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Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Dank Gott, daß es so ist, 's ist mein einziger Halt in diesem wilden Leben, schluchzte das Mädchen und erzählte, nachdem es sich ein wenig gefaßt hatte: Er hat einen der allerschlimmsten Tage gehabt, und gehet das schon mitten in der Nacht an. Da hat er keine Ruh' im Bett, und ich hör' ihn immerfort im Gemach auf- und abgehen und hör' ihn sprechen mit sich selbst und mit den Schatten, die er siehet. Da murmelt er Stunden lang wilde Worte, und dann schreit er hell auf und glaubt, das Haus sei überfallen von Mördern und Dieben. Nun gehet er überall um und rüttelt an allen Schlössern und Thüren, und ein geladenes Feuerrohr trägt er in der Hand. Dann -- spricht er von deinem Vater -- deiner armen Mutter und meiner armen Mutter. O, es ist zu schrecklich! Ich hör' ihn schleichen und schlurfen auf dem Gang, und ist mir, als ging ein Gespenst um im Haus, und ist doch mein eigener Vater, den ich lieben soll nach Gottes Gebot. Vortreten aus meiner Kammer darf ich nicht; denn als ich das einmal that, weil's mich drinnen der grausamen Angst halber nicht länger duldete, da hat er laut aufgeschrieen und ist niedergestürzt zur Erde und hat sich darauf den halben Tag lang nicht besinnen können. So über alle Maßen grausig liegt Gottes Hand auf ihm, daß er oft sein eigenes Kind nicht mehr kennt.

Aber das ist ja heller Wahnsinn, rief der Jüngling. Laurentia, das gehet so nicht länger an. Du kannst nicht bleiben bei ihm; die Stadt, der Rath soll

Dank Gott, daß es so ist, 's ist mein einziger Halt in diesem wilden Leben, schluchzte das Mädchen und erzählte, nachdem es sich ein wenig gefaßt hatte: Er hat einen der allerschlimmsten Tage gehabt, und gehet das schon mitten in der Nacht an. Da hat er keine Ruh' im Bett, und ich hör' ihn immerfort im Gemach auf- und abgehen und hör' ihn sprechen mit sich selbst und mit den Schatten, die er siehet. Da murmelt er Stunden lang wilde Worte, und dann schreit er hell auf und glaubt, das Haus sei überfallen von Mördern und Dieben. Nun gehet er überall um und rüttelt an allen Schlössern und Thüren, und ein geladenes Feuerrohr trägt er in der Hand. Dann — spricht er von deinem Vater — deiner armen Mutter und meiner armen Mutter. O, es ist zu schrecklich! Ich hör' ihn schleichen und schlurfen auf dem Gang, und ist mir, als ging ein Gespenst um im Haus, und ist doch mein eigener Vater, den ich lieben soll nach Gottes Gebot. Vortreten aus meiner Kammer darf ich nicht; denn als ich das einmal that, weil's mich drinnen der grausamen Angst halber nicht länger duldete, da hat er laut aufgeschrieen und ist niedergestürzt zur Erde und hat sich darauf den halben Tag lang nicht besinnen können. So über alle Maßen grausig liegt Gottes Hand auf ihm, daß er oft sein eigenes Kind nicht mehr kennt.

Aber das ist ja heller Wahnsinn, rief der Jüngling. Laurentia, das gehet so nicht länger an. Du kannst nicht bleiben bei ihm; die Stadt, der Rath soll

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[0038] Dank Gott, daß es so ist, 's ist mein einziger Halt in diesem wilden Leben, schluchzte das Mädchen und erzählte, nachdem es sich ein wenig gefaßt hatte: Er hat einen der allerschlimmsten Tage gehabt, und gehet das schon mitten in der Nacht an. Da hat er keine Ruh' im Bett, und ich hör' ihn immerfort im Gemach auf- und abgehen und hör' ihn sprechen mit sich selbst und mit den Schatten, die er siehet. Da murmelt er Stunden lang wilde Worte, und dann schreit er hell auf und glaubt, das Haus sei überfallen von Mördern und Dieben. Nun gehet er überall um und rüttelt an allen Schlössern und Thüren, und ein geladenes Feuerrohr trägt er in der Hand. Dann — spricht er von deinem Vater — deiner armen Mutter und meiner armen Mutter. O, es ist zu schrecklich! Ich hör' ihn schleichen und schlurfen auf dem Gang, und ist mir, als ging ein Gespenst um im Haus, und ist doch mein eigener Vater, den ich lieben soll nach Gottes Gebot. Vortreten aus meiner Kammer darf ich nicht; denn als ich das einmal that, weil's mich drinnen der grausamen Angst halber nicht länger duldete, da hat er laut aufgeschrieen und ist niedergestürzt zur Erde und hat sich darauf den halben Tag lang nicht besinnen können. So über alle Maßen grausig liegt Gottes Hand auf ihm, daß er oft sein eigenes Kind nicht mehr kennt. Aber das ist ja heller Wahnsinn, rief der Jüngling. Laurentia, das gehet so nicht länger an. Du kannst nicht bleiben bei ihm; die Stadt, der Rath soll

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-23T09:56:25Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-23T09:56:25Z)

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_recht_1910/38>, abgerufen am 24.11.2024.