Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Das Odfeld. Leipzig, 1889.

Bild:
<< vorherige Seite

Lüften über der grünen Welt -- im Sattel vor dem
Reiter des Königs Ludwigs des Fünfzehnten, mitten
im Tilithigau: La France! vive la France! Mamsell
Selinde verstand im Wachen kein Französisch, aber im
Traume verstand sie es: "Frankreich, Frankreich!" rief
und jauchzte es um sie her tausendstimmig. Zu Hun¬
derten, zu Tausenden ritten sie -- ritten sie westwärts
der Weser zu -- alle die thörichten Kinder der belle
France
, die ihr Grab ostwärts des gelben Stromes,
dießmal im lieben kleinen Kriege der Madame de
Pompadour gefunden hatten. Auf Wodans Felde, über
dem Odfelde, über dem Quadhagen, wo gestern die
schwarzen Vögel gestritten hatten, sammelten sich die
luftigen, lustigen Geschwader in Gold und Roth und
Blau, in Silber und Weiß und Grün und Gelb,
Champagne und Limousin, Dragoner von Ferronays
und du Roy, Freiwillige von Austrasien, Grenadiers
von Beaufremont, Grenadiers royaux, Carabiniers von
Castella, Carabiniers von Provence. Wer zählt es
im Wachen, was Mamsell Selinde nicht im Traume
zählen konnte -- alles Das, was in den beiden letzten
Jahren nur zwischen dem Harz und der Weser
der Mutter Erde und dem Bauernspaden anheimge¬
fallen war? Ja, hurre, hurre, hop, hop, hop, aber
beim helllichten Tagesschein und ohne alles gespenstische
Grauen! Mademoiselle Selinde fand nicht das geringste
Sonderbare dabei, daß sie den linken Arm um den
hübschen jungen Dragoner vom Regiment Ferronays

Lüften über der grünen Welt — im Sattel vor dem
Reiter des Königs Ludwigs des Fünfzehnten, mitten
im Tilithigau: La France! vive la France! Mamſell
Selinde verſtand im Wachen kein Franzöſiſch, aber im
Traume verſtand ſie es: „Frankreich, Frankreich!“ rief
und jauchzte es um ſie her tauſendſtimmig. Zu Hun¬
derten, zu Tauſenden ritten ſie — ritten ſie weſtwärts
der Weſer zu — alle die thörichten Kinder der belle
France
, die ihr Grab oſtwärts des gelben Stromes,
dießmal im lieben kleinen Kriege der Madame de
Pompadour gefunden hatten. Auf Wodans Felde, über
dem Odfelde, über dem Quadhagen, wo geſtern die
ſchwarzen Vögel geſtritten hatten, ſammelten ſich die
luftigen, luſtigen Geſchwader in Gold und Roth und
Blau, in Silber und Weiß und Grün und Gelb,
Champagne und Limouſin, Dragoner von Ferronays
und du Roy, Freiwillige von Auſtraſien, Grenadiers
von Beaufremont, Grenadiers royaux, Carabiniers von
Caſtella, Carabiniers von Provence. Wer zählt es
im Wachen, was Mamſell Selinde nicht im Traume
zählen konnte — alles Das, was in den beiden letzten
Jahren nur zwiſchen dem Harz und der Weſer
der Mutter Erde und dem Bauernſpaden anheimge¬
fallen war? Ja, hurre, hurre, hop, hop, hop, aber
beim helllichten Tagesſchein und ohne alles geſpenſtiſche
Grauen! Mademoiſelle Selinde fand nicht das geringſte
Sonderbare dabei, daß ſie den linken Arm um den
hübſchen jungen Dragoner vom Regiment Ferronays

