war und er nicht der meinige? . . . Gottlob, wir können ja jetzt ohne Gewissensbisse und Reuegefühle darüber lächeln -- was, Tinchen, alte Sibylle? Wir sind doch noch auf den allerbesten Fuß mit einander gekommen. Dort, hinter uns, unter den Linden hat auch er noch manchmal sich seinen Nachmittagskaffee von meiner Frau einschenken lassen. Und er hat sich sogar auch noch für meine und Tinchens Knochen -- unsere Urweltsknochen meine ich -- interessirt. Er stieg nämlich nach seiner Pensionierung mit Vorliebe, weniger der schönen Natur wegen, als um ihrer selbst willen um die rothe Schanze herum und hat mir mehr als einmal von seinen Spazirwegen einen aufge- pflügten Kalbsschädel oder ein Schinkenbein mit- gebracht und es meiner Sammlung einverleiben wollen mit der Überzeugung einen Fund für mich gethan und alte Sünden durch ihn an mir wieder gutgemacht zu haben. Nun, in jener Nacht, oder vielmehr an jenem Nachmittag und Abend waren wir natürlich so weit in Güte noch nicht mit einander. Der alte Herr hatte eben die Überzeugung gewonnen, daß ich ihm jetzt bis zum längsten auf der Tasche ge- legen habe, und gab es mir zu verstehen, wie der Vater Jobs seinem Hieronymus. Laß mich Dich ver- schonen, Eduard, mit Einzelheiten, die sich in die Tage und Stunden zwischen meiner letzten Heimkehr ins Vaterhaus und meinem endgültigen Verlassen desselben drängten. Ich stand plötzlich mit sehr be- unruhigtem Gewissen und mit einem herzlichen Mit- leid mit dem alten Mann draußen in der Straße
war und er nicht der meinige? . . . Gottlob, wir können ja jetzt ohne Gewiſſensbiſſe und Reuegefühle darüber lächeln — was, Tinchen, alte Sibylle? Wir ſind doch noch auf den allerbeſten Fuß mit einander gekommen. Dort, hinter uns, unter den Linden hat auch er noch manchmal ſich ſeinen Nachmittagskaffee von meiner Frau einſchenken laſſen. Und er hat ſich ſogar auch noch für meine und Tinchens Knochen — unſere Urweltsknochen meine ich — intereſſirt. Er ſtieg nämlich nach ſeiner Penſionierung mit Vorliebe, weniger der ſchönen Natur wegen, als um ihrer ſelbſt willen um die rothe Schanze herum und hat mir mehr als einmal von ſeinen Spazirwegen einen aufge- pflügten Kalbsſchädel oder ein Schinkenbein mit- gebracht und es meiner Sammlung einverleiben wollen mit der Überzeugung einen Fund für mich gethan und alte Sünden durch ihn an mir wieder gutgemacht zu haben. Nun, in jener Nacht, oder vielmehr an jenem Nachmittag und Abend waren wir natürlich ſo weit in Güte noch nicht mit einander. Der alte Herr hatte eben die Überzeugung gewonnen, daß ich ihm jetzt bis zum längſten auf der Taſche ge- legen habe, und gab es mir zu verſtehen, wie der Vater Jobs ſeinem Hieronymus. Laß mich Dich ver- ſchonen, Eduard, mit Einzelheiten, die ſich in die Tage und Stunden zwiſchen meiner letzten Heimkehr ins Vaterhaus und meinem endgültigen Verlaſſen desſelben drängten. Ich ſtand plötzlich mit ſehr be- unruhigtem Gewiſſen und mit einem herzlichen Mit- leid mit dem alten Mann draußen in der Straße
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war und er nicht der meinige? . . . Gottlob, wir
können ja jetzt ohne Gewiſſensbiſſe und Reuegefühle
darüber lächeln — was, Tinchen, alte Sibylle? Wir
ſind doch noch auf den allerbeſten Fuß mit einander
gekommen. Dort, hinter uns, unter den Linden hat
auch er noch manchmal ſich ſeinen Nachmittagskaffee
von meiner Frau einſchenken laſſen. Und er hat ſich
ſogar auch noch für meine und Tinchens Knochen —
unſere Urweltsknochen meine ich — intereſſirt. Er
ſtieg nämlich nach ſeiner Penſionierung mit Vorliebe,
weniger der ſchönen Natur wegen, als um ihrer ſelbſt
willen um die rothe Schanze herum und hat mir mehr
als einmal von ſeinen Spazirwegen einen aufge-
pflügten Kalbsſchädel oder ein Schinkenbein mit-
gebracht und es meiner Sammlung einverleiben
wollen mit der Überzeugung einen Fund für mich
gethan und alte Sünden durch ihn an mir wieder
gutgemacht zu haben. Nun, in jener Nacht, oder
vielmehr an jenem Nachmittag und Abend waren
wir natürlich ſo weit in Güte noch nicht mit einander.
Der alte Herr hatte eben die Überzeugung gewonnen,
daß ich ihm jetzt bis zum längſten auf der Taſche ge-
legen habe, und gab es mir zu verſtehen, wie der
Vater Jobs ſeinem Hieronymus. Laß mich Dich ver-
ſchonen, Eduard, mit Einzelheiten, die ſich in die
Tage und Stunden zwiſchen meiner letzten Heimkehr
ins Vaterhaus und meinem endgültigen Verlaſſen
desſelben drängten. Ich ſtand plötzlich mit ſehr be-
unruhigtem Gewiſſen und mit einem herzlichen Mit-
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Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordge… [mehr]
Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte" entstand ca. 1888/90. Der Text erschien zuerst 1891 in der Deutschen Roman-Zeitung (28. Jg., Nr. 1–6) und wurde für das Deutsche Textarchiv, gemäß den DTA-Leitlinien, nach der ersten selbstständigen Veröffentlichung digitalisiert.
Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/188>, abgerufen am 23.11.2024.
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