mir herauskommen durfte, hatte ich hier oben freiesten Spielraum. Da entwickelte sich was ich an Lyrischem und Epischem in dem hatte, was ihr da unten als mein gemüthliches Fett zu bezeichnen pflegtet. Was ich an Dramatischem in mir hatte, ließ ich natürlich ruhig in dem, was Ihr meinen Wanst benamsetet, latent bleiben. Das erfordert zu viel Kapriolen, Fratzen und Phrasen, und es ist, Gott sei Dank, immer noch hie und da Einem gestattet, ore rotundo, seine Serviette oder, wie man itzo im teutschen Vater- lande sagt, sein Tellertuch unterm Kinn festzustecken und über seinen Sesquipedalien die Hände in ein- ander zu legen und die Daumen um einander zu drehen. Würde ich hier heute bei dem Tinchen, diesem Quakätzchen hier, so sitzen wie ich sitze, wenn ich der rothen Schanze damals ebenfalls dramatisch gekommen wäre? Gewiß nicht, lieber Eduard. Diesem Kriegsaufwurf des Herrn Grafen von der Lausitz, diesem Punktum auf hiesiger Feldmark hinter dem Wort: Kindlein liebet Euch unter einander! war nur durch die Lyrik und Epik beizukommen, und Das habe ich denn auch besorgt! was, Tinchen Quakatz? Ich kann es nur immer von Neuem wiederholen, Eduard: ihr habt mich verkannt; die Schätze in meinem Busen lagen euch, offen gesagt, dummen Jungen viel zu tief. Dazu gehörte eben ein schlaues kleines Mädchen, um die herauf zu angeln. Du per- sönlich, Eduard, liesest höchstens mit Deinem Freunde Störzer und bereitetest Dich durch des alten Le Vaillants Geschichte von wilden Eseln, Giraffen,
mir herauskommen durfte, hatte ich hier oben freieſten Spielraum. Da entwickelte ſich was ich an Lyriſchem und Epiſchem in dem hatte, was ihr da unten als mein gemüthliches Fett zu bezeichnen pflegtet. Was ich an Dramatiſchem in mir hatte, ließ ich natürlich ruhig in dem, was Ihr meinen Wanſt benamſetet, latent bleiben. Das erfordert zu viel Kapriolen, Fratzen und Phraſen, und es iſt, Gott ſei Dank, immer noch hie und da Einem geſtattet, ore rotundo, ſeine Serviette oder, wie man itzo im teutſchen Vater- lande ſagt, ſein Tellertuch unterm Kinn feſtzuſtecken und über ſeinen Sesquipedalien die Hände in ein- ander zu legen und die Daumen um einander zu drehen. Würde ich hier heute bei dem Tinchen, dieſem Quakätzchen hier, ſo ſitzen wie ich ſitze, wenn ich der rothen Schanze damals ebenfalls dramatiſch gekommen wäre? Gewiß nicht, lieber Eduard. Dieſem Kriegsaufwurf des Herrn Grafen von der Lauſitz, dieſem Punktum auf hieſiger Feldmark hinter dem Wort: Kindlein liebet Euch unter einander! war nur durch die Lyrik und Epik beizukommen, und Das habe ich denn auch beſorgt! was, Tinchen Quakatz? Ich kann es nur immer von Neuem wiederholen, Eduard: ihr habt mich verkannt; die Schätze in meinem Buſen lagen euch, offen geſagt, dummen Jungen viel zu tief. Dazu gehörte eben ein ſchlaues kleines Mädchen, um die herauf zu angeln. Du per- ſönlich, Eduard, lieſeſt höchſtens mit Deinem Freunde Störzer und bereiteteſt Dich durch des alten Le Vaillants Geſchichte von wilden Eſeln, Giraffen,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0164"n="154"/>
mir herauskommen durfte, hatte ich hier oben freieſten<lb/>
Spielraum. Da entwickelte ſich was ich an Lyriſchem<lb/>
und Epiſchem in dem hatte, was ihr da unten als<lb/>
mein gemüthliches Fett zu bezeichnen pflegtet. Was<lb/>
ich an Dramatiſchem in mir hatte, ließ ich natürlich<lb/>
ruhig in dem, was Ihr meinen Wanſt benamſetet,<lb/>
