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Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891.

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nach ihm über den Graben; aber nicht lange. Ihre
jungen Herren Kollegen und Schulkameraden haben
doch nicht ganz genau gewußt, was mein Mann
damals war --"

"Alte!" lachte Stopfkuchen.

"Ach ja! ich drücke mich wieder falsch aus. Nun
denn: sie wußten nicht ganz vollkommen, was Du
alles in Dir hattest, Heinrich, und was Du alles
thun und sagen konntest, wenn Dir ein Erdkloß, der
eigentlich doch nur für Kienbaums Mörder bestimmt
war, an Deinen Kopf flog. O Herr Eduard, Ihr da-
maliger Freund konnte sich damals schon in den
ersten großen Sommerferien als den Herrn der rothen
Schanze betrachten. Er hatte sie, und zwar für mich
mit, einem schlimmen Feinde abgewonnen; und nun,
da ich mich nun nicht mehr nachts so arg vor Anderen
zu fürchten brauchte, lag ich manchmal ganz wütend und
fragte mich, weshalb ich es eben von ihm litte?! Denn,
Herr Eduard, er behandelte mich eigentlich garnicht
gut bei seinem Ritteramt! Dumme Gans war noch
der mildeste Ehrentitel, den er mir zukommen ließ.
Und wehe mir, wenn ich es merken ließ, daß auch
ich meinen Vorrath von Kosenamen zur Hand hatte
aus meinem Verkehr und Krieg mit den andern
Kindern! Und wenn ich mich durch Thränen wehren
wollte, da war's noch schlimmer. Da hieß es höchstens:
,Sie hat den besten Platz in ganz Deutschland und
sie mault! Mädchen, sitze Du mal auf meinem --'"

"Podex," rieth Freund Heinrich.

"Platz in der Schule," fuhr Frau Tine fort,

nach ihm über den Graben; aber nicht lange. Ihre
jungen Herren Kollegen und Schulkameraden haben
doch nicht ganz genau gewußt, was mein Mann
damals war —“

„Alte!“ lachte Stopfkuchen.

„Ach ja! ich drücke mich wieder falſch aus. Nun
denn: ſie wußten nicht ganz vollkommen, was Du
alles in Dir hatteſt, Heinrich, und was Du alles
thun und ſagen konnteſt, wenn Dir ein Erdkloß, der
eigentlich doch nur für Kienbaums Mörder beſtimmt
war, an Deinen Kopf flog. O Herr Eduard, Ihr da-
maliger Freund konnte ſich damals ſchon in den
erſten großen Sommerferien als den Herrn der rothen
Schanze betrachten. Er hatte ſie, und zwar für mich
mit, einem ſchlimmen Feinde abgewonnen; und nun,
da ich mich nun nicht mehr nachts ſo arg vor Anderen
zu fürchten brauchte, lag ich manchmal ganz wütend und
fragte mich, weshalb ich es eben von ihm litte?! Denn,
Herr Eduard, er behandelte mich eigentlich garnicht
gut bei ſeinem Ritteramt! Dumme Gans war noch
der mildeſte Ehrentitel, den er mir zukommen ließ.
Und wehe mir, wenn ich es merken ließ, daß auch
ich meinen Vorrath von Koſenamen zur Hand hatte
aus meinem Verkehr und Krieg mit den andern
Kindern! Und wenn ich mich durch Thränen wehren
wollte, da war's noch ſchlimmer. Da hieß es höchſtens:
‚Sie hat den beſten Platz in ganz Deutſchland und
ſie mault! Mädchen, ſitze Du mal auf meinem —‘„

„Podex,“ rieth Freund Heinrich.

„Platz in der Schule,“ fuhr Frau Tine fort,

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[146/0156] nach ihm über den Graben; aber nicht lange. Ihre jungen Herren Kollegen und Schulkameraden haben doch nicht ganz genau gewußt, was mein Mann damals war —“ „Alte!“ lachte Stopfkuchen. „Ach ja! ich drücke mich wieder falſch aus. Nun denn: ſie wußten nicht ganz vollkommen, was Du alles in Dir hatteſt, Heinrich, und was Du alles thun und ſagen konnteſt, wenn Dir ein Erdkloß, der eigentlich doch nur für Kienbaums Mörder beſtimmt war, an Deinen Kopf flog. O Herr Eduard, Ihr da- maliger Freund konnte ſich damals ſchon in den erſten großen Sommerferien als den Herrn der rothen Schanze betrachten. Er hatte ſie, und zwar für mich mit, einem ſchlimmen Feinde abgewonnen; und nun, da ich mich nun nicht mehr nachts ſo arg vor Anderen zu fürchten brauchte, lag ich manchmal ganz wütend und fragte mich, weshalb ich es eben von ihm litte?! Denn, Herr Eduard, er behandelte mich eigentlich garnicht gut bei ſeinem Ritteramt! Dumme Gans war noch der mildeſte Ehrentitel, den er mir zukommen ließ. Und wehe mir, wenn ich es merken ließ, daß auch ich meinen Vorrath von Koſenamen zur Hand hatte aus meinem Verkehr und Krieg mit den andern Kindern! Und wenn ich mich durch Thränen wehren wollte, da war's noch ſchlimmer. Da hieß es höchſtens: ‚Sie hat den beſten Platz in ganz Deutſchland und ſie mault! Mädchen, ſitze Du mal auf meinem —‘„ „Podex,“ rieth Freund Heinrich. „Platz in der Schule,“ fuhr Frau Tine fort,

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/156>, abgerufen am 23.11.2024.