnten Jahrhundert in die<lb/>
zweite Hälfte des neunzehnten wohl erhalten hatte.<lb/>
Die alten Hecken im Viereck um das jetzige bäuer-<lb/>
liche Anweſen, die alten Baumwipfel darüber. Nur<lb/>
das Ziegeldach des Haupthauſes, das man ſonſt über<lb/>
das Gezweig weg und durch es hindurch noch von<lb/>
der Feldmark von Maiholzen aus geſehen hatte, er-<lb/>
blickte man heute nicht mehr. Dieſes brachte mich<lb/>
denn darauf, daß die Hecken doch wohl gewachſen<lb/>
und die Baumkronen noch mehr über der Quakatzen-<lb/>
burg ſich verdichtet haben müßten. Es mußte un-<lb/>
bedingt im Sommer noch ſchattiger als ſonſt auf der<lb/>
rothen Schanze geworden ſein, und um dieſes wür-<lb/>
digen zu können, mußte man eben wie ich die Linie<lb/>
gekreuzt haben, um noch einmal nach Hauſe zu kommen,<lb/>
und ſonſt auch überhaupt jetzt dort zu Hauſe ſein,<lb/>
wo es durchſchnittlich im Jahre recht heiß iſt, und<lb/>
wo der Scha<supplied>t</supplied>ten manchmal ganz bedenklich mangelt.</p><lb/><p>Ich ſah hin, die Hände vor dem Leibe über-<lb/>
einandergelegt; und ich ſah mir Alles, da ich j<supplied>a</supplied><lb/>
Zeit hatte, und Niemand auf der weiten Flur mich<lb/>ſtörte, und die Lerchen in den Lüften nicht ſtörten,<lb/>ſehr genau an, ehe ich den Graben des Grafen von<lb/>
der Lauſitz überſchritt.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[60/0070]
Zuerſt ſah das Ding noch grade ſo aus, wie
es vor Jahren ausgeſehen hatte. Nur daß es heute
in anderer Beleuchtung, als an jenem Abſchiedstage
vor mir lag; nämlich im friſchen, hellen Tagesſchein,
ſo um zehn Uhr Morgens.
Noch immer derſelbe alte Wall und Graben,
wie er ſich aus dem achtzehnten Jahrhundert in die
zweite Hälfte des neunzehnten wohl erhalten hatte.
Die alten Hecken im Viereck um das jetzige bäuer-
liche Anweſen, die alten Baumwipfel darüber. Nur
das Ziegeldach des Haupthauſes, das man ſonſt über
das Gezweig weg und durch es hindurch noch von
der Feldmark von Maiholzen aus geſehen hatte, er-
blickte man heute nicht mehr. Dieſes brachte mich
denn darauf, daß die Hecken doch wohl gewachſen
und die Baumkronen noch mehr über der Quakatzen-
burg ſich verdichtet haben müßten. Es mußte un-
bedingt im Sommer noch ſchattiger als ſonſt auf der
rothen Schanze geworden ſein, und um dieſes wür-
digen zu können, mußte man eben wie ich die Linie
gekreuzt haben, um noch einmal nach Hauſe zu kommen,
und ſonſt auch überhaupt jetzt dort zu Hauſe ſein,
wo es durchſchnittlich im Jahre recht heiß iſt, und
wo der Schatten manchmal ganz bedenklich mangelt.
Ich ſah hin, die Hände vor dem Leibe über-
einandergelegt; und ich ſah mir Alles, da ich ja
Zeit hatte, und Niemand auf der weiten Flur mich
ſtörte, und die Lerchen in den Lüften nicht ſtörten,
ſehr genau an, ehe ich den Graben des Grafen von
der Lauſitz überſchritt.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordge… [mehr]
Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte" entstand ca. 1888/90. Der Text erschien zuerst 1891 in der Deutschen Roman-Zeitung (28. Jg., Nr. 1–6) und wurde für das Deutsche Textarchiv, gemäß den DTA-Leitlinien, nach der ersten selbstständigen Veröffentlichung digitalisiert.
Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/70>, abgerufen am 17.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.