Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Das Odfeld. Leipzig, 1889.

Bild:
<< vorherige Seite
"Der Heere ziehend Lärm sind seine Melodeien,
"Und Friedrich jeder Ton!"

Der Jungfer Selinde durfte es in Wahrheit so
vorkommen, als sei ihr Morgentraum noch nicht zu
Ende; dessenungeachtet glitt sie, sobald das abgehetzte
Thier unter ihr es gestattete, aus den Armen ihres
Cavaliers und "Erretters" auf festen Boden nieder:

"Sind es der Herr Magister, so erretten Sie mich!"
kreischte sie, ihrerseits jetzt den alten Schulmeister um¬
klammernd. "Er ist ein Narr, er ist verrückt, er ist
toll! Er hat mich aufgehoben und hin und her gerissen,
durch den Feind, Trepp ab und Trepp auf bis auf's
Dach und durch den Keller. Er hat mich verrückt und
toll gemacht; nicht einen Augenblick zur Besinnung hat
er mir gelassen. Er hat mich ohnmächtig auf den alten
Hans gehoben, und hier sind wir, und die Welt geht
unter! O Gott und Jesu, es wird ja immer schlimmer
mit dem Spektakel! und nun sind wir erst recht mitten
unter ihnen, da wir uns aus ihnen herausretten wollten!
Münchhausen, den Dienst vergesse ich Ihm mein Leb¬
tage nicht!"

"Bis in den Tod vergesse auch ich diese Fortune
nicht, Allerschönste," jauchzte der Schüler, sich gleichfalls
aus dem Sattel schwingend. "Nun mag ja das Uni¬
versum zusammenbrechen, Mademoiselle Selinde; ich bin
im himmlischen Gewölk geschwommen und kann jeden
Augenblick selig sterben, Allersüßeste."

"Der unverschämteste Peter ist er auch jetzt gewesen!

11*
„Der Heere ziehend Lärm ſind ſeine Melodeien,
„Und Friedrich jeder Ton!“

Der Jungfer Selinde durfte es in Wahrheit ſo
vorkommen, als ſei ihr Morgentraum noch nicht zu
Ende; deſſenungeachtet glitt ſie, ſobald das abgehetzte
Thier unter ihr es geſtattete, aus den Armen ihres
Cavaliers und „Erretters“ auf feſten Boden nieder:

„Sind es der Herr Magiſter, ſo erretten Sie mich!“
kreiſchte ſie, ihrerſeits jetzt den alten Schulmeiſter um¬
klammernd. „Er iſt ein Narr, er iſt verrückt, er iſt
toll! Er hat mich aufgehoben und hin und her geriſſen,
durch den Feind, Trepp ab und Trepp auf bis auf's
Dach und durch den Keller. Er hat mich verrückt und
toll gemacht; nicht einen Augenblick zur Beſinnung hat
er mir gelaſſen. Er hat mich ohnmächtig auf den alten
Hans gehoben, und hier ſind wir, und die Welt geht
unter! O Gott und Jeſu, es wird ja immer ſchlimmer
mit dem Spektakel! und nun ſind wir erſt recht mitten
unter ihnen, da wir uns aus ihnen herausretten wollten!
Münchhauſen, den Dienſt vergeſſe ich Ihm mein Leb¬
tage nicht!“

„Bis in den Tod vergeſſe auch ich dieſe Fortune
nicht, Allerſchönſte,“ jauchzte der Schüler, ſich gleichfalls
aus dem Sattel ſchwingend. „Nun mag ja das Uni¬
verſum zuſammenbrechen, Mademoiſelle Selinde; ich bin
im himmliſchen Gewölk geſchwommen und kann jeden
Augenblick ſelig ſterben, Allerſüßeſte.“

„Der unverſchämteſte Peter iſt er auch jetzt geweſen!

