Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Stadt, wenn der Zinsmeister vorbeischritt, als ob es ihn nicht sehe, und rückte, wenn er sich irgendwo auf einer Bank niederlassen wollte, so weit als möglich von ihm weg, und zwar sogar in der Kirche, wo Christian Heyliger bald so allein saß, wie der Scharfrichter.

Schritt vor Schritt wich der Zinsmeister vor der öffentlichen Mißachtung zurück, zuerst in den wilden, zähneknirschenden Hohn und Trotz, dann in finstere Einsamkeit, zuletzt in den grimmigen Menschenhaß. Sein Ehegemahl litt dabei fast noch mehr, als die arme Frau Friedrich Kindler's; sie war eine sanfte, geduldige, milde Seele und die beste Jugendfreundin der Kindlerin. Auch die Heyligerin starb an dem großen Proceß, doch nicht aus Kummer über den Verlust weltlicher Güter, sondern vielmehr aus Schmerz über das Gewinnen derselben. Sie ging zu Grunde an den Worten und Blicken der Nachbarinnen und verschied, nachdem sie einige dunkle Jahre hindurch in einem Winkel der Silberburg gesessen hatte. Ihre Seele war nur angelegt, Liebe zu geben und zu nehmen, der Haß und die Verachtung tödteten sie, und so ließ sie ihren Mann und ihr halbjähriges Kindlein, ein ganz winziges, durchsichtiges, kränkliches Wesen, allein in der Einsamkeit und Verlassenheit zurück, und der Gedanke an ihr Kind füllte das Maß ihrer Angst und Noth in der Todesstunde. Aber diese Sorge sollte zu den vielen unnöthigen gehören, welche sich das arme Herz hier aus Erden macht. Nimmer wuchs eine lieblichere Blume in der Dunkelheit auf, als

Stadt, wenn der Zinsmeister vorbeischritt, als ob es ihn nicht sehe, und rückte, wenn er sich irgendwo auf einer Bank niederlassen wollte, so weit als möglich von ihm weg, und zwar sogar in der Kirche, wo Christian Heyliger bald so allein saß, wie der Scharfrichter.

Schritt vor Schritt wich der Zinsmeister vor der öffentlichen Mißachtung zurück, zuerst in den wilden, zähneknirschenden Hohn und Trotz, dann in finstere Einsamkeit, zuletzt in den grimmigen Menschenhaß. Sein Ehegemahl litt dabei fast noch mehr, als die arme Frau Friedrich Kindler's; sie war eine sanfte, geduldige, milde Seele und die beste Jugendfreundin der Kindlerin. Auch die Heyligerin starb an dem großen Proceß, doch nicht aus Kummer über den Verlust weltlicher Güter, sondern vielmehr aus Schmerz über das Gewinnen derselben. Sie ging zu Grunde an den Worten und Blicken der Nachbarinnen und verschied, nachdem sie einige dunkle Jahre hindurch in einem Winkel der Silberburg gesessen hatte. Ihre Seele war nur angelegt, Liebe zu geben und zu nehmen, der Haß und die Verachtung tödteten sie, und so ließ sie ihren Mann und ihr halbjähriges Kindlein, ein ganz winziges, durchsichtiges, kränkliches Wesen, allein in der Einsamkeit und Verlassenheit zurück, und der Gedanke an ihr Kind füllte das Maß ihrer Angst und Noth in der Todesstunde. Aber diese Sorge sollte zu den vielen unnöthigen gehören, welche sich das arme Herz hier aus Erden macht. Nimmer wuchs eine lieblichere Blume in der Dunkelheit auf, als

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="2">
        <p><pb facs="#f0021"/>
Stadt, wenn der      Zinsmeister vorbeischritt, als ob es ihn nicht sehe, und rückte, wenn er sich irgendwo auf      einer Bank niederlassen wollte, so weit als möglich von ihm weg, und zwar sogar in der Kirche,      wo Christian Heyliger bald so allein saß, wie der Scharfrichter.</p><lb/>
        <p>Schritt vor Schritt wich der Zinsmeister vor der öffentlichen Mißachtung zurück, zuerst in      den wilden, zähneknirschenden Hohn und Trotz, dann in finstere Einsamkeit, zuletzt in den      grimmigen Menschenhaß. Sein Ehegemahl litt dabei fast noch mehr, als die arme Frau Friedrich      Kindler's; sie war eine sanfte, geduldige, milde Seele und die beste Jugendfreundin der      Kindlerin. Auch die Heyligerin starb an dem großen Proceß, doch nicht aus Kummer über den      Verlust weltlicher Güter, sondern vielmehr aus Schmerz über das Gewinnen derselben. Sie ging zu      Grunde an den Worten und Blicken der Nachbarinnen und verschied, nachdem sie einige dunkle      Jahre hindurch in einem Winkel der Silberburg gesessen hatte. Ihre Seele war nur angelegt,      Liebe zu geben und zu nehmen, der Haß und die Verachtung tödteten sie, und so ließ sie ihren      Mann und ihr halbjähriges Kindlein, ein ganz winziges, durchsichtiges, kränkliches Wesen,      allein in der Einsamkeit und Verlassenheit zurück, und der Gedanke an ihr Kind füllte das Maß      ihrer Angst und Noth in der Todesstunde. Aber diese Sorge sollte zu den vielen unnöthigen      gehören, welche sich das arme Herz hier aus Erden macht. Nimmer wuchs eine lieblichere Blume in      der Dunkelheit auf, als<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0021] Stadt, wenn der Zinsmeister vorbeischritt, als ob es ihn nicht sehe, und rückte, wenn er sich irgendwo auf einer Bank niederlassen wollte, so weit als möglich von ihm weg, und zwar sogar in der Kirche, wo Christian Heyliger bald so allein saß, wie der Scharfrichter. Schritt vor Schritt wich der Zinsmeister vor der öffentlichen Mißachtung zurück, zuerst in den wilden, zähneknirschenden Hohn und Trotz, dann in finstere Einsamkeit, zuletzt in den grimmigen Menschenhaß. Sein Ehegemahl litt dabei fast noch mehr, als die arme Frau Friedrich Kindler's; sie war eine sanfte, geduldige, milde Seele und die beste Jugendfreundin der Kindlerin. Auch die Heyligerin starb an dem großen Proceß, doch nicht aus Kummer über den Verlust weltlicher Güter, sondern vielmehr aus Schmerz über das Gewinnen derselben. Sie ging zu Grunde an den Worten und Blicken der Nachbarinnen und verschied, nachdem sie einige dunkle Jahre hindurch in einem Winkel der Silberburg gesessen hatte. Ihre Seele war nur angelegt, Liebe zu geben und zu nehmen, der Haß und die Verachtung tödteten sie, und so ließ sie ihren Mann und ihr halbjähriges Kindlein, ein ganz winziges, durchsichtiges, kränkliches Wesen, allein in der Einsamkeit und Verlassenheit zurück, und der Gedanke an ihr Kind füllte das Maß ihrer Angst und Noth in der Todesstunde. Aber diese Sorge sollte zu den vielen unnöthigen gehören, welche sich das arme Herz hier aus Erden macht. Nimmer wuchs eine lieblichere Blume in der Dunkelheit auf, als

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-23T09:56:25Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-23T09:56:25Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_recht_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_recht_1910/21
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_recht_1910/21>, abgerufen am 25.11.2024.