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Raabe, Wilhelm: Das Odfeld. Leipzig, 1889.

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Mann werden und "der Menschheit bis an's Hundertste
heran auf dem Halse liegen". Solche Bosheit und
Rücksichtslosigkeit hätte sogar ganz zu seinem Charakter
gepaßt, der von seiner Mutter Brust an etwas Hinter¬
haltiges an sich gehabt hatte, etwas Sich-Anhaltendes,
etwas Festklebendes, etwas auf keine Manier Weg-zu-
Ekelndes.

Wenn er ein Held war, so war er ein vollkommen
passiver; und diese pflegen es dann und wann vor
allen andern Menschenkindern zu einem hohen Alter
zu bringen, wenn auch nicht immer zu einem ge¬
segneten.

Dreißig Jahre Schuldienst als der Sündenbock und
Komikus der Schule! Der gute Mann mit dem ernst¬
haften Kinderherzen! Der von Mutterbrüsten an alte
Mann mit der scheuen, glückseligen Seele der guten
Kinder!

Wer in Kloster Amelungsborn hätte ihn missen
mögen, da er einmal da war? Wer hätte nicht sein
Behagen an ihm genommen? Wer hätte nicht seinen
Aerger oder seinen Witz an ihm ausgelassen und zwar
ohne sich vorher nach seinen Stimmungen für Beides
ein wenig umzusehen? Im Lehrerconvent wie im ge¬
sammten Cötus wußten sie, was sie an ihm hatten und
wußten ihn danach zu schätzen.

Und doch -- doch hatten sie ihn bei ihrem Abzuge
nicht mit sich genommen nach Holzminden, in die neue
gelehrte Herrlichkeit, sondern ihn zurückgelassen am alten

Mann werden und „der Menſchheit bis an's Hundertſte
heran auf dem Halſe liegen“. Solche Bosheit und
Rückſichtsloſigkeit hätte ſogar ganz zu ſeinem Charakter
gepaßt, der von ſeiner Mutter Bruſt an etwas Hinter¬
haltiges an ſich gehabt hatte, etwas Sich-Anhaltendes,
etwas Feſtklebendes, etwas auf keine Manier Weg-zu-
Ekelndes.

Wenn er ein Held war, ſo war er ein vollkommen
paſſiver; und dieſe pflegen es dann und wann vor
allen andern Menſchenkindern zu einem hohen Alter
zu bringen, wenn auch nicht immer zu einem ge¬
ſegneten.

Dreißig Jahre Schuldienſt als der Sündenbock und
Komikus der Schule! Der gute Mann mit dem ernſt¬
haften Kinderherzen! Der von Mutterbrüſten an alte
Mann mit der ſcheuen, glückſeligen Seele der guten
Kinder!

Wer in Kloſter Amelungsborn hätte ihn miſſen
mögen, da er einmal da war? Wer hätte nicht ſein
Behagen an ihm genommen? Wer hätte nicht ſeinen
Aerger oder ſeinen Witz an ihm ausgelaſſen und zwar
ohne ſich vorher nach ſeinen Stimmungen für Beides
ein wenig umzuſehen? Im Lehrerconvent wie im ge¬
ſammten Cötus wußten ſie, was ſie an ihm hatten und
wußten ihn danach zu ſchätzen.

Und doch — doch hatten ſie ihn bei ihrem Abzuge
nicht mit ſich genommen nach Holzminden, in die neue
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[18/0026] Mann werden und „der Menſchheit bis an's Hundertſte heran auf dem Halſe liegen“. Solche Bosheit und Rückſichtsloſigkeit hätte ſogar ganz zu ſeinem Charakter gepaßt, der von ſeiner Mutter Bruſt an etwas Hinter¬ haltiges an ſich gehabt hatte, etwas Sich-Anhaltendes, etwas Feſtklebendes, etwas auf keine Manier Weg-zu- Ekelndes. Wenn er ein Held war, ſo war er ein vollkommen paſſiver; und dieſe pflegen es dann und wann vor allen andern Menſchenkindern zu einem hohen Alter zu bringen, wenn auch nicht immer zu einem ge¬ ſegneten. Dreißig Jahre Schuldienſt als der Sündenbock und Komikus der Schule! Der gute Mann mit dem ernſt¬ haften Kinderherzen! Der von Mutterbrüſten an alte Mann mit der ſcheuen, glückſeligen Seele der guten Kinder! Wer in Kloſter Amelungsborn hätte ihn miſſen mögen, da er einmal da war? Wer hätte nicht ſein Behagen an ihm genommen? Wer hätte nicht ſeinen Aerger oder ſeinen Witz an ihm ausgelaſſen und zwar ohne ſich vorher nach ſeinen Stimmungen für Beides ein wenig umzuſehen? Im Lehrerconvent wie im ge¬ ſammten Cötus wußten ſie, was ſie an ihm hatten und wußten ihn danach zu ſchätzen. Und doch — doch hatten ſie ihn bei ihrem Abzuge nicht mit ſich genommen nach Holzminden, in die neue gelehrte Herrlichkeit, ſondern ihn zurückgelaſſen am alten

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Das Odfeld. Leipzig, 1889, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_odfeld_1889/26>, abgerufen am 18.04.2024.