auch ganz gewiß meinen: dies ist denn doch eigentlich zu arg! und er hätte ganz gewiß nicht Unrecht. Aber so ist er nun, -- meinen Heinrich meine ich. Er erfährt das Wichtigste und Schrecklichste, was Herz und Seele bewegen kann und läßt dabei seine Pfeife nicht ausgehen. Sagt keinen Laut bis es ihm paßt! Und ich -- ich, meines armen Vaters Tochter, ich habe so eine unruhvolle, schlimme Kinderzeit, mit Steinwerfen, Fingernägelkratzen gegen Jedermann durchlebt, daß ich mich gern und willig nun in meinen jetzigen Jahren in Alles füge und bei seinem Besserverstehen nach nichts frage, sondern auch meine Ruhe behalte, obgleich das eigentlich leider Gottes garnicht in meiner Natur liegt. Ich weiß es ja wohl, daß wir jetzt, Gott sei Dank, hier auf der Schanze so still für uns hinleben, daß wir für Alles Zeit haben. Daß wir für Alles die Zeit abwarten können, wo wir uns Alles sagen, am Mittage oder um Mitternacht: das Schlimmste und das Beste. Ich kenne auch gottlob, jede Fiber in seiner Seele und daß er kein Geheimniß vor mir hat; denn sonst würden wir ja auch nicht so leben, wie wir leben: aber was zu arg ist, ist zu arg! und eine Tochter bleibt doch immer eine Tochter, und eine Frau eine Frau, ja und, Herr Eduard, und ein Frauenzimmer ein Frauenzimmer: er kennt Kienbaums Mörder, er kann ihn vielleicht heute schon aufs Schaffot bringen, und er hat des Bauern Quakatz Tochter von der rothen Schanze zum Weibe und nimmt die Sache so, als stecke er den Kopf aus dem Fenster und sage:
auch ganz gewiß meinen: dies iſt denn doch eigentlich zu arg! und er hätte ganz gewiß nicht Unrecht. Aber ſo iſt er nun, — meinen Heinrich meine ich. Er erfährt das Wichtigſte und Schrecklichſte, was Herz und Seele bewegen kann und läßt dabei ſeine Pfeife nicht ausgehen. Sagt keinen Laut bis es ihm paßt! Und ich — ich, meines armen Vaters Tochter, ich habe ſo eine unruhvolle, ſchlimme Kinderzeit, mit Steinwerfen, Fingernägelkratzen gegen Jedermann durchlebt, daß ich mich gern und willig nun in meinen jetzigen Jahren in Alles füge und bei ſeinem Beſſerverſtehen nach nichts frage, ſondern auch meine Ruhe behalte, obgleich das eigentlich leider Gottes garnicht in meiner Natur liegt. Ich weiß es ja wohl, daß wir jetzt, Gott ſei Dank, hier auf der Schanze ſo ſtill für uns hinleben, daß wir für Alles Zeit haben. Daß wir für Alles die Zeit abwarten können, wo wir uns Alles ſagen, am Mittage oder um Mitternacht: das Schlimmſte und das Beſte. Ich kenne auch gottlob, jede Fiber in ſeiner Seele und daß er kein Geheimniß vor mir hat; denn ſonſt würden wir ja auch nicht ſo leben, wie wir leben: aber was zu arg iſt, iſt zu arg! und eine Tochter bleibt doch immer eine Tochter, und eine Frau eine Frau, ja und, Herr Eduard, und ein Frauenzimmer ein Frauenzimmer: er kennt Kienbaums Mörder, er kann ihn vielleicht heute ſchon aufs Schaffot bringen, und er hat des Bauern Quakatz Tochter von der rothen Schanze zum Weibe und nimmt die Sache ſo, als ſtecke er den Kopf aus dem Fenſter und ſage:
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auch ganz gewiß meinen: dies iſt denn doch eigentlich
zu arg! und er hätte ganz gewiß nicht Unrecht. Aber
ſo iſt er nun, — meinen Heinrich meine ich. Er
erfährt das Wichtigſte und Schrecklichſte, was Herz
und Seele bewegen kann und läßt dabei ſeine Pfeife
nicht ausgehen. Sagt keinen Laut bis es ihm paßt!
Und ich — ich, meines armen Vaters Tochter, ich
habe ſo eine unruhvolle, ſchlimme Kinderzeit, mit
Steinwerfen, Fingernägelkratzen gegen Jedermann
durchlebt, daß ich mich gern und willig nun in
meinen jetzigen Jahren in Alles füge und bei ſeinem
Beſſerverſtehen nach nichts frage, ſondern auch meine
Ruhe behalte, obgleich das eigentlich leider Gottes
garnicht in meiner Natur liegt. Ich weiß es ja
wohl, daß wir jetzt, Gott ſei Dank, hier auf der
Schanze ſo ſtill für uns hinleben, daß wir für Alles
Zeit haben. Daß wir für Alles die Zeit abwarten
können, wo wir uns Alles ſagen, am Mittage oder
um Mitternacht: das Schlimmſte und das Beſte. Ich
kenne auch gottlob, jede Fiber in ſeiner Seele und
daß er kein Geheimniß vor mir hat; denn ſonſt
würden wir ja auch nicht ſo leben, wie wir leben:
aber was zu arg iſt, iſt zu arg! und eine Tochter
bleibt doch immer eine Tochter, und eine Frau eine
Frau, ja und, Herr Eduard, und ein Frauenzimmer
ein Frauenzimmer: er kennt Kienbaums Mörder, er
kann ihn vielleicht heute ſchon aufs Schaffot bringen,
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordge… [mehr]
Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte" entstand ca. 1888/90. Der Text erschien zuerst 1891 in der Deutschen Roman-Zeitung (28. Jg., Nr. 1–6) und wurde für das Deutsche Textarchiv, gemäß den DTA-Leitlinien, nach der ersten selbstständigen Veröffentlichung digitalisiert.
Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/217>, abgerufen am 27.11.2024.
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