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Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857.

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wilden Spiele, die tollen Streiche in dem Hause und
auf der Gasse sind vorüber; -- (wenn auch noch nicht
ganz, Schelm) -- wo Du sonst lachtest, Elise, lächelst
Du jetzt, wo Du sonst weintest und klagtest, senkst Du
jetzt die Augen und träumst; wo Du sonst den Schürzen-
zipfel in den Mund stecktest oder die Aermchen auf dem
Rücken in einander wandest, fliegt jetzt ein hohes Roth
über Deine Wangen, -- Du bist eine Jungfrau ge-
worden in den Blättern der Chronik, Elise! --


Oftmals lässest Du, vor dem Nähtischchen Deiner
Mutter unter der Epheulaube sitzend, die Arbeit lau-
schend in den Schooß sinken, das Köpfchen in das dich-
teste Blätterwerk verbergend. -- Eine helle, frische
Stimme klingt dann von drüben herüber, ein Studen-
tenlied anstimmend. Wo will Flämmchen hin, Elise? --
Einen Augenblick sitzt es auf ihrer Schulter, ihr in's
Ohr zwitschernd, als habe es ihr ein wichtiges, ein gar
wichtiges Geheimniß mitzutheilen, dann verschwindet es
aus dem Fenster. Wo ist es geblieben? --

Die Stimme drüben, die plötzlich mitten in ihrem
Gesang abbricht, giebt Antwort darauf. Ein wohlbe-
kanntes, wenig verändertes, braunes Gesicht, von dun-
keln Locken umwallt, erscheint in No. 12 am Fenster;
es ist der junge Maler Gustav Berg, der Vetter Gustav,

wilden Spiele, die tollen Streiche in dem Hauſe und
auf der Gaſſe ſind vorüber; — (wenn auch noch nicht
ganz, Schelm) — wo Du ſonſt lachteſt, Eliſe, lächelſt
Du jetzt, wo Du ſonſt weinteſt und klagteſt, ſenkſt Du
jetzt die Augen und träumſt; wo Du ſonſt den Schürzen-
zipfel in den Mund ſteckteſt oder die Aermchen auf dem
Rücken in einander wandeſt, fliegt jetzt ein hohes Roth
über Deine Wangen, — Du biſt eine Jungfrau ge-
worden in den Blättern der Chronik, Eliſe! —


Oftmals läſſeſt Du, vor dem Nähtiſchchen Deiner
Mutter unter der Epheulaube ſitzend, die Arbeit lau-
ſchend in den Schooß ſinken, das Köpfchen in das dich-
teſte Blätterwerk verbergend. — Eine helle, friſche
Stimme klingt dann von drüben herüber, ein Studen-
tenlied anſtimmend. Wo will Flämmchen hin, Eliſe? —
Einen Augenblick ſitzt es auf ihrer Schulter, ihr in’s
Ohr zwitſchernd, als habe es ihr ein wichtiges, ein gar
wichtiges Geheimniß mitzutheilen, dann verſchwindet es
aus dem Fenſter. Wo iſt es geblieben? —

Die Stimme drüben, die plötzlich mitten in ihrem
Geſang abbricht, giebt Antwort darauf. Ein wohlbe-
kanntes, wenig verändertes, braunes Geſicht, von dun-
keln Locken umwallt, erſcheint in No. 12 am Fenſter;
es iſt der junge Maler Guſtav Berg, der Vetter Guſtav,

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[192/0202] wilden Spiele, die tollen Streiche in dem Hauſe und auf der Gaſſe ſind vorüber; — (wenn auch noch nicht ganz, Schelm) — wo Du ſonſt lachteſt, Eliſe, lächelſt Du jetzt, wo Du ſonſt weinteſt und klagteſt, ſenkſt Du jetzt die Augen und träumſt; wo Du ſonſt den Schürzen- zipfel in den Mund ſteckteſt oder die Aermchen auf dem Rücken in einander wandeſt, fliegt jetzt ein hohes Roth über Deine Wangen, — Du biſt eine Jungfrau ge- worden in den Blättern der Chronik, Eliſe! — Oftmals läſſeſt Du, vor dem Nähtiſchchen Deiner Mutter unter der Epheulaube ſitzend, die Arbeit lau- ſchend in den Schooß ſinken, das Köpfchen in das dich- teſte Blätterwerk verbergend. — Eine helle, friſche Stimme klingt dann von drüben herüber, ein Studen- tenlied anſtimmend. Wo will Flämmchen hin, Eliſe? — Einen Augenblick ſitzt es auf ihrer Schulter, ihr in’s Ohr zwitſchernd, als habe es ihr ein wichtiges, ein gar wichtiges Geheimniß mitzutheilen, dann verſchwindet es aus dem Fenſter. Wo iſt es geblieben? — Die Stimme drüben, die plötzlich mitten in ihrem Geſang abbricht, giebt Antwort darauf. Ein wohlbe- kanntes, wenig verändertes, braunes Geſicht, von dun- keln Locken umwallt, erſcheint in No. 12 am Fenſter; es iſt der junge Maler Guſtav Berg, der Vetter Guſtav,

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/202>, abgerufen am 24.11.2024.