Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891.

Bild:
<< vorherige Seite

schüttelnd, und vor sich hinbrummend, daß so 'ne
verdammte Schreiberei gottlob doch nur eine Aus-
nahme auf dem Wasser sei. Ich bin fest überzeugt,
in drängender Noth hätte er mich für den Unheils-
vogel auf seinem Schiff genommen und ohne große
Gewissensbisse über Bord in die tosende See be-
fördert, um die übrige Ladung durch das sühnende
Opfer zu retten. -- --

Wir, Stopfkuchen und ich, aberstanden wieder vor
dem Goldenen Arm unter dem stillen, warmen, dunkeln
Sommerabendhimmel, und ich trocknete mir die Stirn
nicht weniger ab wie der erstaunliche, dicke Freund.
Er hatte die Geschichte von Kienbaums Morde nicht
bloß mit seiner dröhnigen, langweiligen Redegabe
von sich gegeben; er hatte sie auch ausgeschwitzt, sie
durch die Poren aus sich herausgelassen. Ich aber,
hatte ich darum draußen soviel zu Wasser und zu
Lande erlebt, um in dem stillen Heimathwinkel vor
Stopfkuchen und Storzhammel zu stehen wie vor etwas
weder von mir noch von irgend einem andern
Menschen je Erlebten?

Wer von Beiden war mir nun der Unbegreif-
lichste, der Unheimlichste geworden? O dieser Störzer!
O dieser Schaumann! -- Mein alter, ältester Kinder-
freund und Spielkamerad Kienbaums Mörder! Er
der mich im Grunde doch ganz allein auf die See
und in die Wüste durch seinen Le Vaillant gebracht
hatte, dem ich mein "Rittergut" am Kap der guten
Hoffnung einzig und allein durch seine Unterhaltungen
auf seinen Weltwanderungen auf seinen Landstraßen

ſchüttelnd, und vor ſich hinbrummend, daß ſo 'ne
verdammte Schreiberei gottlob doch nur eine Aus-
nahme auf dem Waſſer ſei. Ich bin feſt überzeugt,
in drängender Noth hätte er mich für den Unheils-
vogel auf ſeinem Schiff genommen und ohne große
Gewiſſensbiſſe über Bord in die toſende See be-
fördert, um die übrige Ladung durch das ſühnende
Opfer zu retten. — —

Wir, Stopfkuchen und ich, aberſtanden wieder vor
dem Goldenen Arm unter dem ſtillen, warmen, dunkeln
Sommerabendhimmel, und ich trocknete mir die Stirn
nicht weniger ab wie der erſtaunliche, dicke Freund.
Er hatte die Geſchichte von Kienbaums Morde nicht
bloß mit ſeiner dröhnigen, langweiligen Redegabe
von ſich gegeben; er hatte ſie auch ausgeſchwitzt, ſie
durch die Poren aus ſich herausgelaſſen. Ich aber,
hatte ich darum draußen ſoviel zu Waſſer und zu
Lande erlebt, um in dem ſtillen Heimathwinkel vor
Stopfkuchen und Storzhammel zu ſtehen wie vor etwas
weder von mir noch von irgend einem andern
Menſchen je Erlebten?

