Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891.

Bild:
<< vorherige Seite

mit der brennenden Faust an den Mund fuhr und
den schmerzlichen Übereifer wegsog wie ich, nachdem
ich das unbotmäßige Vasallengesindel der rothen Schanze
geduckt hatte. Nachher machte ich mich selbstverständ-
lich näher an dies kleine Mädchen hier und triumphirte
auch da über allerhand Dummheiten und Wider-
spenstigkeiten. Solltest Du es für möglich halten,
Eduard, daß sie mich halb durch ihre Thränen und
halb durch ihr Lachen fragte: ,Aber sage mal Hein-
rich, geht denn dieses so? und schickt es sich so für
mich und für uns mit dem ganzen Dorf und der
ganzen Stadt mit allen Augen und Brillen auf uns?'
Im Grunde genommen war dieses nur eine andere,
das heißt den Umständen angemessene Wendung für
das schämige Wort: ,Sprechen Sie mit meiner Mutter!'
Und ich that dem Gänslein den Gefallen, klopfte
diesmal nicht auf den Tisch, sondern dem guten Kind
auf die Schulter, seufzte schmachtend: ,Sie sollen mich
nicht umsonst Stopfkuchen benamset haben, Fräulein,
und da sitzt ja der Papa, den können wir um das
Übrige fragen; Den hat die Welt sicherlich ganz genau
gelehrt, was sich auf der rothen Schanze schickt.' An
diesem Abend wurde es freilich mit solcher Frage noch
nichts. Ein vernünftiges Wort war an diesem Abend
mit Vater Quakatz noch nicht zu sprechen; die Scene
von vorhin war ihm zu arg auf die Nerven gefallen.
Er saß da, schlotternd vor Angst, blödsinnig weiner-
lich jetzt; aber doch immer fest bei seiner Behaup-
tung: ,Mord und Todtschlag! Mord und Todtschlag!
aber ich bin's doch nicht gewesen, Herr Präsidente!'

mit der brennenden Fauſt an den Mund fuhr und
den ſchmerzlichen Übereifer wegſog wie ich, nachdem
ich das unbotmäßige Vaſallengeſindel der rothen Schanze
geduckt hatte. Nachher machte ich mich ſelbſtverſtänd-
lich näher an dies kleine Mädchen hier und triumphirte
auch da über allerhand Dummheiten und Wider-
ſpenſtigkeiten. Sollteſt Du es für möglich halten,
Eduard, daß ſie mich halb durch ihre Thränen und
halb durch ihr Lachen fragte: ‚Aber ſage mal Hein-
rich, geht denn dieſes ſo? und ſchickt es ſich ſo für
mich und für uns mit dem ganzen Dorf und der
ganzen Stadt mit allen Augen und Brillen auf uns?‘
Im Grunde genommen war dieſes nur eine andere,
das heißt den Umſtänden angemeſſene Wendung für
das ſchämige Wort: ‚Sprechen Sie mit meiner Mutter!‘
Und ich that dem Gänslein den Gefallen, klopfte
diesmal nicht auf den Tiſch, ſondern dem guten Kind
auf die Schulter, ſeufzte ſchmachtend: ‚Sie ſollen mich
nicht umſonſt Stopfkuchen benamſet haben, Fräulein,
und da ſitzt ja der Papa, den können wir um das
Übrige fragen; Den hat die Welt ſicherlich ganz genau
gelehrt, was ſich auf der rothen Schanze ſchickt.‘ An
dieſem Abend wurde es freilich mit ſolcher Frage noch
nichts. Ein vernünftiges Wort war an dieſem Abend
mit Vater Quakatz noch nicht zu ſprechen; die Scene
von vorhin war ihm zu arg auf die Nerven gefallen.
Er ſaß da, ſchlotternd vor Angſt, blödſinnig weiner-
lich jetzt; aber doch immer feſt bei ſeiner Behaup-
tung: ‚Mord und Todtſchlag! Mord und Todtſchlag!
aber ich bin's doch nicht geweſen, Herr Präſidente!‘

