zur Thür, um sich zu vergewissern, daß er sie fest hinter sich zugezogen habe und dann -- dann saß er auf seinem Stuhl, das Tuch mit dem Invaliden aus der Rabenschlacht auf dem Gipsboden zwischen seinen Schnallenschuhen und seufzte wie Einer, der schwerer Bedrängung mit Mühe entgangen ist:
"In solitudine!" -- -- --
Während der fünf Minuten, daß er so hockt und seine Gebeine und seine Gedanken zusammensucht, sehen wir uns wohl ein wenig in seinem Wohnraume um. Es verlohnt sich der Mühe.
Es waren eigentlich zwei Räume, die im Kloster Amelungsborn das letzte Asyl des Alten ausmachten. Man hatte eine Thür in die Wand gebrochen, und die nebenanliegende Zelle dem Magister zum Schlafzimmer angewiesen. Sein Bett stand da auch, und er hatte seit dreißig Jahren gottlob gut da geschlafen, aber auch seine schlaflosen Nächte, die ihm wahrlich gleichfalls nicht erspart worden waren, in Geduld durchwacht. Darüber wäre vielleicht ebenfalls etwas Mehreres zu bemerken, doch wir verschieben das oder ersparen es uns ganz; es kommt nicht viel drauf an.
Die Hauptsache ist uns augenblicklich die Zelle des im allerbesten Schlaf ruhenden Bruders Philemon, des alten Cisterciensers vom Jahre 1631, in welcher der alte Exkollaborator, der Magister Noah Buchius im Jahre 1761 eingenistet sitzt, und zusammengetragen hat, was ihm im Laufe der Zeiten das Schicksal an
Raabe, Das Odfeld. 4
zur Thür, um ſich zu vergewiſſern, daß er ſie feſt hinter ſich zugezogen habe und dann — dann ſaß er auf ſeinem Stuhl, das Tuch mit dem Invaliden aus der Rabenſchlacht auf dem Gipsboden zwiſchen ſeinen Schnallenſchuhen und ſeufzte wie Einer, der ſchwerer Bedrängung mit Mühe entgangen iſt:
„In solitudine!“ — — —
Während der fünf Minuten, daß er ſo hockt und ſeine Gebeine und ſeine Gedanken zuſammenſucht, ſehen wir uns wohl ein wenig in ſeinem Wohnraume um. Es verlohnt ſich der Mühe.
Es waren eigentlich zwei Räume, die im Kloſter Amelungsborn das letzte Aſyl des Alten ausmachten. Man hatte eine Thür in die Wand gebrochen, und die nebenanliegende Zelle dem Magiſter zum Schlafzimmer angewieſen. Sein Bett ſtand da auch, und er hatte ſeit dreißig Jahren gottlob gut da geſchlafen, aber auch ſeine ſchlafloſen Nächte, die ihm wahrlich gleichfalls nicht erſpart worden waren, in Geduld durchwacht. Darüber wäre vielleicht ebenfalls etwas Mehreres zu bemerken, doch wir verſchieben das oder erſparen es uns ganz; es kommt nicht viel drauf an.
Die Hauptſache iſt uns augenblicklich die Zelle des im allerbeſten Schlaf ruhenden Bruders Philemon, des alten Ciſtercienſers vom Jahre 1631, in welcher der alte Exkollaborator, der Magiſter Noah Buchius im Jahre 1761 eingeniſtet ſitzt, und zuſammengetragen hat, was ihm im Laufe der Zeiten das Schickſal an
Raabe, Das Odfeld. 4
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zur Thür, um ſich zu vergewiſſern, daß er ſie feſt
hinter ſich zugezogen habe und dann — dann ſaß er
auf ſeinem Stuhl, das Tuch mit dem Invaliden aus
der Rabenſchlacht auf dem Gipsboden zwiſchen ſeinen
Schnallenſchuhen und ſeufzte wie Einer, der ſchwerer
Bedrängung mit Mühe entgangen iſt:
„In solitudine!“ — — —
Während der fünf Minuten, daß er ſo hockt und
ſeine Gebeine und ſeine Gedanken zuſammenſucht, ſehen
wir uns wohl ein wenig in ſeinem Wohnraume um.
Es verlohnt ſich der Mühe.
Es waren eigentlich zwei Räume, die im Kloſter
Amelungsborn das letzte Aſyl des Alten ausmachten.
Man hatte eine Thür in die Wand gebrochen, und die
nebenanliegende Zelle dem Magiſter zum Schlafzimmer
angewieſen. Sein Bett ſtand da auch, und er hatte
ſeit dreißig Jahren gottlob gut da geſchlafen, aber auch
ſeine ſchlafloſen Nächte, die ihm wahrlich gleichfalls
nicht erſpart worden waren, in Geduld durchwacht.
Darüber wäre vielleicht ebenfalls etwas Mehreres zu
bemerken, doch wir verſchieben das oder erſparen es
uns ganz; es kommt nicht viel drauf an.
Die Hauptſache iſt uns augenblicklich die Zelle des
im allerbeſten Schlaf ruhenden Bruders Philemon, des
alten Ciſtercienſers vom Jahre 1631, in welcher der
alte Exkollaborator, der Magiſter Noah Buchius im
Jahre 1761 eingeniſtet ſitzt, und zuſammengetragen
hat, was ihm im Laufe der Zeiten das Schickſal an
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Raabe, Wilhelm: Das Odfeld. Leipzig, 1889, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_odfeld_1889/57>, abgerufen am 05.07.2024.
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