latent bleiben. Das erfordert zu viel Kapriolen,<lb/>
Fratzen und Phraſen, und es iſt, Gott ſei Dank,<lb/>
immer noch hie und da Einem geſtattet, <hirendition="#aq">ore rotundo,</hi><lb/>ſeine Serviette oder, wie man itzo im teutſchen Vater-<lb/>
lande ſagt, ſein Tellertuch unterm Kinn feſtzuſtecken<lb/>
und über ſeinen Sesquipedalien die Hände in ein-<lb/>
ander zu legen und die Daumen um einander zu<lb/>
drehen. Würde ich hier heute bei dem Tinchen,<lb/>
dieſem Quakätzchen hier, ſo ſitzen wie ich ſitze, wenn<lb/>
ich der rothen Schanze damals ebenfalls dramatiſch<lb/>
gekommen wäre? Gewiß nicht, lieber Eduard. Dieſem<lb/>
Kriegsaufwurf des Herrn Grafen von der Lauſitz,<lb/>
dieſem Punktum auf hieſiger Feldmark hinter dem<lb/>
Wort: Kindlein liebet Euch unter einander! war nur<lb/>
durch die Lyrik und Epik beizukommen, und Das<lb/>
habe ich denn auch beſorgt! was, Tinchen Quakatz?<lb/>
Ich kann es nur immer von Neuem wiederholen,<lb/>
Eduard: ihr habt mich verkannt; die Schätze in<lb/>
meinem Buſen lagen euch, offen geſagt, dummen<lb/>
Jungen viel zu tief. Dazu gehörte eben ein ſchlaues<lb/>
kleines Mädchen, um die herauf zu angeln. Du per-<lb/>ſönlich, Eduard, lieſeſt höchſtens mit Deinem Freunde<lb/>
Störzer und bereiteteſt Dich durch des alten Le<lb/>
Vaillants Geſchichte von wilden Eſeln, Giraffen,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[154/0164]
mir herauskommen durfte, hatte ich hier oben freieſten
Spielraum. Da entwickelte ſich was ich an Lyriſchem
und Epiſchem in dem hatte, was ihr da unten als
mein gemüthliches Fett zu bezeichnen pflegtet. Was
ich an Dramatiſchem in mir hatte, ließ ich natürlich
ruhig in dem, was Ihr meinen Wanſt benamſetet,
latent bleiben. Das erfordert zu viel Kapriolen,
Fratzen und Phraſen, und es iſt, Gott ſei Dank,
immer noch hie und da Einem geſtattet, ore rotundo,
ſeine Serviette oder, wie man itzo im teutſchen Vater-
lande ſagt, ſein Tellertuch unterm Kinn feſtzuſtecken
und über ſeinen Sesquipedalien die Hände in ein-
ander zu legen und die Daumen um einander zu
drehen. Würde ich hier heute bei dem Tinchen,
dieſem Quakätzchen hier, ſo ſitzen wie ich ſitze, wenn
ich der rothen Schanze damals ebenfalls dramatiſch
gekommen wäre? Gewiß nicht, lieber Eduard. Dieſem
Kriegsaufwurf des Herrn Grafen von der Lauſitz,
dieſem Punktum auf hieſiger Feldmark hinter dem
Wort: Kindlein liebet Euch unter einander! war nur
durch die Lyrik und Epik beizukommen, und Das
habe ich denn auch beſorgt! was, Tinchen Quakatz?
Ich kann es nur immer von Neuem wiederholen,
Eduard: ihr habt mich verkannt; die Schätze in
meinem Buſen lagen euch, offen geſagt, dummen
Jungen viel zu tief. Dazu gehörte eben ein ſchlaues
kleines Mädchen, um die herauf zu angeln. Du per-
ſönlich, Eduard, lieſeſt höchſtens mit Deinem Freunde
Störzer und bereiteteſt Dich durch des alten Le
Vaillants Geſchichte von wilden Eſeln, Giraffen,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordge… [mehr]
Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte" entstand ca. 1888/90. Der Text erschien zuerst 1891 in der Deutschen Roman-Zeitung (28. Jg., Nr. 1–6) und wurde für das Deutsche Textarchiv, gemäß den DTA-Leitlinien, nach der ersten selbstständigen Veröffentlichung digitalisiert.
Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/164>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.