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Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Gekrach brach der Thurmknopf der Hauptkirche zu Rothenburg hernieder, und die Documente, die durch hundert Jahre in seiner Höhlung unberührt gelegen hatten, wurden nunmehr in alle Welt zerstreut. Auf der Römerhöhe in der Warte vermeinten Vater und Sohn alle Augenblicke, nun trage es das morsche Gemäuer nicht länger, nun müsse es niedergehen ohne Gnade. Gegenüber auf dem Herrenberge hob sich Wolf Scheffer von seinem Lager und warf sich in die Kleider. Das Dach riß ihm der Orkan über dem Haupte weg, und so verließ der Scharfrichter das Haus, klammerte sich am Bergeshang an einen Baum und blickte wilden Herzens nieder auf die zagende Stadt und fühlte sich von allen ihren Bewohnern vielleicht am wohlsten in diesem Aufruhr der Elemente. Nur um die Silberburg bekümmerte er sich.

Hoho, sie wird's ja wohl überdauern! wollte er rufen; aber die Gewalt des Sturmes trieb ihm den Athem tief in die Brust zurück, so daß er fest den Mund schließen mußte, um nicht zu ersticken.

Manche zagende Seele glaubte in dieser grauenvollen Nacht, nun komme der jüngste Tag, und der Engel des Gerichts setze schon die Posaune an den Mund, um den Todten den Weckruf zu blasen und allen Staub aus den Gräbern vor den Thron des höchsten Richters zu rufen.

Jetzt ist auch der Augenblick gekommen, wo wir das Innere der Silberburg betreten dürfen. Mehr als alle

Gekrach brach der Thurmknopf der Hauptkirche zu Rothenburg hernieder, und die Documente, die durch hundert Jahre in seiner Höhlung unberührt gelegen hatten, wurden nunmehr in alle Welt zerstreut. Auf der Römerhöhe in der Warte vermeinten Vater und Sohn alle Augenblicke, nun trage es das morsche Gemäuer nicht länger, nun müsse es niedergehen ohne Gnade. Gegenüber auf dem Herrenberge hob sich Wolf Scheffer von seinem Lager und warf sich in die Kleider. Das Dach riß ihm der Orkan über dem Haupte weg, und so verließ der Scharfrichter das Haus, klammerte sich am Bergeshang an einen Baum und blickte wilden Herzens nieder auf die zagende Stadt und fühlte sich von allen ihren Bewohnern vielleicht am wohlsten in diesem Aufruhr der Elemente. Nur um die Silberburg bekümmerte er sich.

Hoho, sie wird's ja wohl überdauern! wollte er rufen; aber die Gewalt des Sturmes trieb ihm den Athem tief in die Brust zurück, so daß er fest den Mund schließen mußte, um nicht zu ersticken.

Manche zagende Seele glaubte in dieser grauenvollen Nacht, nun komme der jüngste Tag, und der Engel des Gerichts setze schon die Posaune an den Mund, um den Todten den Weckruf zu blasen und allen Staub aus den Gräbern vor den Thron des höchsten Richters zu rufen.

Jetzt ist auch der Augenblick gekommen, wo wir das Innere der Silberburg betreten dürfen. Mehr als alle

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[0051] Gekrach brach der Thurmknopf der Hauptkirche zu Rothenburg hernieder, und die Documente, die durch hundert Jahre in seiner Höhlung unberührt gelegen hatten, wurden nunmehr in alle Welt zerstreut. Auf der Römerhöhe in der Warte vermeinten Vater und Sohn alle Augenblicke, nun trage es das morsche Gemäuer nicht länger, nun müsse es niedergehen ohne Gnade. Gegenüber auf dem Herrenberge hob sich Wolf Scheffer von seinem Lager und warf sich in die Kleider. Das Dach riß ihm der Orkan über dem Haupte weg, und so verließ der Scharfrichter das Haus, klammerte sich am Bergeshang an einen Baum und blickte wilden Herzens nieder auf die zagende Stadt und fühlte sich von allen ihren Bewohnern vielleicht am wohlsten in diesem Aufruhr der Elemente. Nur um die Silberburg bekümmerte er sich. Hoho, sie wird's ja wohl überdauern! wollte er rufen; aber die Gewalt des Sturmes trieb ihm den Athem tief in die Brust zurück, so daß er fest den Mund schließen mußte, um nicht zu ersticken. Manche zagende Seele glaubte in dieser grauenvollen Nacht, nun komme der jüngste Tag, und der Engel des Gerichts setze schon die Posaune an den Mund, um den Todten den Weckruf zu blasen und allen Staub aus den Gräbern vor den Thron des höchsten Richters zu rufen. Jetzt ist auch der Augenblick gekommen, wo wir das Innere der Silberburg betreten dürfen. Mehr als alle

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-23T09:56:25Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-23T09:56:25Z)

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_recht_1910/51>, abgerufen am 25.11.2024.