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Raabe, Wilhelm: Das Odfeld. Leipzig, 1889.

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doch schon seit manchem lieben Jahrhundert von Ge¬
schlecht zu Geschlecht durch die Leute von Amelungs¬
born hinter der Hand zu nützlicher Kenntniß weiter
gegeben worden war.

"Den Schrecken, wenn ich ihn jetzt von hier aus
anschrie: Qui vive? France!" lachte der wilde junge
nächtliche Wanderer, die flache Hand an die Mauern
von Kloster Amelungsborn legend. "Aber wissen möchte
ich wohl wie spät es eigentlich am Tage ist. O Se¬
linde, Selinde, Du wirst nicht mehr Licht haben, wie
der Magister! Mein Herz, ach, wenn Du wüßtest,
wer jetzo hier um die Mauern schleicht!"

Er schlich oder tastete in Wahrheit jetzt die Mauer
des Klosters entlang. Wo Andere um diese dunkle
Stunde Hals und Beine gebrochen haben würden, ging
er sicher wie -- ein Nachtwandler. Ja wohl, es war
auch nicht das erste Mal, daß er auch hier über dem
Hoopthal verbotene Wege gewandelt war. Der Baumast
der dort wo die Gebäude zu Ende sind und die Hof¬
mauer anfängt, an diese Mauer reicht, hängt seit der
Tertia seiner nächtlichen Abenteuer voll.

Er reitet auf diesem Ast, als der erste Hund von
Amelungsborn seine Visite merkt und anschlägt. Und
-- bum -- bum -- bum, da ist auch die Thurmuhr. Wie
dem Magister Buchius zählt sie dem Junker Thedel
von Münchhausen die elfte Stunde des Abends zu;
aber dem Junker fehlt freilich die Muße, die feierlichen,
langsamen Schläge gelassen nachzuzählen.

doch ſchon ſeit manchem lieben Jahrhundert von Ge¬
ſchlecht zu Geſchlecht durch die Leute von Amelungs¬
born hinter der Hand zu nützlicher Kenntniß weiter
gegeben worden war.

„Den Schrecken, wenn ich ihn jetzt von hier aus
anſchrie: Qui vive? France!“ lachte der wilde junge
nächtliche Wanderer, die flache Hand an die Mauern
von Kloſter Amelungsborn legend. „Aber wiſſen möchte
ich wohl wie ſpät es eigentlich am Tage iſt. O Se¬
linde, Selinde, Du wirſt nicht mehr Licht haben, wie
der Magiſter! Mein Herz, ach, wenn Du wüßteſt,
wer jetzo hier um die Mauern ſchleicht!“

Er ſchlich oder taſtete in Wahrheit jetzt die Mauer
des Kloſters entlang. Wo Andere um dieſe dunkle
Stunde Hals und Beine gebrochen haben würden, ging
er ſicher wie — ein Nachtwandler. Ja wohl, es war
auch nicht das erſte Mal, daß er auch hier über dem
Hoopthal verbotene Wege gewandelt war. Der Baumaſt
der dort wo die Gebäude zu Ende ſind und die Hof¬
mauer anfängt, an dieſe Mauer reicht, hängt ſeit der
Tertia ſeiner nächtlichen Abenteuer voll.

Er reitet auf dieſem Aſt, als der erſte Hund von
Amelungsborn ſeine Viſite merkt und anſchlägt. Und
— bum — bum — bum, da iſt auch die Thurmuhr. Wie
dem Magiſter Buchius zählt ſie dem Junker Thedel
von Münchhauſen die elfte Stunde des Abends zu;
aber dem Junker fehlt freilich die Muße, die feierlichen,
langſamen Schläge gelaſſen nachzuzählen.

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[88/0096] doch ſchon ſeit manchem lieben Jahrhundert von Ge¬ ſchlecht zu Geſchlecht durch die Leute von Amelungs¬ born hinter der Hand zu nützlicher Kenntniß weiter gegeben worden war. „Den Schrecken, wenn ich ihn jetzt von hier aus anſchrie: Qui vive? France!“ lachte der wilde junge nächtliche Wanderer, die flache Hand an die Mauern von Kloſter Amelungsborn legend. „Aber wiſſen möchte ich wohl wie ſpät es eigentlich am Tage iſt. O Se¬ linde, Selinde, Du wirſt nicht mehr Licht haben, wie der Magiſter! Mein Herz, ach, wenn Du wüßteſt, wer jetzo hier um die Mauern ſchleicht!“ Er ſchlich oder taſtete in Wahrheit jetzt die Mauer des Kloſters entlang. Wo Andere um dieſe dunkle Stunde Hals und Beine gebrochen haben würden, ging er ſicher wie — ein Nachtwandler. Ja wohl, es war auch nicht das erſte Mal, daß er auch hier über dem Hoopthal verbotene Wege gewandelt war. Der Baumaſt der dort wo die Gebäude zu Ende ſind und die Hof¬ mauer anfängt, an dieſe Mauer reicht, hängt ſeit der Tertia ſeiner nächtlichen Abenteuer voll. Er reitet auf dieſem Aſt, als der erſte Hund von Amelungsborn ſeine Viſite merkt und anſchlägt. Und — bum — bum — bum, da iſt auch die Thurmuhr. Wie dem Magiſter Buchius zählt ſie dem Junker Thedel von Münchhauſen die elfte Stunde des Abends zu; aber dem Junker fehlt freilich die Muße, die feierlichen, langſamen Schläge gelaſſen nachzuzählen.

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Das Odfeld. Leipzig, 1889, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_odfeld_1889/96>, abgerufen am 28.03.2024.