"War es nicht schlimm, daß ich selber als so junges Kind die Hunde habe mit bösartig gegen die armen Menschen machen müssen? Aber war es nicht gut, nach der Schule in Sicherheit da auf dem Walle zu sitzen und das Dorf und die Stadt und die bösen Blicke und bösen Worte und das Geflüster und Gucken auch der Besten und Vernünftigsten unter sich zu haben? O Gott, man sollte sich heute noch schämen, weil man so oft, eigentlich tagtäglich aus seiner letzten Schanze heraus die Zunge hat ausstrecken und mit Steinen werfen und die armen treuen Tiere hat hetzen müssen! Heinrich hat's eben erzählt, wie mein seliger Vater auch hinter ihm stand und kein Wort sagte. Großer Gott, so hat er ja immer hinter mir gestanden, seit ich ins Denken und Nachdenken hinein- gekommen bin. Es konnte mir ja auch nur ganz langsam ins Klare wachsen, weshalb er so wild auf die Menschen war und Keinem gut, als dann und wann einem Advokaten, der ihm nach dem Munde gesprochen hatte. Es ist schlimm, es als Kind von Kindern erfahren zu müssen, daß man allein sein soll in der schönen Gotteswelt! Und wenn ich auch tausendmal sagte und weinte und schrie: ,Lügner!' sie machten mir doch hinterm Rücken des Schullehrers immer dieselben Zeichen, wie als wenn man Einem einen Strick um den Hals legt oder nach einem Schlachtochsen mit dem Beile ausholt. Wenn der Vater mir dann und wann über die Haare fuhr, wenn wir den Winterabend ohne ein Wort gesessen hatten, ich im Winkel und er im Winkel, und wenn
„War es nicht ſchlimm, daß ich ſelber als ſo junges Kind die Hunde habe mit bösartig gegen die armen Menſchen machen müſſen? Aber war es nicht gut, nach der Schule in Sicherheit da auf dem Walle zu ſitzen und das Dorf und die Stadt und die böſen Blicke und böſen Worte und das Geflüſter und Gucken auch der Beſten und Vernünftigſten unter ſich zu haben? O Gott, man ſollte ſich heute noch ſchämen, weil man ſo oft, eigentlich tagtäglich aus ſeiner letzten Schanze heraus die Zunge hat ausſtrecken und mit Steinen werfen und die armen treuen Tiere hat hetzen müſſen! Heinrich hat's eben erzählt, wie mein ſeliger Vater auch hinter ihm ſtand und kein Wort ſagte. Großer Gott, ſo hat er ja immer hinter mir geſtanden, ſeit ich ins Denken und Nachdenken hinein- gekommen bin. Es konnte mir ja auch nur ganz langſam ins Klare wachſen, weshalb er ſo wild auf die Menſchen war und Keinem gut, als dann und wann einem Advokaten, der ihm nach dem Munde geſprochen hatte. Es iſt ſchlimm, es als Kind von Kindern erfahren zu müſſen, daß man allein ſein ſoll in der ſchönen Gotteswelt! Und wenn ich auch tauſendmal ſagte und weinte und ſchrie: ‚Lügner!‘ ſie machten mir doch hinterm Rücken des Schullehrers immer dieſelben Zeichen, wie als wenn man Einem einen Strick um den Hals legt oder nach einem Schlachtochſen mit dem Beile ausholt. Wenn der Vater mir dann und wann über die Haare fuhr, wenn wir den Winterabend ohne ein Wort geſeſſen hatten, ich im Winkel und er im Winkel, und wenn
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„War es nicht ſchlimm, daß ich ſelber als ſo
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gut, nach der Schule in Sicherheit da auf dem Walle
zu ſitzen und das Dorf und die Stadt und die böſen
Blicke und böſen Worte und das Geflüſter und Gucken
auch der Beſten und Vernünftigſten unter ſich zu
haben? O Gott, man ſollte ſich heute noch ſchämen,
weil man ſo oft, eigentlich tagtäglich aus ſeiner letzten
Schanze heraus die Zunge hat ausſtrecken und mit
Steinen werfen und die armen treuen Tiere hat
hetzen müſſen! Heinrich hat's eben erzählt, wie mein
ſeliger Vater auch hinter ihm ſtand und kein Wort
ſagte. Großer Gott, ſo hat er ja immer hinter mir
geſtanden, ſeit ich ins Denken und Nachdenken hinein-
gekommen bin. Es konnte mir ja auch nur ganz
langſam ins Klare wachſen, weshalb er ſo wild auf
die Menſchen war und Keinem gut, als dann und
wann einem Advokaten, der ihm nach dem Munde
geſprochen hatte. Es iſt ſchlimm, es als Kind von
Kindern erfahren zu müſſen, daß man allein ſein
ſoll in der ſchönen Gotteswelt! Und wenn ich auch
tauſendmal ſagte und weinte und ſchrie: ‚Lügner!‘
ſie machten mir doch hinterm Rücken des Schullehrers
immer dieſelben Zeichen, wie als wenn man Einem
einen Strick um den Hals legt oder nach einem
Schlachtochſen mit dem Beile ausholt. Wenn der
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wenn wir den Winterabend ohne ein Wort geſeſſen
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Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordge… [mehr]
Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte" entstand ca. 1888/90. Der Text erschien zuerst 1891 in der Deutschen Roman-Zeitung (28. Jg., Nr. 1–6) und wurde für das Deutsche Textarchiv, gemäß den DTA-Leitlinien, nach der ersten selbstständigen Veröffentlichung digitalisiert.
Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/149>, abgerufen am 24.11.2024.
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