Und nun sieh da, im Grase ausgestreckt, da bin auch ich, der kleine Hans Wachholder, der Sohn aus dem Pfarrhause; blinzelnd zu dem blauen Himmel hinauf- schauend und den kleinen weißen "Schäfchen" in der reinen Luft nachträumend! --
Die Glocken der heimkehrenden Heerden erklingen zwischen den Bergen, rings umher summt und tönt un- endliches Leben; im Gras, in den Bäumen, in der Luft, und das Kinderherz versteht Alles, es ist ja noch eins mit der Natur, eins mit -- Gott! --
Aber warum öffnet sich nicht dort unten die braune Thür, die aus dem hübschen, vom Weinstock übersponne- nen Hause mit den hellglänzenden Fenstern, in den Gar- ten führt?
Wo ist der alte Mann mit den ehrwürdigen grauen Haaren, der da allabendlich seine Blumen zu begießen pflegt?
Wo ist -- wo ist meine Mutter? Meine Mutter!
Keine freundliche Stimme antwortet! Ich selbst habe ja graue Haare. Vater und Mutter schlummern lange in ihren vergessenen eingesunkenen Gräbern auf dem kleinen Stadtkirchhof zu Ulfelden. Jüngere Geschlechter sind seitdem hinab gegangen. -- --
Plötzlich verändert sich das sonnige, sommerliche Bild. -- Da ist schon die große Stadt! Diesmal ist es nicht
Und nun ſieh da, im Graſe ausgeſtreckt, da bin auch ich, der kleine Hans Wachholder, der Sohn aus dem Pfarrhauſe; blinzelnd zu dem blauen Himmel hinauf- ſchauend und den kleinen weißen „Schäfchen“ in der reinen Luft nachträumend! —
Die Glocken der heimkehrenden Heerden erklingen zwiſchen den Bergen, rings umher ſummt und tönt un- endliches Leben; im Gras, in den Bäumen, in der Luft, und das Kinderherz verſteht Alles, es iſt ja noch eins mit der Natur, eins mit — Gott! —
Aber warum öffnet ſich nicht dort unten die braune Thür, die aus dem hübſchen, vom Weinſtock überſponne- nen Hauſe mit den hellglänzenden Fenſtern, in den Gar- ten führt?
Wo iſt der alte Mann mit den ehrwürdigen grauen Haaren, der da allabendlich ſeine Blumen zu begießen pflegt?
Wo iſt — wo iſt meine Mutter? Meine Mutter!
Keine freundliche Stimme antwortet! Ich ſelbſt habe ja graue Haare. Vater und Mutter ſchlummern lange in ihren vergeſſenen eingeſunkenen Gräbern auf dem kleinen Stadtkirchhof zu Ulfelden. Jüngere Geſchlechter ſind ſeitdem hinab gegangen. — —
Plötzlich verändert ſich das ſonnige, ſommerliche Bild. — Da iſt ſchon die große Stadt! Diesmal iſt es nicht
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Und nun ſieh da, im Graſe ausgeſtreckt, da bin auch
ich, der kleine Hans Wachholder, der Sohn aus dem
Pfarrhauſe; blinzelnd zu dem blauen Himmel hinauf-
ſchauend und den kleinen weißen „Schäfchen“ in der
reinen Luft nachträumend! —
Die Glocken der heimkehrenden Heerden erklingen
zwiſchen den Bergen, rings umher ſummt und tönt un-
endliches Leben; im Gras, in den Bäumen, in der Luft,
und das Kinderherz verſteht Alles, es iſt ja noch eins
mit der Natur, eins mit — Gott! —
Aber warum öffnet ſich nicht dort unten die braune
Thür, die aus dem hübſchen, vom Weinſtock überſponne-
nen Hauſe mit den hellglänzenden Fenſtern, in den Gar-
ten führt?
Wo iſt der alte Mann mit den ehrwürdigen grauen
Haaren, der da allabendlich ſeine Blumen zu begießen
pflegt?
Wo iſt — wo iſt meine Mutter? Meine Mutter!
Keine freundliche Stimme antwortet! Ich ſelbſt habe
ja graue Haare. Vater und Mutter ſchlummern lange
in ihren vergeſſenen eingeſunkenen Gräbern auf dem
kleinen Stadtkirchhof zu Ulfelden. Jüngere Geſchlechter
ſind ſeitdem hinab gegangen. — —
Plötzlich verändert ſich das ſonnige, ſommerliche Bild.
— Da iſt ſchon die große Stadt! Diesmal iſt es nicht
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Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/26>, abgerufen am 16.02.2025.
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