verstanden zu haben und gähnt: "Ah, ouf quelle bete allemande! Eh vogue la galere, -- jusqu'a la mort tout est vie!"
Da habt ihr die beiden Nationen und ..... Wet- ter, -- da gebe ich nicht Acht und -- meine Fliege von vorhin entschlüpft summend aus dem wiedergeöffneten Fenster! Nie mehr wird sie meinen Freund Wachholder umschwirren, niemehr auf dem Rande der Zuckerdose umherspazieren oder gegen die Scheiben stoßen! Sie hat, was sie wollte -- unbegrenzte Freiheit, aber ach -- heute Abend -- keinen warmen Ofen mehr, sich daran zu wärmen; in den Rinnsteinen der Sperlingsgasse fließt weder Milch noch Honig! -- Verflucht sei die Freiheit! Amen! --
33/4 Uhr. Die meisten Dichterwerke der neusten Zeit gleichen dem Bilde jenes italischen Meisters, der seine Geliebte malte, als Herodias, und sich in dem Kopfe des Täufers auf der Schüssel portraitirte. Da pinseln uns die Herren ein Weibsbild, Tendenz genannt, hin, welches anzubeten sie heucheln, und welches auf dem Prä- sentirteller, hochachtungsvoll und ergebenst, uns das ver- zerrte Haupt des werthen Schriftstellers selbst überreicht. Die Nützlichkeit solchen Treibens läßt sich nicht ab- streiten, also -- nur immer zu! -- Wie komm' ich darauf?
verſtanden zu haben und gähnt: „Ah, ouf quelle bête allemande! Eh vogue la galère, — jusqu’à la mort tout est vie!“
Da habt ihr die beiden Nationen und ..... Wet- ter, — da gebe ich nicht Acht und — meine Fliege von vorhin entſchlüpft ſummend aus dem wiedergeöffneten Fenſter! Nie mehr wird ſie meinen Freund Wachholder umſchwirren, niemehr auf dem Rande der Zuckerdoſe umherſpazieren oder gegen die Scheiben ſtoßen! Sie hat, was ſie wollte — unbegrenzte Freiheit, aber ach — heute Abend — keinen warmen Ofen mehr, ſich daran zu wärmen; in den Rinnſteinen der Sperlingsgaſſe fließt weder Milch noch Honig! — Verflucht ſei die Freiheit! Amen! —
3¾ Uhr. Die meiſten Dichterwerke der neuſten Zeit gleichen dem Bilde jenes italiſchen Meiſters, der ſeine Geliebte malte, als Herodias, und ſich in dem Kopfe des Täufers auf der Schüſſel portraitirte. Da pinſeln uns die Herren ein Weibsbild, Tendenz genannt, hin, welches anzubeten ſie heucheln, und welches auf dem Prä- ſentirteller, hochachtungsvoll und ergebenſt, uns das ver- zerrte Haupt des werthen Schriftſtellers ſelbſt überreicht. Die Nützlichkeit ſolchen Treibens läßt ſich nicht ab- ſtreiten, alſo — nur immer zu! — Wie komm’ ich darauf?
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verſtanden zu haben und gähnt: „Ah, ouf quelle bête
allemande! Eh vogue la galère, — jusqu’à la mort
tout est vie!“
Da habt ihr die beiden Nationen und ..... Wet-
ter, — da gebe ich nicht Acht und — meine Fliege von
vorhin entſchlüpft ſummend aus dem wiedergeöffneten
Fenſter! Nie mehr wird ſie meinen Freund Wachholder
umſchwirren, niemehr auf dem Rande der Zuckerdoſe
umherſpazieren oder gegen die Scheiben ſtoßen! Sie
hat, was ſie wollte — unbegrenzte Freiheit, aber ach —
heute Abend — keinen warmen Ofen mehr, ſich daran
zu wärmen; in den Rinnſteinen der Sperlingsgaſſe fließt
weder Milch noch Honig! — Verflucht ſei die Freiheit!
Amen! —
3¾ Uhr. Die meiſten Dichterwerke der neuſten Zeit
gleichen dem Bilde jenes italiſchen Meiſters, der ſeine
Geliebte malte, als Herodias, und ſich in dem Kopfe
des Täufers auf der Schüſſel portraitirte. Da pinſeln
uns die Herren ein Weibsbild, Tendenz genannt, hin,
welches anzubeten ſie heucheln, und welches auf dem Prä-
ſentirteller, hochachtungsvoll und ergebenſt, uns das ver-
zerrte Haupt des werthen Schriftſtellers ſelbſt überreicht.
Die Nützlichkeit ſolchen Treibens läßt ſich nicht ab-
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Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/229>, abgerufen am 16.02.2025.
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