doch das Studium dem Menschen über die Zeit hinweg¬ hilft -- von Ewigkeit zu Ewigkeit, Amen. Was sind wir armen Creaturen mit unsern Sorgen und Aengsten? was bekümmern wir uns zu errathen, was die nächste Stunde bringet. Es kommet doch immer etwas Anderes, als was wir in unserer Lebensangst heraussannen. Einer ist Meister. Hörst du, Schwarzer, ob ich Dich nur hereingeholt habe auf die Stube als einen finstern bösen Unglücks- und Todesvogel oder als einen guten Kameraden und Freund für des Winters Einsamkeit, sintemalen Dich des höchsten Gottes Fürsehung mir vor die Füße flattern ließ, sollst du mir in Ruhe und Ge¬ lassenheit willkommen sein. Khaire."
"Krah!" sagte der Rab, den Kopf auf die Seite legend und seinen kuriosen Beschützer seinerseits mit schlauer, verständnißvoller Zutraulichkeit, mit vollem Vertrauen darauf, daß Alles was geschehe, mit rechten Dingen zugehe, in's Auge fassend.
Magister Buchius aber hatte den Theodorus Kampf beim zweiten von sich Abschieben aufgeschlagen gelassen; nun nahm er mechanisch das Buch noch einmal her. Er wollte es eben nur zuklappen; aber da fiel sein Auge doch noch auf ein Exemplum drin, und er war nicht der Mann, der ein Gedrucktes gleichgültig in's Fach stellte, wenn es sein Auge in Wahrheit getroffen hatte.
Er las:
"Johann Wilhelm, Herzog zu Sachsen, hat kurz vor seinem Ende im Schlaf eine liebliche Music gehöret
6*
doch das Studium dem Menſchen über die Zeit hinweg¬ hilft — von Ewigkeit zu Ewigkeit, Amen. Was ſind wir armen Creaturen mit unſern Sorgen und Aengſten? was bekümmern wir uns zu errathen, was die nächſte Stunde bringet. Es kommet doch immer etwas Anderes, als was wir in unſerer Lebensangſt herausſannen. Einer iſt Meiſter. Hörſt du, Schwarzer, ob ich Dich nur hereingeholt habe auf die Stube als einen finſtern böſen Unglücks- und Todesvogel oder als einen guten Kameraden und Freund für des Winters Einſamkeit, ſintemalen Dich des höchſten Gottes Fürſehung mir vor die Füße flattern ließ, ſollſt du mir in Ruhe und Ge¬ laſſenheit willkommen ſein. Χαιϱε.“
„Krah!“ ſagte der Rab, den Kopf auf die Seite legend und ſeinen kurioſen Beſchützer ſeinerſeits mit ſchlauer, verſtändnißvoller Zutraulichkeit, mit vollem Vertrauen darauf, daß Alles was geſchehe, mit rechten Dingen zugehe, in's Auge faſſend.
Magiſter Buchius aber hatte den Theodorus Kampf beim zweiten von ſich Abſchieben aufgeſchlagen gelaſſen; nun nahm er mechaniſch das Buch noch einmal her. Er wollte es eben nur zuklappen; aber da fiel ſein Auge doch noch auf ein Exemplum drin, und er war nicht der Mann, der ein Gedrucktes gleichgültig in's Fach ſtellte, wenn es ſein Auge in Wahrheit getroffen hatte.
Er las:
„Johann Wilhelm, Herzog zu Sachſen, hat kurz vor ſeinem Ende im Schlaf eine liebliche Muſic gehöret
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doch das Studium dem Menſchen über die Zeit hinweg¬
hilft — von Ewigkeit zu Ewigkeit, Amen. Was ſind
wir armen Creaturen mit unſern Sorgen und Aengſten?
was bekümmern wir uns zu errathen, was die nächſte
Stunde bringet. Es kommet doch immer etwas Anderes,
als was wir in unſerer Lebensangſt herausſannen.
Einer iſt Meiſter. Hörſt du, Schwarzer, ob ich Dich
nur hereingeholt habe auf die Stube als einen finſtern
böſen Unglücks- und Todesvogel oder als einen guten
Kameraden und Freund für des Winters Einſamkeit,
ſintemalen Dich des höchſten Gottes Fürſehung mir vor
die Füße flattern ließ, ſollſt du mir in Ruhe und Ge¬
laſſenheit willkommen ſein. Χαιϱε.“
„Krah!“ ſagte der Rab, den Kopf auf die Seite
legend und ſeinen kurioſen Beſchützer ſeinerſeits mit
ſchlauer, verſtändnißvoller Zutraulichkeit, mit vollem
Vertrauen darauf, daß Alles was geſchehe, mit rechten
Dingen zugehe, in's Auge faſſend.
Magiſter Buchius aber hatte den Theodorus Kampf
beim zweiten von ſich Abſchieben aufgeſchlagen gelaſſen;
nun nahm er mechaniſch das Buch noch einmal her.
Er wollte es eben nur zuklappen; aber da fiel ſein Auge
doch noch auf ein Exemplum drin, und er war nicht
der Mann, der ein Gedrucktes gleichgültig in's Fach
ſtellte, wenn es ſein Auge in Wahrheit getroffen hatte.
Er las:
„Johann Wilhelm, Herzog zu Sachſen, hat kurz vor
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Raabe, Wilhelm: Das Odfeld. Leipzig, 1889, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_odfeld_1889/91>, abgerufen am 05.07.2024.
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