tigen Mondenstrahl, der in diesem Augenblick durch die zerrissenen Wolken fällt, hinein. --
"Marie! Marie!" flüstert mein Schattenbild leise, die Arme gegen ein schwach erleuchtetes Fenster drüben ausstreckend, gegen dessen herabgelassene Gardine der kaum bemerkbare Schatten einer menschlichen Gestalt fällt, und -- -- -- --
Es ist eine gefährliche Sache, in den Momenten un- gewöhnlicher Aufregung -- sei es Freude oder Schmerz, Haß oder Liebe -- sich dem klaren, weißen Licht des Mondes auszusetzen. Das Volk sagt: Man wird dumm davon. Wirklich, wundersame Gedanken bringt dieser reine Schein mit sich; allerlei tolles Zeug gewinnt Macht, sich des Geistes zu bemächtigen und ihn unfähig zu machen, fürderhin gemüthlich auf der ausgetretenen Straße des Alltagslebens weiter zu traben. "Man wird dumm davon!" -- Zauberhafte Aussichten in phantasti- sche, nebelhafte Gründe öffnen sich zu beiden Seiten; nie gehörte Stimmen werden wach, locken mit Sirenen- sang, flüstern unwiderstehlich, winken den Wanderer ab vom sicheren Wege, und bald irrt der Bezauberte in den unentrinnbaren Armidengärten der Fee Phantasie. --
"Ich liebe Dich," flüstert mein Schattenbild, "ich will Dich reich, ich will Dich glücklich, ich will Dich berühmt machen, ich will -- der schreibende Greis kann
tigen Mondenſtrahl, der in dieſem Augenblick durch die zerriſſenen Wolken fällt, hinein. —
„Marie! Marie!“ flüſtert mein Schattenbild leiſe, die Arme gegen ein ſchwach erleuchtetes Fenſter drüben ausſtreckend, gegen deſſen herabgelaſſene Gardine der kaum bemerkbare Schatten einer menſchlichen Geſtalt fällt, und — — — —
Es iſt eine gefährliche Sache, in den Momenten un- gewöhnlicher Aufregung — ſei es Freude oder Schmerz, Haß oder Liebe — ſich dem klaren, weißen Licht des Mondes auszuſetzen. Das Volk ſagt: Man wird dumm davon. Wirklich, wunderſame Gedanken bringt dieſer reine Schein mit ſich; allerlei tolles Zeug gewinnt Macht, ſich des Geiſtes zu bemächtigen und ihn unfähig zu machen, fürderhin gemüthlich auf der ausgetretenen Straße des Alltagslebens weiter zu traben. „Man wird dumm davon!“ — Zauberhafte Ausſichten in phantaſti- ſche, nebelhafte Gründe öffnen ſich zu beiden Seiten; nie gehörte Stimmen werden wach, locken mit Sirenen- ſang, flüſtern unwiderſtehlich, winken den Wanderer ab vom ſicheren Wege, und bald irrt der Bezauberte in den unentrinnbaren Armidengärten der Fee Phantaſie. —
„Ich liebe Dich,“ flüſtert mein Schattenbild, „ich will Dich reich, ich will Dich glücklich, ich will Dich berühmt machen, ich will — der ſchreibende Greis kann
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tigen Mondenſtrahl, der in dieſem Augenblick durch die
zerriſſenen Wolken fällt, hinein. —
„Marie! Marie!“ flüſtert mein Schattenbild leiſe,
die Arme gegen ein ſchwach erleuchtetes Fenſter drüben
ausſtreckend, gegen deſſen herabgelaſſene Gardine der kaum
bemerkbare Schatten einer menſchlichen Geſtalt fällt,
und — — — —
Es iſt eine gefährliche Sache, in den Momenten un-
gewöhnlicher Aufregung — ſei es Freude oder Schmerz,
Haß oder Liebe — ſich dem klaren, weißen Licht des
Mondes auszuſetzen. Das Volk ſagt: Man wird dumm
davon. Wirklich, wunderſame Gedanken bringt dieſer
reine Schein mit ſich; allerlei tolles Zeug gewinnt
Macht, ſich des Geiſtes zu bemächtigen und ihn unfähig
zu machen, fürderhin gemüthlich auf der ausgetretenen
Straße des Alltagslebens weiter zu traben. „Man wird
dumm davon!“ — Zauberhafte Ausſichten in phantaſti-
ſche, nebelhafte Gründe öffnen ſich zu beiden Seiten;
nie gehörte Stimmen werden wach, locken mit Sirenen-
ſang, flüſtern unwiderſtehlich, winken den Wanderer ab
vom ſicheren Wege, und bald irrt der Bezauberte in
den unentrinnbaren Armidengärten der Fee Phantaſie. —
„Ich liebe Dich,“ flüſtert mein Schattenbild, „ich
will Dich reich, ich will Dich glücklich, ich will Dich
berühmt machen, ich will — der ſchreibende Greis kann
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Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/28>, abgerufen am 05.07.2024.
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