Wer von Beiden war mir nun der Unbegreif-
lichſte, der Unheimlichſte geworden? O dieſer Störzer!
O dieſer Schaumann! — Mein alter, älteſter Kinder-
freund und Spielkamerad Kienbaums Mörder! Er
der mich im Grunde doch ganz allein auf die See
und in die Wüſte durch ſeinen Le Vaillant gebracht
hatte, dem ich mein „Rittergut“ am Kap der guten
Hoffnung einzig und allein durch ſeine Unterhaltungen
auf ſeinen Weltwanderungen auf ſeinen Landſtraßen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0277" n="267"/>
&#x017F;chüttelnd, und vor &#x017F;ich hinbrummend, daß &#x017F;o 'ne<lb/>
verdammte Schreiberei gottlob doch nur eine Aus-<lb/>
nahme auf dem Wa&#x017F;&#x017F;er &#x017F;ei. Ich bin fe&#x017F;t überzeugt,<lb/>
in drängender Noth hätte er mich für den Unheils-<lb/>
vogel auf &#x017F;einem Schiff genommen und ohne große<lb/>
Gewi&#x017F;&#x017F;ensbi&#x017F;&#x017F;e über Bord in die to&#x017F;ende See be-<lb/>
fördert, um die übrige Ladung durch das &#x017F;ühnende<lb/>
Opfer zu retten. &#x2014; &#x2014;</p><lb/>
        <p>Wir, Stopfkuchen und ich, aber&#x017F;tanden wieder vor<lb/>
dem Goldenen Arm unter dem &#x017F;tillen, warmen, dunkeln<lb/>
Sommerabendhimmel, und ich trocknete mir die Stirn<lb/>
nicht weniger ab wie der er&#x017F;taunliche, dicke Freund.<lb/>
Er hatte die Ge&#x017F;chichte von Kienbaums Morde nicht<lb/>
bloß mit &#x017F;einer dröhnigen, langweiligen Redegabe<lb/>
von &#x017F;ich gegeben; er hatte &#x017F;ie auch ausge&#x017F;chwitzt, &#x017F;ie<lb/>
durch die Poren aus &#x017F;ich herausgela&#x017F;&#x017F;en. Ich aber,<lb/>
hatte ich darum draußen &#x017F;oviel zu Wa&#x017F;&#x017F;er und zu<lb/>
Lande erlebt, um in dem &#x017F;tillen Heimathwinkel vor<lb/>
Stopfkuchen und Storzhammel zu &#x017F;tehen wie vor etwas<lb/>
weder von mir noch von irgend einem andern<lb/>
Men&#x017F;chen je Erlebten?</p><lb/>
        <p>Wer von Beiden war mir nun der Unbegreif-<lb/>
lich&#x017F;te, der Unheimlich&#x017F;te geworden? O die&#x017F;er Störzer!<lb/>
O die&#x017F;er Schaumann! &#x2014; Mein alter, älte&#x017F;ter Kinder-<lb/>
freund und Spielkamerad Kienbaums Mörder! Er<lb/>
der mich im Grunde doch ganz allein auf die See<lb/>
und in die Wü&#x017F;te durch &#x017F;einen Le Vaillant gebracht<lb/>
hatte, dem ich mein &#x201E;Rittergut&#x201C; am Kap der guten<lb/>
Hoffnung einzig und allein durch &#x017F;eine Unterhaltungen<lb/>
auf &#x017F;einen Weltwanderungen auf &#x017F;einen Land&#x017F;traßen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[267/0277] ſchüttelnd, und vor ſich hinbrummend, daß ſo 'ne verdammte Schreiberei gottlob doch nur eine Aus- nahme auf dem Waſſer ſei. Ich bin feſt überzeugt, in drängender Noth hätte er mich für den Unheils- vogel auf ſeinem Schiff genommen und ohne große Gewiſſensbiſſe über Bord in die toſende See be- fördert, um die übrige Ladung durch das ſühnende Opfer zu retten. — — Wir, Stopfkuchen und ich, aberſtanden wieder vor dem Goldenen Arm unter dem ſtillen, warmen, dunkeln Sommerabendhimmel, und ich trocknete mir die Stirn nicht weniger ab wie der erſtaunliche, dicke Freund. Er hatte die Geſchichte von Kienbaums Morde nicht bloß mit ſeiner dröhnigen, langweiligen Redegabe von ſich gegeben; er hatte ſie auch ausgeſchwitzt, ſie durch die Poren aus ſich herausgelaſſen. Ich aber, hatte ich darum draußen ſoviel zu Waſſer und zu Lande erlebt, um in dem ſtillen Heimathwinkel vor Stopfkuchen und Storzhammel zu ſtehen wie vor etwas weder von mir noch von irgend einem andern Menſchen je Erlebten? Wer von Beiden war mir nun der Unbegreif- lichſte, der Unheimlichſte geworden? O dieſer Störzer! O dieſer Schaumann! — Mein alter, älteſter Kinder- freund und Spielkamerad Kienbaums Mörder! Er der mich im Grunde doch ganz allein auf die See und in die Wüſte durch ſeinen Le Vaillant gebracht hatte, dem ich mein „Rittergut“ am Kap der guten Hoffnung einzig und allein durch ſeine Unterhaltungen auf ſeinen Weltwanderungen auf ſeinen Landſtraßen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordge… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/277
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/277>, abgerufen am 18.05.2024.