"Ha, da liegt sie -- die Undankbare, sie wo ich meine Nächte durchwachte -- Sänger und Sängerinnen, Schauspieler und Schauspielerinnen, Ballettänzer und Ballettänzerinnen lobte oder herunterriß, -- wo ich so manchen Leitartikel schrieb, -- wo ich so manche Pfeife rauchte! -- Da liegt sie wollüstig träumend im Mor- genschlummer, -- während ich umherirre verbannt, ver- trieben, an die Luft gesetzt, eliminito, wie der Doctor Brummer sagte, gejagt, gemaßregelt, -- ein Lamm im scharfen Nordwind. Nest! -- Brüste Dich mit Deinen Gardelieutenants -- Deiner famosen Musenbude, die ich dort über die Dächer zwischen dem Pfeffer- und Salz- fasse ragen sehe -- ich verachte Dich, ein deutscher Zei- tungsschreiber! -- Mache in der Liste Deiner unter polizeilicher Aufsicht Stehenden ein dickes Kreuz hinter dem Namen: Heinrich Theobald Wimmer Dr. phil., setze ein dreimal unterstrichenes "Ausgewiesen" dahinter; ich schüttle Deinen Staub von meinen Füßen, ich ver- achte Dich! -- Bin ich nicht heimathsberechtigt in Mün- chen an der Isar, stehen nicht viele Löcher offen im edlen Was-ist-des-Deutschen-Vaterland? -- Zeugt nicht dieser solide Bauch (hier schlug sich der Doctor auf den erwähnten Körpertheil) von Baiern? Es lebe München! -- Ha, prophetisch verkünde ich Dir, ausweisender Pascha von so und so viel Roßschweifen: ein Schmächtigerer
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„Ha, da liegt ſie — die Undankbare, ſie wo ich meine Nächte durchwachte — Sänger und Sängerinnen, Schauſpieler und Schauſpielerinnen, Ballettänzer und Ballettänzerinnen lobte oder herunterriß, — wo ich ſo manchen Leitartikel ſchrieb, — wo ich ſo manche Pfeife rauchte! — Da liegt ſie wollüſtig träumend im Mor- genſchlummer, — während ich umherirre verbannt, ver- trieben, an die Luft geſetzt, eliminito, wie der Doctor Brummer ſagte, gejagt, gemaßregelt, — ein Lamm im ſcharfen Nordwind. Neſt! — Brüſte Dich mit Deinen Gardelieutenants — Deiner famoſen Muſenbude, die ich dort über die Dächer zwiſchen dem Pfeffer- und Salz- faſſe ragen ſehe — ich verachte Dich, ein deutſcher Zei- tungsſchreiber! — Mache in der Liſte Deiner unter polizeilicher Aufſicht Stehenden ein dickes Kreuz hinter dem Namen: Heinrich Theobald Wimmer Dr. phil., ſetze ein dreimal unterſtrichenes „Ausgewieſen“ dahinter; ich ſchüttle Deinen Staub von meinen Füßen, ich ver- achte Dich! — Bin ich nicht heimathsberechtigt in Mün- chen an der Iſar, ſtehen nicht viele Löcher offen im edlen Was-iſt-des-Deutſchen-Vaterland? — Zeugt nicht dieſer ſolide Bauch (hier ſchlug ſich der Doctor auf den erwähnten Körpertheil) von Baiern? Es lebe München! — Ha, prophetiſch verkünde ich Dir, ausweiſender Paſcha von ſo und ſo viel Roßſchweifen: ein Schmächtigerer
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„Ha, da liegt ſie — die Undankbare, ſie wo ich
meine Nächte durchwachte — Sänger und Sängerinnen,
Schauſpieler und Schauſpielerinnen, Ballettänzer und
Ballettänzerinnen lobte oder herunterriß, — wo ich ſo
manchen Leitartikel ſchrieb, — wo ich ſo manche Pfeife
rauchte! — Da liegt ſie wollüſtig träumend im Mor-
genſchlummer, — während ich umherirre verbannt, ver-
trieben, an die Luft geſetzt, eliminito, wie der Doctor
Brummer ſagte, gejagt, gemaßregelt, — ein Lamm im
ſcharfen Nordwind. Neſt! — Brüſte Dich mit Deinen
Gardelieutenants — Deiner famoſen Muſenbude, die ich
dort über die Dächer zwiſchen dem Pfeffer- und Salz-
faſſe ragen ſehe — ich verachte Dich, ein deutſcher Zei-
tungsſchreiber! — Mache in der Liſte Deiner unter
polizeilicher Aufſicht Stehenden ein dickes Kreuz hinter
dem Namen: Heinrich Theobald Wimmer Dr. phil., ſetze
ein dreimal unterſtrichenes „Ausgewieſen“ dahinter;
ich ſchüttle Deinen Staub von meinen Füßen, ich ver-
achte Dich! — Bin ich nicht heimathsberechtigt in Mün-
chen an der Iſar, ſtehen nicht viele Löcher offen im
edlen Was-iſt-des-Deutſchen-Vaterland? — Zeugt nicht
dieſer ſolide Bauch (hier ſchlug ſich der Doctor auf den
erwähnten Körpertheil) von Baiern? Es lebe München!
— Ha, prophetiſch verkünde ich Dir, ausweiſender Paſcha
von ſo und ſo viel Roßſchweifen: ein Schmächtigerer
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Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/123>, abgerufen am 16.07.2024.
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