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0196" n="186"/>
mit der brennenden Fau&#x017F;t an den Mund fuhr und<lb/>
den &#x017F;chmerzlichen Übereifer weg&#x017F;og wie ich, nachdem<lb/>
ich das unbotmäßige Va&#x017F;allenge&#x017F;indel der rothen Schanze<lb/>
geduckt hatte. Nachher machte ich mich &#x017F;elb&#x017F;tver&#x017F;tänd-<lb/>
lich näher an dies kleine Mädchen hier und triumphirte<lb/>
auch da über allerhand Dummheiten und Wider-<lb/>
&#x017F;pen&#x017F;tigkeiten. Sollte&#x017F;t Du es für möglich halten,<lb/>
Eduard, daß &#x017F;ie mich halb durch ihre Thränen und<lb/>
halb durch ihr Lachen fragte: &#x201A;Aber &#x017F;age mal Hein-<lb/>
rich, geht denn die&#x017F;es &#x017F;o? und &#x017F;chickt es &#x017F;ich &#x017F;o für<lb/>
mich und für uns mit dem ganzen Dorf und der<lb/>
ganzen Stadt mit allen Augen und Brillen auf uns?&#x2018;<lb/>
Im Grunde genommen war die&#x017F;es nur eine andere,<lb/>
das heißt den Um&#x017F;tänden angeme&#x017F;&#x017F;ene Wendung für<lb/>
das &#x017F;chämige Wort: &#x201A;Sprechen Sie mit meiner Mutter!&#x2018;<lb/>
Und ich that dem Gänslein den Gefallen, klopfte<lb/>
diesmal nicht auf den Ti&#x017F;ch, &#x017F;ondern dem guten Kind<lb/>
auf die Schulter, &#x017F;eufzte &#x017F;chmachtend: &#x201A;Sie &#x017F;ollen mich<lb/>
nicht um&#x017F;on&#x017F;t Stopfkuchen benam&#x017F;et haben, Fräulein,<lb/>
und da &#x017F;itzt ja der Papa, den können wir um das<lb/>
Übrige fragen; Den hat die Welt &#x017F;icherlich ganz genau<lb/>
gelehrt, was &#x017F;ich auf der rothen Schanze &#x017F;chickt.&#x2018; An<lb/>
die&#x017F;em Abend wurde es freilich mit &#x017F;olcher Frage noch<lb/>
nichts. Ein vernünftiges Wort war an die&#x017F;em Abend<lb/>
mit Vater Quakatz noch nicht zu &#x017F;prechen; die Scene<lb/>
von vorhin war ihm zu arg auf die Nerven gefallen.<lb/>
Er &#x017F;aß da, &#x017F;chlotternd vor Ang&#x017F;t, blöd&#x017F;innig weiner-<lb/>
lich jetzt; aber doch immer fe&#x017F;t bei &#x017F;einer Behaup-<lb/>
tung: &#x201A;Mord und Todt&#x017F;chlag! Mord und Todt&#x017F;chlag!<lb/>
aber ich bin's doch nicht gewe&#x017F;en, Herr Prä&#x017F;idente!&#x2018;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[186/0196] mit der brennenden Fauſt an den Mund fuhr und den ſchmerzlichen Übereifer wegſog wie ich, nachdem ich das unbotmäßige Vaſallengeſindel der rothen Schanze geduckt hatte. Nachher machte ich mich ſelbſtverſtänd- lich näher an dies kleine Mädchen hier und triumphirte auch da über allerhand Dummheiten und Wider- ſpenſtigkeiten. Sollteſt Du es für möglich halten, Eduard, daß ſie mich halb durch ihre Thränen und halb durch ihr Lachen fragte: ‚Aber ſage mal Hein- rich, geht denn dieſes ſo? und ſchickt es ſich ſo für mich und für uns mit dem ganzen Dorf und der ganzen Stadt mit allen Augen und Brillen auf uns?‘ Im Grunde genommen war dieſes nur eine andere, das heißt den Umſtänden angemeſſene Wendung für das ſchämige Wort: ‚Sprechen Sie mit meiner Mutter!‘ Und ich that dem Gänslein den Gefallen, klopfte diesmal nicht auf den Tiſch, ſondern dem guten Kind auf die Schulter, ſeufzte ſchmachtend: ‚Sie ſollen mich nicht umſonſt Stopfkuchen benamſet haben, Fräulein, und da ſitzt ja der Papa, den können wir um das Übrige fragen; Den hat die Welt ſicherlich ganz genau gelehrt, was ſich auf der rothen Schanze ſchickt.‘ An dieſem Abend wurde es freilich mit ſolcher Frage noch nichts. Ein vernünftiges Wort war an dieſem Abend mit Vater Quakatz noch nicht zu ſprechen; die Scene von vorhin war ihm zu arg auf die Nerven gefallen. Er ſaß da, ſchlotternd vor Angſt, blödſinnig weiner- lich jetzt; aber doch immer feſt bei ſeiner Behaup- tung: ‚Mord und Todtſchlag! Mord und Todtſchlag! aber ich bin's doch nicht geweſen, Herr Präſidente!‘

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordge… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/196
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/196>, abgerufen am 18.05.2024.