Daß der Mensch trotz seiner einladenden Worte noch einen zweiten Besuch von mir erwartete, glaubte ich nicht mehr. Und ich habe es schon gesagt: die rothe Schanze war der letzte Ort der Heimath, dem ich noch einen Besuch schuldig gewesen war. Geschäfte hatte ich nicht mehr zu Hause. Alle lieben und alle schlimmen Erinnerungen hatte ich von Neuem geweckt und konnte sie aufgefrischt mit nach Kaffraria nehmen. Wenn ich durchging vor den Manen Kienbaums, ließ ich kaum ein Bedauern, sondern nur höchstens eine kurzlebige Verwunderung über den raschen Aufbruch hinter mir zurück. Es war niemand von beiden Geschlechtern vorhanden, der mir den Rock zerrissen haben würde bei dem Versuche, mich "wenigstens noch ein paar Tage" zurückzuhalten.
Wie wäre es denn, wenn Du den Kopf aus der Geschichte zögest, Eduard; und Dein Theil daran sofort mit auf das Schiff nähmest?
Mit dem Wort oder vielmehr Gedanken stand ich bereits nicht mehr auf dem festen Boden des Vaterlandes, ich stand wieder auf meinen Seebeinen auf den beweglichen Planken über dem großen Ge- woge des Oceans, und es blies mir ein sehr er- frischender Meerwind ins Gesicht.
"Ich gehe!" sagte ich, und -- ich ging wirklich und wahrhaftig. Stille Vorwürfe ließ ich dabei außer Acht, und für laute war ich ja immer noch in Afrika zu finden, und hätte da gern Jedem Rechen- schaft abgelegt, das heißt ihm dies, mein Schiffstage- buch zu lesen gegeben.
Daß der Menſch trotz ſeiner einladenden Worte noch einen zweiten Beſuch von mir erwartete, glaubte ich nicht mehr. Und ich habe es ſchon geſagt: die rothe Schanze war der letzte Ort der Heimath, dem ich noch einen Beſuch ſchuldig geweſen war. Geſchäfte hatte ich nicht mehr zu Hauſe. Alle lieben und alle ſchlimmen Erinnerungen hatte ich von Neuem geweckt und konnte ſie aufgefriſcht mit nach Kaffraria nehmen. Wenn ich durchging vor den Manen Kienbaums, ließ ich kaum ein Bedauern, ſondern nur höchſtens eine kurzlebige Verwunderung über den raſchen Aufbruch hinter mir zurück. Es war niemand von beiden Geſchlechtern vorhanden, der mir den Rock zerriſſen haben würde bei dem Verſuche, mich „wenigſtens noch ein paar Tage“ zurückzuhalten.
Wie wäre es denn, wenn Du den Kopf aus der Geſchichte zögeſt, Eduard; und Dein Theil daran ſofort mit auf das Schiff nähmeſt?
Mit dem Wort oder vielmehr Gedanken ſtand ich bereits nicht mehr auf dem feſten Boden des Vaterlandes, ich ſtand wieder auf meinen Seebeinen auf den beweglichen Planken über dem großen Ge- woge des Oceans, und es blies mir ein ſehr er- friſchender Meerwind ins Geſicht.
„Ich gehe!“ ſagte ich, und — ich ging wirklich und wahrhaftig. Stille Vorwürfe ließ ich dabei außer Acht, und für laute war ich ja immer noch in Afrika zu finden, und hätte da gern Jedem Rechen- ſchaft abgelegt, das heißt ihm dies, mein Schiffstage- buch zu leſen gegeben.
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Daß der Menſch trotz ſeiner einladenden Worte
noch einen zweiten Beſuch von mir erwartete, glaubte
ich nicht mehr. Und ich habe es ſchon geſagt: die
rothe Schanze war der letzte Ort der Heimath, dem ich
noch einen Beſuch ſchuldig geweſen war. Geſchäfte
hatte ich nicht mehr zu Hauſe. Alle lieben und alle
ſchlimmen Erinnerungen hatte ich von Neuem geweckt
und konnte ſie aufgefriſcht mit nach Kaffraria nehmen.
Wenn ich durchging vor den Manen Kienbaums, ließ
ich kaum ein Bedauern, ſondern nur höchſtens eine
kurzlebige Verwunderung über den raſchen Aufbruch
hinter mir zurück. Es war niemand von beiden
Geſchlechtern vorhanden, der mir den Rock zerriſſen
haben würde bei dem Verſuche, mich „wenigſtens
noch ein paar Tage“ zurückzuhalten.
Wie wäre es denn, wenn Du den Kopf aus
der Geſchichte zögeſt, Eduard; und Dein Theil daran
ſofort mit auf das Schiff nähmeſt?
Mit dem Wort oder vielmehr Gedanken ſtand
ich bereits nicht mehr auf dem feſten Boden des
Vaterlandes, ich ſtand wieder auf meinen Seebeinen
auf den beweglichen Planken über dem großen Ge-
woge des Oceans, und es blies mir ein ſehr er-
friſchender Meerwind ins Geſicht.
„Ich gehe!“ ſagte ich, und — ich ging wirklich
und wahrhaftig. Stille Vorwürfe ließ ich dabei
außer Acht, und für laute war ich ja immer noch in
Afrika zu finden, und hätte da gern Jedem Rechen-
ſchaft abgelegt, das heißt ihm dies, mein Schiffstage-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordge… [mehr]
Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte" entstand ca. 1888/90. Der Text erschien zuerst 1891 in der Deutschen Roman-Zeitung (28. Jg., Nr. 1–6) und wurde für das Deutsche Textarchiv, gemäß den DTA-Leitlinien, nach der ersten selbstständigen Veröffentlichung digitalisiert.
Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/284>, abgerufen am 16.02.2025.
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