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Raabe, Wilhelm: Das Odfeld. Leipzig, 1889.

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zug von Mittag wie von Mitternacht. Ei wahrlich, da
wird uns die Vergünstigung, einem seltenen, einem ein¬
zigen Schauspiele beizuwohnen."

"Herr, das nennt Er eine Vergünstigung?" rief
der Klosteramtmann von Amelungsborn, doch in diesem
Moment, bei diesem wunderbaren, vor ihren Augen sich
abspielenden Spectakulum war er dem letzten wirklichen
ortsangehörigen Magister der alten Kulturstätte in keiner
Weise mit seinen Bemerkungen und dergleichen gewachsen.

Der alte Herr stand ihm und der ganzen gegen¬
wärtigen Welt entrückt ob der "Vergünstigung", die
ihm hier und jetzt zu Theil wurde, nämlich vielleicht
dermaleinst von einem wirklichen Portentum aus eigener
Erfahrung und vom persönlichen Aspekt her nachsagen
oder gar auch schreiben zu dürfen.

Jetzt war er es, der den Arm seines tagtäglichen
Leib- und Lebens-Despoten gefaßt hielt und den ver¬
störten Mann mit ausgestrecktem Zeigefinger und mit
glänzenden Augen hinwies auf das, was sich da in den
Lüften zutrug.

"Es ist ein Prodigium!" rief der Magister. "Sehe
der Herr, wie das unvernünftige Vieh zu den verkün¬
digenden Boten des barmherzigen Gottes wird. Es sind
fremde Schaaren, wohl ausländische, die da weit vom
Südwesten kommen und denen das Volk vom Norden
zur Abwehr entgegen eilet. Ei wanne, wanne, sie
kommen wohlgeatzet von den westfälischen und kurfürst¬
lich hessischen Champs de bataille, die Fremden. Aber

zug von Mittag wie von Mitternacht. Ei wahrlich, da
wird uns die Vergünſtigung, einem ſeltenen, einem ein¬
zigen Schauſpiele beizuwohnen.“

„Herr, das nennt Er eine Vergünſtigung?“ rief
der Kloſteramtmann von Amelungsborn, doch in dieſem
Moment, bei dieſem wunderbaren, vor ihren Augen ſich
abſpielenden Spectakulum war er dem letzten wirklichen
ortsangehörigen Magiſter der alten Kulturſtätte in keiner
Weiſe mit ſeinen Bemerkungen und dergleichen gewachſen.

Der alte Herr ſtand ihm und der ganzen gegen¬
wärtigen Welt entrückt ob der „Vergünſtigung“, die
ihm hier und jetzt zu Theil wurde, nämlich vielleicht
dermaleinſt von einem wirklichen Portentum aus eigener
Erfahrung und vom perſönlichen Aſpekt her nachſagen
oder gar auch ſchreiben zu dürfen.

Jetzt war er es, der den Arm ſeines tagtäglichen
Leib- und Lebens-Despoten gefaßt hielt und den ver¬
ſtörten Mann mit ausgeſtrecktem Zeigefinger und mit
glänzenden Augen hinwies auf das, was ſich da in den
Lüften zutrug.

„Es iſt ein Prodigium!“ rief der Magiſter. „Sehe
der Herr, wie das unvernünftige Vieh zu den verkün¬
digenden Boten des barmherzigen Gottes wird. Es ſind
fremde Schaaren, wohl ausländiſche, die da weit vom
Südweſten kommen und denen das Volk vom Norden
zur Abwehr entgegen eilet. Ei wanne, wanne, ſie
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[30/0038] zug von Mittag wie von Mitternacht. Ei wahrlich, da wird uns die Vergünſtigung, einem ſeltenen, einem ein¬ zigen Schauſpiele beizuwohnen.“ „Herr, das nennt Er eine Vergünſtigung?“ rief der Kloſteramtmann von Amelungsborn, doch in dieſem Moment, bei dieſem wunderbaren, vor ihren Augen ſich abſpielenden Spectakulum war er dem letzten wirklichen ortsangehörigen Magiſter der alten Kulturſtätte in keiner Weiſe mit ſeinen Bemerkungen und dergleichen gewachſen. Der alte Herr ſtand ihm und der ganzen gegen¬ wärtigen Welt entrückt ob der „Vergünſtigung“, die ihm hier und jetzt zu Theil wurde, nämlich vielleicht dermaleinſt von einem wirklichen Portentum aus eigener Erfahrung und vom perſönlichen Aſpekt her nachſagen oder gar auch ſchreiben zu dürfen. Jetzt war er es, der den Arm ſeines tagtäglichen Leib- und Lebens-Despoten gefaßt hielt und den ver¬ ſtörten Mann mit ausgeſtrecktem Zeigefinger und mit glänzenden Augen hinwies auf das, was ſich da in den Lüften zutrug. „Es iſt ein Prodigium!“ rief der Magiſter. „Sehe der Herr, wie das unvernünftige Vieh zu den verkün¬ digenden Boten des barmherzigen Gottes wird. Es ſind fremde Schaaren, wohl ausländiſche, die da weit vom Südweſten kommen und denen das Volk vom Norden zur Abwehr entgegen eilet. Ei wanne, wanne, ſie kommen wohlgeatzet von den weſtfäliſchen und kurfürſt¬ lich heſſiſchen Champs de bataille, die Fremden. Aber

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Das Odfeld. Leipzig, 1889, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_odfeld_1889/38>, abgerufen am 28.03.2024.