tans, der prächtige Wandsbecker Bote des alten Mat- thias Claudius, weiland Homme de lettres zu Wands- beck, und recht ein Tag war's, darin zu blättern. Der Regen, das Brummen und Poltern des Feuers im Ofen, der Wiederschein desselben auf dem Boden und an den Wänden, -- alles trug dazu bei, mich die Welt da drau- ßen ganz vergessen zu machen und mich ganz in die Welt von Herz und Gemüth auf den Blättern vor mir zu versenken.
Auf's Gerathewohl schlug ich eine Seite auf: Sieh! -- da ist der herbstliche Garten zu Wandsbeck. Es ist eben so nebelig und trübe wie heute; leise sinken die gelben Blätter zur Erde, als bräche eine unsichtbare Hand sie ab, eins nach dem andern. Wer kommt da den Gang herauf im geblümten bunten Schlafrock, die weiße Zipfelmütze über dem Ohr? -- Er ist's -- Mat- thias Claudius, der wackere Asmus selbst! -- Bedäch- tiglich schreitet er einher, von Zeit zu Zeit stehe[n] blei- bend; jetzt ein welkes Blatt aufnehmend und das zier- liche Geäder desselben betrachtend, jetzt in die neblige Luft hinauf schauend. Er scheint in Gedanken versun- ken zu sein. Denkt er vielleicht an den Vetter oder [d]en Freund Hain, an den Invaliden Görgel mit der Pud[el]- mütze und dem neuen Stelzbein; denkt er an die neue Kanone oder an das Ohr des schuftigen Hofmarschall[s]
tans, der prächtige Wandsbecker Bote des alten Mat- thias Claudius, weiland Homme de lettres zu Wands- beck, und recht ein Tag war’s, darin zu blättern. Der Regen, das Brummen und Poltern des Feuers im Ofen, der Wiederſchein deſſelben auf dem Boden und an den Wänden, — alles trug dazu bei, mich die Welt da drau- ßen ganz vergeſſen zu machen und mich ganz in die Welt von Herz und Gemüth auf den Blättern vor mir zu verſenken.
Auf’s Gerathewohl ſchlug ich eine Seite auf: Sieh! — da iſt der herbſtliche Garten zu Wandsbeck. Es iſt eben ſo nebelig und trübe wie heute; leiſe ſinken die gelben Blätter zur Erde, als bräche eine unſichtbare Hand ſie ab, eins nach dem andern. Wer kommt da den Gang herauf im geblümten bunten Schlafrock, die weiße Zipfelmütze über dem Ohr? — Er iſt’s — Mat- thias Claudius, der wackere Asmus ſelbſt! — Bedäch- tiglich ſchreitet er einher, von Zeit zu Zeit ſtehe[n] blei- bend; jetzt ein welkes Blatt aufnehmend und das zier- liche Geäder deſſelben betrachtend, jetzt in die neblige Luft hinauf ſchauend. Er ſcheint in Gedanken verſun- ken zu ſein. Denkt er vielleicht an den Vetter oder [d]en Freund Hain, an den Invaliden Görgel mit der Pud[el]- mütze und dem neuen Stelzbein; denkt er an die neue Kanone oder an das Ohr des ſchuftigen Hofmarſchall[s]
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thias Claudius, weiland Homme de lettres zu Wands-
beck, und recht ein Tag war’s, darin zu blättern. Der
Regen, das Brummen und Poltern des Feuers im Ofen,
der Wiederſchein deſſelben auf dem Boden und an den
Wänden, — alles trug dazu bei, mich die Welt da drau-
ßen ganz vergeſſen zu machen und mich ganz in die
Welt von Herz und Gemüth auf den Blättern vor mir
zu verſenken.
Auf’s Gerathewohl ſchlug ich eine Seite auf: Sieh!
— da iſt der herbſtliche Garten zu Wandsbeck. Es iſt
eben ſo nebelig und trübe wie heute; leiſe ſinken die
gelben Blätter zur Erde, als bräche eine unſichtbare
Hand ſie ab, eins nach dem andern. Wer kommt da
den Gang herauf im geblümten bunten Schlafrock, die
weiße Zipfelmütze über dem Ohr? — Er iſt’s — Mat-
thias Claudius, der wackere Asmus ſelbſt! — Bedäch-
tiglich ſchreitet er einher, von Zeit zu Zeit ſtehen blei-
bend; jetzt ein welkes Blatt aufnehmend und das zier-
liche Geäder deſſelben betrachtend, jetzt in die neblige
Luft hinauf ſchauend. Er ſcheint in Gedanken verſun-
ken zu ſein. Denkt er vielleicht an den Vetter oder den
Freund Hain, an den Invaliden Görgel mit der Pudel-
mütze und dem neuen Stelzbein; denkt er an die neue
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Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/12>, abgerufen am 05.07.2024.
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