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Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857.

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um Commando-Wörter; sie stürmten die Thore Roms
und -- die Weltgeschichte -- ging einen Schritt wei-
ter!" -- --

Ich schüttelte wieder das Haupt und brummte: "Im-
mer zertrümmern, zertrümmern!"

"Meine Mutter starb, indem sie mich gebar!" sagte
der Zeichner grimmig und stand still. Wir hatten den
Ausgang der Sperlingsgasse erreicht; ein kleiner Hand-
wagen mit Kisten und Kasten beladen, versperrte uns
den Weg. "Jetzt will ich Ihnen auch sagen, wo ich in
der That
hin will; nicht wohin ich gehen könnte!"
sagte Strobel. "Kommen Sie!"

Verwundert folgte ich dem in eine dunkle Keller-
Wohnung Herabsteigenden.

So ist das menschliche Leben. Lange, lange Jahre
hatte ich in dieser Gasse gewohnt, täglich fast war ich
vor diesem Hause, vor diesen trüben Fenstern vorbeige-
gangen, und heute, am letzten Tage, den die arme hier
wohnende Familie dahinter zubringt, steige ich zum ersten
Male die feuchten Stufen hinab zu ihr. Der Zeichner
stellte mich dem Hausherrn vor, dem Schuhmacher Bur-
ger, einem Manne, welchem eine ganze Passionsgeschichte
vom Gesichte abzulesen war. Heute Abend führt ihn
und die Seinigen die Eisenbahn dem Meere zu, von wo
sie ein Schiff nach einer neuen Heimath, nach dem jun-

um Commando-Wörter; ſie ſtürmten die Thore Roms
und — die Weltgeſchichte — ging einen Schritt wei-
ter!“ — —

Ich ſchüttelte wieder das Haupt und brummte: „Im-
mer zertrümmern, zertrümmern!“

„Meine Mutter ſtarb, indem ſie mich gebar!“ ſagte
der Zeichner grimmig und ſtand ſtill. Wir hatten den
Ausgang der Sperlingsgaſſe erreicht; ein kleiner Hand-
wagen mit Kiſten und Kaſten beladen, verſperrte uns
den Weg. „Jetzt will ich Ihnen auch ſagen, wo ich in
der That
hin will; nicht wohin ich gehen könnte!“
ſagte Strobel. „Kommen Sie!“

Verwundert folgte ich dem in eine dunkle Keller-
Wohnung Herabſteigenden.

So iſt das menſchliche Leben. Lange, lange Jahre
hatte ich in dieſer Gaſſe gewohnt, täglich faſt war ich
vor dieſem Hauſe, vor dieſen trüben Fenſtern vorbeige-
gangen, und heute, am letzten Tage, den die arme hier
wohnende Familie dahinter zubringt, ſteige ich zum erſten
Male die feuchten Stufen hinab zu ihr. Der Zeichner
ſtellte mich dem Hausherrn vor, dem Schuhmacher Bur-
ger, einem Manne, welchem eine ganze Paſſionsgeſchichte
vom Geſichte abzuleſen war. Heute Abend führt ihn
und die Seinigen die Eiſenbahn dem Meere zu, von wo
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[252/0262] um Commando-Wörter; ſie ſtürmten die Thore Roms und — die Weltgeſchichte — ging einen Schritt wei- ter!“ — — Ich ſchüttelte wieder das Haupt und brummte: „Im- mer zertrümmern, zertrümmern!“ „Meine Mutter ſtarb, indem ſie mich gebar!“ ſagte der Zeichner grimmig und ſtand ſtill. Wir hatten den Ausgang der Sperlingsgaſſe erreicht; ein kleiner Hand- wagen mit Kiſten und Kaſten beladen, verſperrte uns den Weg. „Jetzt will ich Ihnen auch ſagen, wo ich in der That hin will; nicht wohin ich gehen könnte!“ ſagte Strobel. „Kommen Sie!“ Verwundert folgte ich dem in eine dunkle Keller- Wohnung Herabſteigenden. So iſt das menſchliche Leben. Lange, lange Jahre hatte ich in dieſer Gaſſe gewohnt, täglich faſt war ich vor dieſem Hauſe, vor dieſen trüben Fenſtern vorbeige- gangen, und heute, am letzten Tage, den die arme hier wohnende Familie dahinter zubringt, ſteige ich zum erſten Male die feuchten Stufen hinab zu ihr. Der Zeichner ſtellte mich dem Hausherrn vor, dem Schuhmacher Bur- ger, einem Manne, welchem eine ganze Paſſionsgeſchichte vom Geſichte abzuleſen war. Heute Abend führt ihn und die Seinigen die Eiſenbahn dem Meere zu, von wo ſie ein Schiff nach einer neuen Heimath, nach dem jun-

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/262>, abgerufen am 24.11.2024.