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Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857.

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Da vor der großen Franzosenstadt Paris muß ein
Berg sein -- ich kann den Namen nicht ordentlich
aussprechen -- von wo man die Stadt ganz übersehen
kann. Da schossen sie zum letzten Mal auf einander
und da ist auch dem Willem eine Kugel mitten durch
die Brust gegangen, wie der Kamerad schrieb, und ist
er da begraben mit vielen, vielen Andern aus Deutsch-
land. -- Das ist meine Geschichte! Den Franzosen aber
kurirten wir aus und mein Alter gab ihm einen Zehr-
pfennig und brachte ihn an das Thor, wo der Weg nach
Frankreich geht, den auch meine Jungen gezogen waren,
sah ihn da abhumpeln und kam wieder nach Haus
murmelnd: "Nit raus, nit raus!" -- Gott hab' ihn
selig, den Mann, es war ein Wunderlicher, Dein Va-
ter, Annchen."

So erzählte die alte Margarethe Karsten und wir
Alle saßen um sie herum, als sie geendet hatte, jeder
seinen eigenen Gedanken nachhängend. Der Meister
hatte lange seine Zeitung weggelegt und auch die Ge-
sellen, die nach und nach eingetreten und gewöhnlich
ziemlich fröhlich und laut waren, standen und saßen
diesmal ganz still umher.

"Nun will ich noch was erzählen!" rief plötzlich die
Alte, deren Augen durch die wachgewordenen Erinnerun-
gen in einem seltsamen Glanz leuchteten. "Ich will

Da vor der großen Franzoſenſtadt Paris muß ein
Berg ſein — ich kann den Namen nicht ordentlich
ausſprechen — von wo man die Stadt ganz überſehen
kann. Da ſchoſſen ſie zum letzten Mal auf einander
und da iſt auch dem Willem eine Kugel mitten durch
die Bruſt gegangen, wie der Kamerad ſchrieb, und iſt
er da begraben mit vielen, vielen Andern aus Deutſch-
land. — Das iſt meine Geſchichte! Den Franzoſen aber
kurirten wir aus und mein Alter gab ihm einen Zehr-
pfennig und brachte ihn an das Thor, wo der Weg nach
Frankreich geht, den auch meine Jungen gezogen waren,
ſah ihn da abhumpeln und kam wieder nach Haus
murmelnd: „Nit raus, nit raus!“ — Gott hab’ ihn
ſelig, den Mann, es war ein Wunderlicher, Dein Va-
ter, Annchen.“

So erzählte die alte Margarethe Karſten und wir
Alle ſaßen um ſie herum, als ſie geendet hatte, jeder
ſeinen eigenen Gedanken nachhängend. Der Meiſter
hatte lange ſeine Zeitung weggelegt und auch die Ge-
ſellen, die nach und nach eingetreten und gewöhnlich
ziemlich fröhlich und laut waren, ſtanden und ſaßen
diesmal ganz ſtill umher.

„Nun will ich noch was erzählen!“ rief plötzlich die
Alte, deren Augen durch die wachgewordenen Erinnerun-
gen in einem ſeltſamen Glanz leuchteten. „Ich will

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[149/0159] Da vor der großen Franzoſenſtadt Paris muß ein Berg ſein — ich kann den Namen nicht ordentlich ausſprechen — von wo man die Stadt ganz überſehen kann. Da ſchoſſen ſie zum letzten Mal auf einander und da iſt auch dem Willem eine Kugel mitten durch die Bruſt gegangen, wie der Kamerad ſchrieb, und iſt er da begraben mit vielen, vielen Andern aus Deutſch- land. — Das iſt meine Geſchichte! Den Franzoſen aber kurirten wir aus und mein Alter gab ihm einen Zehr- pfennig und brachte ihn an das Thor, wo der Weg nach Frankreich geht, den auch meine Jungen gezogen waren, ſah ihn da abhumpeln und kam wieder nach Haus murmelnd: „Nit raus, nit raus!“ — Gott hab’ ihn ſelig, den Mann, es war ein Wunderlicher, Dein Va- ter, Annchen.“ So erzählte die alte Margarethe Karſten und wir Alle ſaßen um ſie herum, als ſie geendet hatte, jeder ſeinen eigenen Gedanken nachhängend. Der Meiſter hatte lange ſeine Zeitung weggelegt und auch die Ge- ſellen, die nach und nach eingetreten und gewöhnlich ziemlich fröhlich und laut waren, ſtanden und ſaßen diesmal ganz ſtill umher. „Nun will ich noch was erzählen!“ rief plötzlich die Alte, deren Augen durch die wachgewordenen Erinnerun- gen in einem ſeltſamen Glanz leuchteten. „Ich will

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/159>, abgerufen am 25.11.2024.