11*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <pb facs="#f0171" n="163"/>
          <lg n="2">
            <l>&#x201E;Der Heere ziehend Lärm &#x017F;ind &#x017F;eine Melodeien,</l><lb/>
            <l>&#x201E;Und <hi rendition="#g">Friedrich</hi> jeder Ton!&#x201C;</l><lb/>
          </lg>
        </lg>
        <p>Der Jungfer Selinde durfte es in Wahrheit &#x017F;o<lb/>
vorkommen, als &#x017F;ei ihr Morgentraum noch nicht zu<lb/>
Ende; de&#x017F;&#x017F;enungeachtet glitt &#x017F;ie, &#x017F;obald das abgehetzte<lb/>
Thier unter ihr es ge&#x017F;tattete, aus den Armen ihres<lb/>
Cavaliers und &#x201E;Erretters&#x201C; auf fe&#x017F;ten Boden nieder:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sind es der Herr Magi&#x017F;ter, &#x017F;o erretten Sie mich!&#x201C;<lb/>
krei&#x017F;chte &#x017F;ie, ihrer&#x017F;eits jetzt den alten Schulmei&#x017F;ter um¬<lb/>
klammernd. &#x201E;Er i&#x017F;t ein Narr, er i&#x017F;t verrückt, er i&#x017F;t<lb/>
toll! Er hat mich aufgehoben und hin und her geri&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
durch den Feind, Trepp ab und Trepp auf bis auf's<lb/>
Dach und durch den Keller. Er hat mich verrückt und<lb/>
toll gemacht; nicht einen Augenblick zur Be&#x017F;innung hat<lb/>
er mir gela&#x017F;&#x017F;en. Er hat mich ohnmächtig auf den alten<lb/>
Hans gehoben, und hier &#x017F;ind wir, und die Welt geht<lb/>
unter! O Gott und Je&#x017F;u, es wird ja immer &#x017F;chlimmer<lb/>
mit dem Spektakel! und nun &#x017F;ind wir er&#x017F;t recht mitten<lb/>
unter ihnen, da wir uns aus ihnen herausretten wollten!<lb/>
Münchhau&#x017F;en, den Dien&#x017F;t verge&#x017F;&#x017F;e ich Ihm mein Leb¬<lb/>
tage nicht!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Bis in den Tod verge&#x017F;&#x017F;e auch ich die&#x017F;e Fortune<lb/>
nicht, Aller&#x017F;chön&#x017F;te,&#x201C; jauchzte der Schüler, &#x017F;ich gleichfalls<lb/>
aus dem Sattel &#x017F;chwingend. &#x201E;Nun mag ja das Uni¬<lb/>
ver&#x017F;um zu&#x017F;ammenbrechen, Mademoi&#x017F;elle Selinde; ich bin<lb/>
im himmli&#x017F;chen Gewölk ge&#x017F;chwommen und kann jeden<lb/>
Augenblick &#x017F;elig &#x017F;terben, Aller&#x017F;üße&#x017F;te.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Der unver&#x017F;chämte&#x017F;te Peter i&#x017F;t er auch jetzt gewe&#x017F;en!<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">11*<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[163/0171] „Der Heere ziehend Lärm ſind ſeine Melodeien, „Und Friedrich jeder Ton!“ Der Jungfer Selinde durfte es in Wahrheit ſo vorkommen, als ſei ihr Morgentraum noch nicht zu Ende; deſſenungeachtet glitt ſie, ſobald das abgehetzte Thier unter ihr es geſtattete, aus den Armen ihres Cavaliers und „Erretters“ auf feſten Boden nieder: „Sind es der Herr Magiſter, ſo erretten Sie mich!“ kreiſchte ſie, ihrerſeits jetzt den alten Schulmeiſter um¬ klammernd. „Er iſt ein Narr, er iſt verrückt, er iſt toll! Er hat mich aufgehoben und hin und her geriſſen, durch den Feind, Trepp ab und Trepp auf bis auf's Dach und durch den Keller. Er hat mich verrückt und toll gemacht; nicht einen Augenblick zur Beſinnung hat er mir gelaſſen. Er hat mich ohnmächtig auf den alten Hans gehoben, und hier ſind wir, und die Welt geht unter! O Gott und Jeſu, es wird ja immer ſchlimmer mit dem Spektakel! und nun ſind wir erſt recht mitten unter ihnen, da wir uns aus ihnen herausretten wollten! Münchhauſen, den Dienſt vergeſſe ich Ihm mein Leb¬ tage nicht!“ „Bis in den Tod vergeſſe auch ich dieſe Fortune nicht, Allerſchönſte,“ jauchzte der Schüler, ſich gleichfalls aus dem Sattel ſchwingend. „Nun mag ja das Uni¬ verſum zuſammenbrechen, Mademoiſelle Selinde; ich bin im himmliſchen Gewölk geſchwommen und kann jeden Augenblick ſelig ſterben, Allerſüßeſte.“ „Der unverſchämteſte Peter iſt er auch jetzt geweſen! 11*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_odfeld_1889
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_odfeld_1889/171
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Das Odfeld. Leipzig, 1889, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_odfeld_1889/171>, abgerufen am 21.11.2024.