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0128" n="120"/>
Lüften über der grünen Welt &#x2014; im Sattel vor dem<lb/>
Reiter des Königs Ludwigs des Fünfzehnten, mitten<lb/>
im Tilithigau: <hi rendition="#aq">La France! vive la France!</hi> Mam&#x017F;ell<lb/>
Selinde ver&#x017F;tand im Wachen kein Franzö&#x017F;i&#x017F;ch, aber im<lb/>
Traume ver&#x017F;tand &#x017F;ie es: &#x201E;Frankreich, Frankreich!&#x201C; rief<lb/>
und jauchzte es um &#x017F;ie her tau&#x017F;end&#x017F;timmig. Zu Hun¬<lb/>
derten, zu Tau&#x017F;enden ritten &#x017F;ie &#x2014; ritten &#x017F;ie we&#x017F;twärts<lb/>
der We&#x017F;er zu &#x2014; alle die thörichten Kinder der <hi rendition="#aq">belle<lb/>
France</hi>, die ihr Grab o&#x017F;twärts des gelben Stromes,<lb/>
dießmal im lieben kleinen Kriege der Madame de<lb/>
Pompadour gefunden hatten. Auf Wodans Felde, über<lb/>
dem Odfelde, über dem Quadhagen, wo ge&#x017F;tern die<lb/>
&#x017F;chwarzen Vögel ge&#x017F;tritten hatten, &#x017F;ammelten &#x017F;ich die<lb/>
luftigen, lu&#x017F;tigen Ge&#x017F;chwader in Gold und Roth und<lb/>
Blau, in Silber und Weiß und Grün und Gelb,<lb/>
Champagne und Limou&#x017F;in, Dragoner von Ferronays<lb/>
und du Roy, Freiwillige von Au&#x017F;tra&#x017F;ien, Grenadiers<lb/>
von Beaufremont, Grenadiers royaux, Carabiniers von<lb/>
Ca&#x017F;tella, Carabiniers von Provence. Wer zählt es<lb/>
im Wachen, was Mam&#x017F;ell Selinde nicht im Traume<lb/>
zählen konnte &#x2014; alles Das, was in den beiden letzten<lb/>
Jahren nur zwi&#x017F;chen dem Harz und der We&#x017F;er<lb/>
der Mutter Erde und dem Bauern&#x017F;paden anheimge¬<lb/>
fallen war? Ja, hurre, hurre, hop, hop, hop, aber<lb/>
beim helllichten Tages&#x017F;chein und ohne alles ge&#x017F;pen&#x017F;ti&#x017F;che<lb/>
Grauen! Mademoi&#x017F;elle Selinde fand nicht das gering&#x017F;te<lb/>
Sonderbare dabei, daß &#x017F;ie den linken Arm um den<lb/>
hüb&#x017F;chen jungen Dragoner vom Regiment Ferronays<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[120/0128] Lüften über der grünen Welt — im Sattel vor dem Reiter des Königs Ludwigs des Fünfzehnten, mitten im Tilithigau: La France! vive la France! Mamſell Selinde verſtand im Wachen kein Franzöſiſch, aber im Traume verſtand ſie es: „Frankreich, Frankreich!“ rief und jauchzte es um ſie her tauſendſtimmig. Zu Hun¬ derten, zu Tauſenden ritten ſie — ritten ſie weſtwärts der Weſer zu — alle die thörichten Kinder der belle France, die ihr Grab oſtwärts des gelben Stromes, dießmal im lieben kleinen Kriege der Madame de Pompadour gefunden hatten. Auf Wodans Felde, über dem Odfelde, über dem Quadhagen, wo geſtern die ſchwarzen Vögel geſtritten hatten, ſammelten ſich die luftigen, luſtigen Geſchwader in Gold und Roth und Blau, in Silber und Weiß und Grün und Gelb, Champagne und Limouſin, Dragoner von Ferronays und du Roy, Freiwillige von Auſtraſien, Grenadiers von Beaufremont, Grenadiers royaux, Carabiniers von Caſtella, Carabiniers von Provence. Wer zählt es im Wachen, was Mamſell Selinde nicht im Traume zählen konnte — alles Das, was in den beiden letzten Jahren nur zwiſchen dem Harz und der Weſer der Mutter Erde und dem Bauernſpaden anheimge¬ fallen war? Ja, hurre, hurre, hop, hop, hop, aber beim helllichten Tagesſchein und ohne alles geſpenſtiſche Grauen! Mademoiſelle Selinde fand nicht das geringſte Sonderbare dabei, daß ſie den linken Arm um den hübſchen jungen Dragoner vom Regiment Ferronays

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_odfeld_1889
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_odfeld_1889/128
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Das Odfeld. Leipzig, 1889, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_odfeld_1889/128>, abgerufen am 21.11.2024.