Zwang oder dergleichen die Rede gewesen sei, lag ja vollständig außer Frage; doch daß ich herzlicher Bitte und langem wiederholtem, inständigem Zureden endlich, vielleicht allzu gutmüthig Folge gegeben habe, mußte jetzt doch, und noch dazu bei so passender Ge- legenheit und in so trautem, teilnehmendem Kreise bester Bekannter, Schul- und anderer Freunde, klar gestellt werden. Eduard, ich hatte Humor an jenem Abend! Nicht den des Satans, aber den eines armen Teufels, welchen ein Mißverhältniß zwischen körper- licher und geistiger Veranlagung faktisch unfähig machte, mit dem was gedeihlich durch den Lebenstag hastet, wettzulaufen. Ja, Denen zeigte ich an jenem Abend, wie man einer öden Welt auf dem Wege zum Ideal voranlaufen, und welche üble Folgen ein zu gutes Beispiel in dieser Hinsicht haben könne. Da standen in meiner Generalbeichte die Wirthe vor den leeren Bänken, die vollen Fässer hinter sich, da saßen die Mädchen im Kämmerlein und verschluchzten ihre jungen Seelen, weil sich meine sämmtlichen Mit- strebenden ein zu gutes Exempel an meinem Streben genommen hatten. Sämmtliche Studirende sämmtlicher Brotwissenschaften saßen so sehr über ihren Büchern, daß verschiedene Male die Feuerwehr alarmirt werden mußte, ob des Dampfes der von ihren Köpfen auf- stieg. Da ging es denn nicht anders: die Ärzte -- Sanitäts- und Medizinal-Räthe mußten sich einmischen, der Verein für öffentliche Gesundheitspflege mußte einschreiten. Die ersten gingen selber in corpore, der letztere schickte seinen Vorsitzenden sowie zwei Ab-
Zwang oder dergleichen die Rede geweſen ſei, lag ja vollſtändig außer Frage; doch daß ich herzlicher Bitte und langem wiederholtem, inſtändigem Zureden endlich, vielleicht allzu gutmüthig Folge gegeben habe, mußte jetzt doch, und noch dazu bei ſo paſſender Ge- legenheit und in ſo trautem, teilnehmendem Kreiſe beſter Bekannter, Schul- und anderer Freunde, klar geſtellt werden. Eduard, ich hatte Humor an jenem Abend! Nicht den des Satans, aber den eines armen Teufels, welchen ein Mißverhältniß zwiſchen körper- licher und geiſtiger Veranlagung faktiſch unfähig machte, mit dem was gedeihlich durch den Lebenstag haſtet, wettzulaufen. Ja, Denen zeigte ich an jenem Abend, wie man einer öden Welt auf dem Wege zum Ideal voranlaufen, und welche üble Folgen ein zu gutes Beiſpiel in dieſer Hinſicht haben könne. Da ſtanden in meiner Generalbeichte die Wirthe vor den leeren Bänken, die vollen Fäſſer hinter ſich, da ſaßen die Mädchen im Kämmerlein und verſchluchzten ihre jungen Seelen, weil ſich meine ſämmtlichen Mit- ſtrebenden ein zu gutes Exempel an meinem Streben genommen hatten. Sämmtliche Studirende ſämmtlicher Brotwiſſenſchaften ſaßen ſo ſehr über ihren Büchern, daß verſchiedene Male die Feuerwehr alarmirt werden mußte, ob des Dampfes der von ihren Köpfen auf- ſtieg. Da ging es denn nicht anders: die Ärzte — Sanitäts- und Medizinal-Räthe mußten ſich einmiſchen, der Verein für öffentliche Geſundheitspflege mußte einſchreiten. Die erſten gingen ſelber in corpore, der letztere ſchickte ſeinen Vorſitzenden ſowie zwei Ab-
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Zwang oder dergleichen die Rede geweſen ſei, lag
ja vollſtändig außer Frage; doch daß ich herzlicher
Bitte und langem wiederholtem, inſtändigem Zureden
endlich, vielleicht allzu gutmüthig Folge gegeben habe,
mußte jetzt doch, und noch dazu bei ſo paſſender Ge-
legenheit und in ſo trautem, teilnehmendem Kreiſe
beſter Bekannter, Schul- und anderer Freunde, klar
geſtellt werden. Eduard, ich hatte Humor an jenem
Abend! Nicht den des Satans, aber den eines armen
Teufels, welchen ein Mißverhältniß zwiſchen körper-
licher und geiſtiger Veranlagung faktiſch unfähig machte,
mit dem was gedeihlich durch den Lebenstag haſtet,
wettzulaufen. Ja, Denen zeigte ich an jenem Abend,
wie man einer öden Welt auf dem Wege zum Ideal
voranlaufen, und welche üble Folgen ein zu gutes
Beiſpiel in dieſer Hinſicht haben könne. Da ſtanden
in meiner Generalbeichte die Wirthe vor den leeren
Bänken, die vollen Fäſſer hinter ſich, da ſaßen die
Mädchen im Kämmerlein und verſchluchzten ihre
jungen Seelen, weil ſich meine ſämmtlichen Mit-
ſtrebenden ein zu gutes Exempel an meinem Streben
genommen hatten. Sämmtliche Studirende ſämmtlicher
Brotwiſſenſchaften ſaßen ſo ſehr über ihren Büchern,
daß verſchiedene Male die Feuerwehr alarmirt werden
mußte, ob des Dampfes der von ihren Köpfen auf-
ſtieg. Da ging es denn nicht anders: die Ärzte —
Sanitäts- und Medizinal-Räthe mußten ſich einmiſchen,
der Verein für öffentliche Geſundheitspflege mußte
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der letztere ſchickte ſeinen Vorſitzenden ſowie zwei Ab-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordge… [mehr]
Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte" entstand ca. 1888/90. Der Text erschien zuerst 1891 in der Deutschen Roman-Zeitung (28. Jg., Nr. 1–6) und wurde für das Deutsche Textarchiv, gemäß den DTA-Leitlinien, nach der ersten selbstständigen Veröffentlichung digitalisiert.
Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/191>, abgerufen am 23.11.2024.
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